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Nach Tod eines Berghelfers am K2: Bergretter Bruno Jelk im Interview

Bruno Jelk war zwar noch nie auf dem K2 im Karakorum-Gebirge, hat am Mount Everest aber schon viele Rettungsaktionen durchgeführt.
Bruno Jelk war zwar noch nie auf dem K2 im Karakorum-Gebirge, hat am Mount Everest aber schon viele Rettungsaktionen durchgeführt. bild: shutterstock/ keystone
Interview

«Ein Rettungsversuch wäre möglich gewesen» – Bergretter Bruno Jelk im Interview

Bruno Jelk hat schon auf 7000 Metern Höhe Menschen im Himalaya gerettet. Er ist schockiert über die Umstände, unter denen jüngst ein pakistanischer Berghelfer ums Leben kam, und kritisiert im Interview den Tourismus im Himalaya.
11.08.2023, 19:3911.08.2023, 20:20
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Bruno Jelk, der ehemalige Rettungschef von Zermatt, hat in seinem Leben schon über 5000 Bergrettungen durchgeführt. 100 davon im Himalaya. Obwohl er 79 Jahre alt ist, geht er noch immer regelmässig «z’Bärg», wie er sagt. Damit meint er nicht Wandern, sondern Bergsteigen und das Durchführen von Rettungsausbildungen. Vor allem rund ums Matterhorn.

Ein Mal im Jahr fliegt er allerdings auch nach Nepal, wo er Sherpas für die Bergrettung ausbildet. Für ihn ist das eine Herzensangelegenheit. Darum hat ihn die Nachricht des verstorbenen pakistanischen Berghelfers Muhammad Hassan sehr mitgenommen. Aufnahmen eines österreichischen Bergsteigers, die in dieser Woche öffentlich wurden, zeigen, wie Muhammad Hassan auf dem K2 im Karakorum-Gebirge im Himalaya um sein Leben kämpft, während Alpinisten über ihn drübersteigen.

Was ging in Ihnen vor, als Sie die Bilder vom K2 sahen?
Bruno Jelk:
Ich war einfach nur schockiert. Und ich bin es noch immer. Es ist eine Katastrophe, wie das am Berg abgelaufen ist. So etwas darf nicht passieren. Muhammad Hassan lebte noch und die Menschen haben scheinbar nichts unternommen, um ihm zu helfen. Ich kann es nicht fassen. Wenn das stimmt, dass man nach einer Besteigung im Basecamp noch feiert, nachdem man an einem Sterbenden vorbeigelaufen ist und nicht geholfen hat, ist es sehr traurig.

Bruno Jelk in seinem Rettungshelikopter der Bergrettung Zermatt. Im Hintergrund das Matterhorn.
Bruno Jelk in seinem Rettungshelikopter der Bergrettung Zermatt. Im Hintergrund das Matterhorn.Bild: AP

Hätte man ihm denn helfen können?
Man hätte es auf jeden Fall versuchen müssen, indem man ihm zunächst Sauerstoff gibt und dann eine Rettungskette bildet für den Abtransport. Ob Muhammad Hassan schlussendlich überlebt hätte, ist eine andere Frage. Das weiss man leider nie. Aber es wäre die Pflicht aller Bergsteigenden und nicht zuletzt seines Teams gewesen, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um ihn zu retten. Im Video sieht man, dass mindestens 20 Personen über ihn drübersteigen. Zumindest ein Rettungsversuch wäre da möglich gewesen. Eine Expedition sollte darauf vorbereitet sein, in einem solchen Fall helfen zu können.

