Die Adventszeit ist auch eine Zeit der Barmherzigkeit. In keinem Monat wird so viel gespendet wie im Dezember. Über zwei Milliarden Franken haben Schweizer Hilfswerke im Jahr 2021 erhalten. Das meiste Geld stammt dabei von privaten Haushalten. Das wissen auch die Hilfsorganisationen: In den Briefkästen stapeln sich momentan die Bettelbriefe.
Die richtige Organisation zu finden, ist dabei gar nicht so einfach. Doch mit diesen sieben Tipps kannst du sicher sein, das meiste aus deinem Geld herauszuholen.
Viele Menschen treffen ihre Spendenentscheidung spontan. Meistens dann, wenn sie sich von einer NGO auf der Strasse überreden lassen. Oder sie nehmen die bekannteste Organisation, die ihnen in den Sinn kommt.
Das ist okay. Doch mit etwas Recherche kann man garantiert mehr Gutes mit dem gespendeten Geld tun. Dafür sollte man sich zuerst fragen, was einem eigentlich wichtig ist. Gesundheitliche Themen? Tiere? Entwicklungshilfe? Klimaschutz?
Ist man bei dieser Frage schon überfordert, sollte man sich nach der Wissenschaft richten.
Ja, es gibt mittlerweile eine ganze Bewegung, die sich mit gutem Spenden auseinandersetzt. Sie nennt sich effektiver Altruismus und wurde Anfang der Nullerjahre von Philosophen, Ökonomen und Mathematikern ins Leben gerufen.
Sebastian Schwiecker ist einer dieser effektiven Altruisten. Der gelernte Volkswirt gründete vor einigen Jahren das Portal «effektiv-spenden.org». Der Name ist Programm. Schwiecker findet es schade, dass die Leute relativ gedankenlos spenden: «Wenn man sich ein neues Telefon kauft oder in die Ferien reist, liest man Testberichte und schaut Videos. Bei Spenden machen das viele nicht.»
Dabei gäbe es gerade bei Spenden ein riesiges Gefälle. «Man kann mit dem gleichen Geldbetrag bis zu 100 Mal mehr Menschen helfen», sagt Schwiecker.
Beweise dafür liefert die Wissenschaft. Da gibt es etwa das «Center on Long-Term Risk», welches die grossen langfristigen Bedrohungen für unsere Spezies und unser Ökosystem untersucht. Ähnlich versucht das «Global Priorities Institute» per Datenanalyse herauszufinden, welche globalen Missstände zu priorisieren sind.
Auf seiner Website hält sich Schwiecker an die Forschungsergebnisse von «GiveWell» – eine Organisation, die untersucht, welche Hilfsorganisationen pro Franken am meisten Leben retten oder verbessern. Menschen, die mit ihrer Spende eine möglichst grosse Wirkung erzielen wollen, empfiehlt Schwiecker in die folgenden Bereiche zu investieren:
Wer mit seinem Geld möglichst vielen Menschen helfen will, sollte deswegen über die Landesgrenzen hinaus blicken. «Viele Menschen müssen bei uns bereits den Gürtel enger schnallen. Doch die ärmsten Menschen dieser Welt trifft es noch viel härter», sagt Spendenexperte Schwiecker.
Auch seien die grössten Probleme der Menschheit solche, die in der Öffentlichkeit nicht die entsprechende Aufmerksamkeit erhalten. «Jährlich sterben immer noch hunderttausende Kinder an Malaria.» Dabei gebe es kostengünstige und effektive Massnahmen dagegen: Moskitonetze und prophylaktische Medikamente.
Gerade niederschwellige Massnahmen haben oft den grössten Effekt. Bestes Beispiel ist die «Deworm The World»-Initiative. Sie wurde von drei Wirtschaftsnobelpreisträgern ins Leben gerufen. Durch sie verbringen Kinder in Entwicklungsländer 50 Mal mehr Zeit in der Schule als durch manch andere Hilfsmassnahme.
Wer eine ähnliche effektive NGO mit Schweizer Beteiligung sucht, kann sich «New Incentives» ansehen. Die Organisation setzt sich für einen verbesserten Zugang von Impfungen für Babys ein. Mitbegründer des Projekts ist der Schweizer Patrick Stadler.
