Den Haag. Das riesige Containerschiff Ever Given, das nach einer Havarie im Suez-Kanal diese wichtige Schifffahrtsroute sechs Tage lang blockierte, ist mit dreimonatiger Verspätung am Donnerstag wohlbehalten im Rotterdamer Hafen angekommen. Nun gibt die Ever Given endlich ihre vielen Waren und Güter frei. Der Schiffsriese ist 400 Meter lang, 59 Meter breit, 200'000 Tonnen schwer. Sie ist dreimal so gross wie die Titanic.
Die Ever Given war auf dem Weg von Shanghai nach Rotterdam, als das Schiff am 23. März bei einem schweren Sandsturm im Suez-Kanal auf Grund lief. Nun liegt es vor Anker und wird entladen. An Bord sind: 18'000 Container. Sie haben einen geschätzten Wert von rund 1 Milliarde Dollar. Sie enthalten: Motoren, Fahrräder, Ersatzteile aller Art, Schuhe, Chemiestoffe, Ikea-Möbel, Computer und Laptops, Kleidung, Werbeartikel, Solarmodule und vieles mehr.
Auf alle diese Waren haben viele Händler und Geschäfte in ganz Europa drei Monate lang sehnlichst gewartet. Ikea, das seinen internationalen Hauptsitz in den Niederlanden hat, musste wegen des Ausbleibens der Möbel aus Shanghai, die sich auf der Ever Given befanden, zeitweise sogar Lieferengpässe melden. Einige Ikea-Produkte waren einfach ausverkauft, weil kein Nachschub aus China mehr kam.
Dem Erotik-Händer EasyToys gingen die Dildos und andere Sex-Spielzeuge für Erwachsene aus. Auch sie befanden sich in einem der 18'000 Container, die die Ever Given geladen hatte. Das Warenhaus Hema, das in allen drei Benelux-Ländern sowie in Deutschland und Frankreich Filialen hat, konnte aus demselben Grund keine E-Bikes mehr verkaufen.
Die meisten Waren und Güter, die die Ever Given in ihren 18'000 Containern geladen hatte, waren für Deutschland, die Niederlande sowie einige andere europäische Länder bestimmt.
Die sechstägige Blockade des Suez-Kanals durch die havarierte Ever Given machte aber noch etwas anderes deutlich: Sie verdeutlichte, wie wichtig diese Schifffahrtsroute für den Welthandel ist. Sie verdeutlichte auch, wie abhängig viele Branchen in Europa inzwischen von Produkten aus China sind.
Rund zwölf Prozent des gesamten Welthandels wird über den Suez-Kanal abgewickelt. Fast ein Drittel aller Container, die von Schiffen über die Weltmeere transportiert werden, passieren den Suez-Kanal – von Asien kommend Richtung Europa. Der Rotterdamer Ökonomieprofessor Bart Kuipers von der Erasmus Universität sagt dazu:
Und weiter: «Denn wenn der Suez-Kanal zu ist, dann müssen die Schiffe um Afrika und das Kap fahren. Das ist eine viel weitere und schwierigere Seeroute», schreibt Kuipers – der in Rotterdam «der Hafen-Professor» genannt wird – in einem Beitrag für das «Algemeen Dagblad». Der Hafen-Professor Kuipers plädiert daher dafür, dass der Suez-Kanal rasch ausgebaut und durch eine zweite Seestrasse erweitert wird.
Nachdem die Ladung der Ever Given gelöscht und an die Abnehmer verteilt sein wird, droht noch ein juristisches Gefecht um die Kosten der Bergung des Containerschiffs. Die führte übrigens das Rotterdamer Bergungsunternehmen Boskalis aus. Das flottmachen des unter japanischer Flagge fahrenden und der taiwanesischen Reederei Evergreen gehörenden riesigen Containerschiffes war sehr teuer und dürfte mindestens einen zweistelligen Millionenbetrag gekostet haben.
Die Kosten für die Bergung werden nach internationalem Seerecht auf die Reederei und auf die Eigentümer der 18'000 Container verteilt. Manche der Eigentümer der Container werden schwere Verluste hinnehmen müssen. Sie müssen für die Bergung mitbezahlen und können möglicherweise die Waren, die sie in China geordert hatten, nicht mehr verkaufen. Denn in vielen Containern befanden sich auch Lebensmittel wie Kokosmilch, Nudeln, Geflügelprodukte und anderes Fleisch. Vieles davon könnte verdorben sein, weil die Reise der Ever Given viel zu lange gedauert hat. Das ist für manche also doppeltes Pech.