Warum glauben Sie, hat ihm niemand geholfen?
Ich kann mir nur zwei Gründe vorstellen: Die Alpinisten waren entweder selbst am Ende ihrer Kräfte oder sie hatten gar nicht das nötige Know-how und Equipment, um eine Rettung durchzuführen. Aber auch das entschuldigt ihr Verhalten nicht. Bergsteiger, die einem Menschen in Lebensgefahr nicht helfen, haben meiner Meinung nach nichts am Berg zu suchen. Bei meinen Expeditionen war die erste Priorität immer, dass es allen gut geht. Selbst wenn der Gipfel nur noch ein paar Meter entfernt war, galt: abbrechen und helfen, wenn jemand nicht mehr konnte oder Hilfe brauchte. Das Menschenleben steht an oberster Stelle. Das scheint heute wohl nicht mehr der Fall zu sein.

Wie kommen Sie zu dieser These?
Ich habe schon viel gesehen. Ich war 1984 erstmals als Bergretter und danach mehrmals als Expeditionsleiter im Himalaya-Gebirge unterwegs. Damals waren die Bedingungen noch rauer. Eine Sauerstoffflasche, die maximal 40 Minuten hielt, hatte ein Gewicht von sechs Kilogramm. Heute wiegt sie ja gerade einmal 300 Gramm. Früher konnten darum nur absolute Profis Berge wie den Mount Everest oder eben den K2 bezwingen. Sauerstoff war nur für Notfälle dabei. Anders als heute.

Inwiefern hat sich die Klientel im Himalaya dadurch verändert?
Der Mount Everest und der K2 sind zu Modebergen geworden. Sie zu besteigen, braucht heute darum nicht in erster Linie Können, sondern Geld. Die Touristen lassen sich eine Gipfelbesteigung bis zu 50'000 Franken kosten. Wenige von ihnen hätte das Zeug dazu, den Gipfel zu erklimmen, wenn da nicht bereits Seile wären, an denen sie sich nur noch hochziehen müssen, und wenn da nicht Sherpas wären, die ihnen alles tragen. Vom Sauerstoff bis zum Zelt und Proviant.

Auf dem Weg hoch hinauf auf den K2 nehmen Berghelfer ihrer Klientel so viel Last ab wie möglich.
Auf dem Weg hoch hinauf auf den K2 nehmen Berghelfer ihrer Klientel so viel Last ab wie möglich.Bild: Shutterstock

Was ist der Reiz am Bezwingen eines so gefährlichen Berges, wie es der K2 oder der Mount Everest sind?
Ich glaube, der Grund, warum die Menschen heute zuhauf dorthin pilgern, ist Egoismus und Eitelkeit. Man will sagen können: «Ich habe den höchsten Berg der Welt bezwungen.» Oder eben den K2, den zweithöchsten Berg der Welt, dessen Aufstieg als noch schwieriger gilt. Man will wohl sein Image aufpolieren. Etwas anderes kann ich mir nicht vorstellen.

Sie haben im Himalaya selbst Rettungsaktionen durchgeführt und bilden seit 2009 Sherpas aus, die tagtäglich – zumindest während der Hauptsaison im Frühling und Herbst – genau diese Menschen retten, von denen Sie nun ein schlechtes Bild zeichnen. Wie passt das zusammen?
Ich verstehe die Faszination am Bergsteigen durchaus. Darum machte ich ja auch selbst Bergexpeditionen. Es ist ein ganz besonderes Gefühl, auf einem Gipfel anzukommen. Aber dabei sollte niemand sein Leben lassen. Darum bin ich Bergretter.

Setzen Sie als Bergretter nicht auch Ihr eigenes Leben aufs Spiel?
Ja, bis zu einem gewissen Grad schon. Vor vier Jahren sind beispielsweise 16 Sherpa-Bergretter bei einer Expedition im Himalaya in eine Eislawine geraten. Fast alle kamen ums Leben. Auch drei meiner Freunde, die ich zuvor ausgebildet hatte. Und am Ama-Dablam sind der erste Pilot, sein Flughelfer und Retter, die wir ausgebildet haben, bei einer Rettung ums Leben gekommen. Das waren enge Freunde und es tut mir heute noch weh. Sie hatten einfach Pech. Wenn eine Lawine oder etwas Unvorhergesehenes dazwischenkommt, hat man eigentlich verloren.

