In Frankreich zieht sich der Streik der Beschäftigten im Ölsektor in die Länge. Der Ton zwischen dem Staat und den Streikenden verschärft sich. Premierministerin Élisabeth Borne hat angeordnet, dass das notwendige Personal der Raffinerie von Port-Jérôme in der Normandie zur Arbeit verpflichtet wird. Sechs der sieben Raffinerien des Landes sind von den Streiks betroffen, die Gewerkschaft CGT will eine zehnprozentige Lohnerhöhung bei den Raffinerien des Energiekonzerns Total durchsetzen.
Die Ironie der Geschichte: Manche der Tanks der Depots sind bis zum Rand gefüllt. Nur kann der Treibstoff nicht ausgeliefert werden. An etwa einem Drittel der französischen Tankstellen gibt es nach rund zwei Streikwochen inzwischen Engpässe, Autofahrer stehen Schlange oder kurven auf der Suche nach Kraftstoff durch die Städte. Es kam zu zahlreichen Schlägereien und Gewaltausbrüchen.
Das Warten zehrt an den Nerven: Südlich von Genf stach am letzten Mittwoch ein junger Franzose mehrmals auf einen Schweizer Familienvater ein, der mit zwei Kindern Benzin holte und den Savoyer vermutlich in der Schlange überholte. Der Genfer überlebte, der Täter ist in Haft.
Die Krise hat auch Auswirkungen im Schweizer Grenzgebiet. Eine kleine Übersicht:
Die Schweizer Autofahrenden hatten es sich in den letzten Wochen zur Gewohnheit gemacht, in Frankreich billig zu tanken. Der französische Staat drückte die Treibstoffpreise mit einer Soforthilfe um bis zu 30 Rappen pro Liter.
Doch durch die Engpässe wendete sich innerhalb weniger Tage das Blatt: Nun sind es wieder die französischen Lenkenden, die ihre Tanks im Nachbarland füllen.
Zwei Schweizer Regionen sind besonders betroffen: Genf, wo der grösste Teil der Kantonsgrenze auf französischem Gebiet verläuft, und der Jurabogen mit den Kantonen Neuenburg und Jura.
Im Kanton Genf verschärfte sich die Lage rasch. So schreibt die «Tribune de Genève», dass in der französischen Nachbarstadt Annemasse zahlreiche Tankstellen wegen fehlender Treibstofflieferungen leer liefen. Überdies haben die Präfekten der benachbarten Regionen Haute-Savoie und Ain den Tankenden verboten, Kanister zu füllen.
Das führte zu einem massiven Zustrom französischer Autofahrer und zu Engpässen an mehreren Tankstellen auf der Schweizer Seite der Grenze. Laut der TdG zögern einige französische Autofahrer nicht, aus Grenoble anzureisen. Eine Anreise von 150 Kilometern.
Compte tenu de la pénurie d’essence en France, les véhicules français viennent se ravitailler en masse à Genève. Bienvenus chers voisins ! pic.twitter.com/9H6csVwC3q
— Mauro Poggia (@MauroPoggia) October 10, 2022
Im Grenzdorf Les Verrières sind die französischen Nummernschilder in großer Zahl zu sehen, wie eine Reportage von Canal Alpha zeigt. Für die Tankstellenpächter ist das eine gute Sache:
In Boncourt in der Ajoie kommen viele Franzosen aus Grandvillard, Belfort oder Mulhouse zum Tanken. Eine Grenzgängerin erklärt dies im Gespräch mit dem jurassischen Lokalfernsehen:
Viele von ihnen gehen übrigens mit einem oder mehreren gefüllten Kanistern wieder nach Hause:
In der Tat waren «in der Region von Belfort und Montbéliard am Dienstag rund 30 Stationen teilweise oder vollständig ausverkauft», berichtet «Le Quotidien jurassien». Genau wie im Kanton Neuenburg freut dieser plötzliche Ansturm auf die Schweizer Zapfsäulen die Tankstellenbetreiber:
In Tat und Wahrheit ist Egoismus tief in uns verankert…