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Drama bei K2-Besteigung: Aus diesen Gründen fand Muhammad Hassan den Tod

Dieser fatale Cocktail führte zum Tod von Muhammad Hassan auf dem K2

10.08.2023, 16:0411.08.2023, 08:32
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Es sind unfassbare Bilder: Mehrere Personen steigen auf der Route auf den K2 über einen sterbenden Menschen. Keiner hilft, obwohl der Berghelfer Muhammad Hassan noch mehrere Stunden lebt und gar nach den Knöcheln der vorbeigehenden Bergsteiger gegriffen haben soll. Wie ist so etwas möglich? Die Details der Geschichte zeichnen einen giften Cocktail:

Die Bedingungen

K2 peak the 2nd highest peak in the world
Der Gipfel des K2: Die Besteigung gilt bereits bei guten Bedingungen als äusserst gefährlich. Bild: Shutterstock

Es gibt verschiedene Schilderungen dazu, wie es zum Unfall kam. Klar ist jedoch, dass die Bedingungen bei der Besteigung des K2-Gipfels am 27. Juli alles andere als ideal waren. «Bei solchen Bedingungen gehe ich nicht einmal auf den Dachstein [ein Gipfel in Österreich]», sagte zum Beispiel die Extremsportlerin und erfahrene Bergsteigerin Sabrina Filzmoser zum Standard. Sie war an jenem Tag vor Ort, entschied sich jedoch, im Basiscamp zu bleiben und die Besteigung abzubrechen.

Im Gespräch mit Explorersweb gaben gleich mehrere Bergsteigerinnen zu jenem Tag an, dass sie beim Aufstieg von Lawinen getroffen wurden. Auch der 27-jährige Hassan soll von einer Lawine getroffen worden sein. Danach driften die Augenzeugenberichte auseinander. So erzählen einige, dass er mit seinem Kopf auf dem Gestein aufgeschlagen sein soll. Andere wiederum meinen, seine Sauerstoffmaske sei dabei zu Bruch gegangen.

Nach dem Sturz habe der Helfer über eine Stunde kopfüber über dem Abgrund gehangen und geschrien. Er wurde schliesslich von zwei Sherpas auf den Weg zurückgezerrt. «Zuerst war er noch am Leben, aber er konnte nicht gerettet werden. Dann mussten alle über ihn steigen, um zum Gipfel zu gelangen», sagt Bergsteigerin Allie Pepper, die ebenfalls vor Ort war. Die Drohnenaufnahmen des Österreichers Philip Flämig zeigen allerdings, dass Hassan noch mehrere Stunden um sein Leben kämpfte.

Der finanzielle Druck auf die Helfer

Helfer und Bergsteiger vor dem Gipfel des K2 im Himalaya.
Sie sind für die Besteigungen unerlässlich: Sherpas und Berghelfer.Bild: Shutterstock

Erschreckenderweise wurde der Verunglückte bereits vor dem Aufstieg gleich von mehreren Sherpas gewarnt. Er sei nicht genügend gerüstet für eine Gipfelbesteigung. Zudem attestierten diverse Augenzeugen, Hassan sei ein sehr unerfahrener Helfer gewesen. Es war sein erster Einsatz als Höhenträger, vorher arbeitete der Pakistani ausschliesslich im Basislager. Warum also begibt sich so jemand auf eine Gipfelbesteigung auf den gefährlichsten Berg der Welt?

«Er musste mehr Geld verdienen, um für seine kranke Mutter zu sorgen», sagt Flämig. Hassan hat in seiner Heimat für eine Familie mit drei Kindern zu sorgen. Je höher man in der Helfer-Hierarchie aufsteigt, je mehr Risiko man eingeht, desto mehr Geld verdient man. «Jeder will irgendwann Kunden auf den K2 führen, weil er da das meiste Geld kriegt. Die erfolgreichen pakistanischen Bergsteiger inspirieren die Jungen, und das geht dann auch sehr schnell, bis sie zum K2 kommen», sagt Bergsteigerin Filzmoser.

Sogar die Ausrüstung wird von den Helfern selbst auf ein Minimum beschränkt. Sie kriegen zwar ein gewisses Budget vom Veranstalter, ein Grossteil davon wird aber in die Heimat geschickt, ist sich Filzmoser sicher: «Gibst du ihnen Socken, verkaufen sie die.»

Die Veranstalter

Hassans Arbeitgeber, Lela Peak Expedition, hat sich bislang keinen Fragen über den Tod des 27-Jährigen gestellt. Klar ist allerdings, dass es eine gewisse Spannung zwischen den nepalesischen Sherpas und den schlechter ausgebildeten – und deshalb billigeren – Hilfskräften aus Pakistan gibt. Die Agenturen weichen immer stärker auf Arbeitskräfte aus Pakistan aus, um die Preise für die Expeditionen noch weiter zu drücken.