K2 peak the 2nd highest peak in the world
Der K2, ein Anblick, der die Menschen anscheinend so in seinen Bann zieht, dass sie bereit sind, viel Geld für seine Besteigung zu zahlen.Bild: Shutterstock

Waren Sie selbst schon auf der Spitze des K2 oder des Mount Everest? Wie ist es so weit oben, auf dem Dach der Welt?
Auf dem K2 war ich nie. Und auf dem Mount Everest habe ich lediglich Rettungsaktionen bis auf 7000 Meter durchgeführt. Allerdings mit dem Helikopter. Die Bedingungen auf einem solchen Berg sind selbst bei guten Wetterverhältnissen sehr hart. Jeder Atemzug schmerzt. Die Höhe steigt zu Kopf. Bewegungen sind äusserst anstrengend. Ich mache den Bergsteigenden darum keinen Vorwurf, dass sie Mohammad Hassan nicht helfen konnten. Ich glaube wirklich, dass sie dazu keine Kraft hatten. Aber ich finde eben auch, dass man nicht auf den Berg gehört, wenn man einem Menschen in Not nicht helfen kann. Leider gibt es an vielen Modebergen – auch in Europa – Alpinisten, die da nichts zu suchen hätten.

Wünschen Sie sich also, dass der Bergtourismus im Himalaya zurückgeht?
Ja, dann müssten wir eine so schlimme Nachricht wie jene von Muhammad Hassans Todeskampf nicht mehr lesen. Aber ich weiss, dass das unrealistisch ist. Die Sherpas sind auf die Einnahmen durch den Tourismus angewiesen. Und der nepalesische Staat – und ich nehme an auch Pakistan – nehmen durch Bewilligungen viel Geld ein. Ich glaube nicht, dass sie auf dieses Geld jemals verzichten wollen würden. Oder könnten.

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66 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Volv
11.08.2023 20:41registriert März 2020
Gemäss den Aussagen von Kristin Harila habe mind. einer ihrer Begleiter während zweieinhalb Stunden Hassan geholfen, u.a. mit Sauerstoff, warmem Wasser, etc.
Ob wahr oder nicht, zumindest hätte diese Aussage im vorliegenden Artikel erwähnt werden sollen, als Ergänzung zu den anderen Erzählungen.
Was jedoch überhaupt nicht zu den Schilderungen von Kristin Harila passt, ist, dass sie im Wissen um den Vorfall offenbar hemmungslos ihren „Rekord“ feierte.
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In vino veritas
12.08.2023 06:54registriert August 2018
Voller entsetzten musste ich gestern beim bei einer Unterhaltung feststellen, dass meine Freunde auch nicht geholfen hätte. Wegen der Undurchführbarkeit einer Rettungsaktion und mangelnden Sauerstoff. Auf meinen Einwand, weshalb der Sauerstoff reicht, um bis zum Gipfel und wieder zurück zu kommen kam sehr schnell die Aussage, dass man sein ganzes Leben auf diesen Moment hingearbeitet hat und man ja auch nicht dafür verantwortlich sei, dass er verunfallt sei. Da müsse man sich auch nicht um eine Rettung bemühen. Das liess mich ratlos zurück.
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Swen Goldpreis
12.08.2023 06:42registriert April 2019
Ich habe das schon anderswo geschrieben. Aber meiner Meinung trägt zur Situation auch bei, dass der Reichtum und nicht das technische Können der Bergsteiger über einen Aufstieg entscheiden.

Das führt zum einen dazu, dass viele Leute einen Aufstieg wagen, die dazu eigentlich nicht in der Lage sind. Die sind dann so mit sich selber beschäftigt, dass Hilfeleistungen für andere eben nicht mehr drinliegen. Zum anderen aber auch, weil die Rettung eines anderen Bergsteigers zu einem persönlichen Verlust von mehreren 10.000 Franken führt. Ein Fahrstuhl auf den M. Everest wäre vermutlich ehrlicher.
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