Bekannte Auswahlkriterien für die richtige Organisation sind die Verwaltungskosten und das Gütesiegel. Diese liefern wichtige Hinweise, sagen aber nur wenig über die Effektivität aus.
Die Verwaltungskosten eines Hilfswerks geben Auskunft darüber, wie viele Prozente der Spendeneinnahmen für die eigene Verwaltung ausgegeben wird – statt für die Hilfsprojekte. Doch Organisationen mit hohen Verwaltungskosten können durch gezielte Massnahmen trotzdem viel effektiver sein.
Ähnlich verhält es sich beim Gütesiegel: In der Schweiz zertifiziert die Zewo Hilfsorganisationen, denen man trauen kann. Als erste Information kann dies hilfreich sein. Das Siegel werde jedoch überschätzt, sagt Sebastian Schwiecker. «Organisationen wie die Zewo leisten nicht schlechte Arbeit. Aber sie beantworten die falschen Fragen.» Schwiecker vergleicht es mit der MfK-Prüfung: «Man schaut, ob das Auto überhaupt auf die Strasse darf. Nicht, ob es das beste Auto ist.»
Eine besonders ineffektive Art zu spenden, sind Kinderpatenschaften. «Im besten Fall ist es Etikettenschwindel, im schlimmsten Fall eine hochgradig ineffektive oder sogar kontraproduktive Art der Entwicklungshilfe», sagt Schwiecker.
Gründe dafür gibt es viele. So würden Patenschaften nicht die Ursachen der Armut bekämpfen, die unterstützten Kinder isolieren und Neid erzeugen, familiäre und soziale Strukturen zerstören und dazu noch sehr teuer sein.
Organisationen wie «World Vision» hingegen würden Etikettenschwindel betreiben, da sie gar keine Einzelfallhilfe betrieben, sondern «Projektarbeit im Umfeld des Patenkindes», wie es im Kleingedruckten heisst.
Hat man einmal eine Organisation oder ein Projekt gefunden, stellt sich die Frage nach der Höhe der Spende.
Eine pauschale Antwort darauf gibt es nicht. Orientierungshilfe jedoch zuhauf: Man könnte sich zum Beispiel an der Schweizer Entwicklungshilfe orientieren. So hat die Schweiz 2021 rund 0,5 Prozent des Bruttonationaleinkommens für Entwicklungshilfe ausgegeben. Eine andere Möglichkeit besteht darin, sich an der Kirchensteuer zu orientieren.
Effektive Altruisten wie Schwiecker spenden zehn Prozent ihres Einkommens. «Wenn man sich darauf einlässt, glaube ich, dass dies für die meisten Menschen in unseren Breitengraden möglich ist.» Die Menschen in Zentraleuropa gehörten selbst mit einem mittleren Einkommen zu den reichsten fünf Prozent der Welt. «Bei allen Herausforderungen: Wir jammern auf hohem Niveau.»
Schwiecker empfiehlt deshalb, sich zu überlegen, wann man das letzte Mal mit zehn Prozent weniger gelebt habe. «Dann sollte man sich fragen: War das eine sehr harte Zeit oder war mein Leben nicht auch schon damals gut genug?»
Viele dürften sich in diesem Jahr überlegen, Geld an die Ukraine zu spenden. Daran ist nichts falsch. Im Gegenteil. Hier findet man eine Übersicht mit möglichen Hilfsorganisationen.
Trotzdem gibt Spendenexperte Schwiecker zu bedenken, dass es bessere Optionen gäbe: «Ich bin für jeden dankbar, der an die Ukraine spendet. Aber durch die mediale Berichterstattung geht bereits ein grosser Anteil der weltweiten Spenden in die Ukraine.»
Das bedeute, dass weniger beachtete Bereiche, die ohnehin schon zu wenig Spendengelder bekämen, jetzt noch weniger erhielten. «Das bedeutet aber auch, dass jeder Franken jetzt noch mehr bewirkt», sagt Schwiecker.
Weiter sei es extrem kompliziert, in aktiven Kriegsgebieten überhaupt sinnvoll helfen zu können. «Die Gefahr ist hoch, dass die Mittel in die falschen Hände geraten.» Denn es fehle an der wichtigsten Ressource für die effektiven Altruisten: Daten.
Dann steht da, dass World Vision projektbasiert arbeitet und eben nicht spezifisch 1 Kind fördert, und das ist auch nicht gut?