Die Sherpas hingegen fürchten um ihr Geschäft: «Sie sehen, dass sich die pakistanischen Hochträger auch immer besser in dem Gelände bewegen, aber sie wollen sich nicht die Butter vom Brot nehmen lassen», sagt Flämig zum Standard. Weiter sind die Pakistanis kaum geschützt. Hassans Familie zum Beispiel ist für dessen Tod nicht abgesichert. Mittlerweile haben Flämig und andere Bergsteiger Geld gesammelt und dieses der Familie gespendet.

Die Touristen

FILE - In this May 22, 2019, file photo, a long queue of mountain climbers line a path on Mount Everest just below camp four, in Nepal. Expedition operators on Mount Everest say that Chinese mountaine ...
Vor der Spitze des Mount Everest bildet sich eine Schlange aus Menschen: Sie alle wollen zum Gipfel.Bild: AP

Wie es zum Absturz kam, ist also auf mehrere Gründe zurückzuführen. Warum aber half niemand dem um sein Leben kämpfenden Hassan? Berichten zufolge hätten an diesem Tag zwischen 200 und 250 Personen eine K2-Gipfelbesteigung gewagt.

Um einen einzigen Arbeitgeber drängen sich gleich mehrere Sherpas und noch mehr Helfer. Für diesen sind sie persönlich verantwortlich: «Die sind fast schon überfordert damit, dass ihr Kunde überlebt. Bei diesen Bedingungen war es schon für die Sherpas unmenschlich. Aber die Sherpas, die ich kenne, würden nicht umdrehen, die kriegen ja auch einen Gipfelbonus», sagt Filzmoser.

Viele der erfahrenen Bergsteiger sind also davon absorbiert, ihre Kunden sicher auf den Gipfel und wieder runter zu bringen. Das prangert auch Bergsteigerlegende Reinhold Messner an, der den K2 bereits 1979 ohne Sauerstoff bezwang: «Das ganze Drama ist die Tatsache, dass diese Klienten zu 99 Prozent keine Fähigkeit und keine Erfahrung haben», sagt er im Interview mit dem Blick. Früher hätten sich die Bergsteiger gegenseitig geholfen. Das sei heute nicht mehr der Fall, sagt Messner.

Die Einstellung

Doch nicht nur die unerfahrenen Bergsteiger bringen die Dienstleister vor Ort an ihre Grenzen. Es sind auch die Extremsportler. Immer höher, immer schneller und unter immer schwierigeren Bedingungen müssen die Ziele erreicht werden.

So feierte die Norwegerin Kristin Harila am selben Abend ihre Rekorde im Basecamp. Beim Abstieg mussten sie und ihr Team über den leblosen Körper von Hassan steigen. Harila bezwang als erster Mensch die 14 höchsten Gipfel der Erde in nur 92 Tagen. Der Aufstieg auf den K2 war der letzte. Zeit für die Rettung einer unerfahrenen Hilfskraft aus Pakistan blieb dabei nicht.

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123 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Frank N. N. Stein
10.08.2023 16:30registriert August 2022
Ich hätte gedacht, dass es ein Gebot der Menschlichkeit ist, einem Menschen in Not zu helfen. Allemal sinnvoller, als der einhundertausendste Bergsteiger zu sein, der da oben hinaufkraxelt. Eine Schande, dieses Verhalten dieser Leute.
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caro90
10.08.2023 16:41registriert November 2015
Danke, dass ihr seinen Namen publiziert und damit demonstriert, was für diese perversen Sportler nicht mehr sichtbar war: Es ist ein Mensch, ein Vater, der alles für seine Familie riskiert hat, unter den Augen aller Anwesenden jämmerlich verreckt, obwohl er sehr wohl hätte gerettet werden können. Menschen wie diese Sportler, die über ihn gestiegen sind, verabscheue ich zutiefst. Die sollten wegen unterlassener Hilfeleistung in besonder Härte nun komplett für seine Familie aufkommen müssen.
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Randy Orton
10.08.2023 16:35registriert April 2016
Harila hat nicht nur beim Abstieg den toten Hassan Muhammed übersteigen müssen: Sie war hinter ihm beim Absturz, er war an 2. Stelle, ihre Kollegin an 5. sie an 6., ihr Kameramann an 7. Stelle. Die drei haben den Verunglückten der kopfüber am Seil hing mit mehr Seilen fixiert, Harila und ihre Kollegin sind dann weiter zum Gipfel, ihr Kameramann hat mit einem
Freund der direkt vor Muhammed an 1. Stelle war diesen zurück auf den Weg gezogen - der Kameramann ist dann weiter und hat zu Harila aufgeschlossen, die auf dem Gipfel fröhlich ein Video drehte, wo sie Sponsoren etc dankt…
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