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Wie ein Schatz aus Afghanistan in die Schweiz gelangte

An Afghan worker of Central Bank of Afghanistan waits for his order, lying down on the bed of old Afghani currency in Kabul Monday, December 9, 2002. Bank of Afghanistan is burning their old currency  ...
Ein Taliban, der auf Geld liegt.Bild: keystone

Wie ein Schatz aus Afghanistan in die Schweiz gelangte

Die Schweiz hütet einen Staatsschatz aus Afghanistan. Wie es dazu kam und was nun damit geschehen wird.
11.04.2023, 12:3711.04.2023, 16:25
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Seit der Machtübernahme der Taliban vor anderthalb Jahren ist die Wirtschaft Afghanistans kollabiert, die Arbeitslosigkeit explodiert, Frauenrechte wurden abgeschafft und über 22 Millionen Menschen leiden an Hunger. Unberührt vom Elend steht in Basel die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ). Aber was hat die BIZ mit Afghanistan zu tun?

Was fast niemand wisse: Die BIZ hüte neuerdings den Staatsschatz von Afghanistan, schreibt der Tagesanzeiger. Auf einem BIZ-Konto lägen rund 3,2 Milliarden Franken – die eigentlich der Afghanischen Zentralbank gehörten und damit dem afghanischen Volk.

Ein Überblick:

Wie alles begann

Als im August 2021 die Taliban in Kabul die Macht übernehmen, blockiert die USA Währungsreserven von rund 7 Milliarden Dollar. Dieses Geld deponiert die Afghanische Zentralbank in Amerika. Die Regierung von Joe Biden will damit verhindern, dass die Taliban das Geld zweckentfremden, etwa um Waffen zu kaufen.

Die Taliban haben seither mehrfach versucht, die Blockade aufzuheben, jedoch vergeblich.

Doch nicht nur die Taliban wollen das Geld, auch in Amerika reisst man sich darum: Opfer des Terroranschlags vom 11. September 2001 fordern vor Gericht das afghanische Geld als Schadensersatz. Zwei Gerichte haben ihre Klagen abgewiesen. Aber die Anwälte der Opfer ziehen den Fall weiter. Die Gerichtsverfahren lassen die Regierung von Joe Biden aktiv werden: Wenigstens ein Teil der Gelder soll vor findigen US-Anwälten sicher sein. Am 11. Februar 2022 verfügt Biden darum in einer sogenannten Executive Order: Rund die Hälfte, 3,5 Milliarden Dollar, sind ab sofort «für die Bedürfnisse des afghanischen Volks» geschützt. Biden will das Geld aber ins Ausland schaffen. Und zwar in die Schweiz, so der «Tagesanzeiger».

Die Lösung: Eine Stiftung nach Schweizer Recht

Das US-Finanzministerium wendet sich nur Wochen nach der Machtübernahme in Kabul an das Schweizer Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO), schreibt der «Tagesanzeiger». Die Anfrage aus Washington setzt im Bundeshaus eine politisch-finanzielle Operation in Gang. Eine Operation, die es so bisher noch nicht gegeben hat. Eine erste Besprechung findet am 22. November 2021 statt. Danach folgen Verhandlungen und Abklärungen, die fast ein Jahr dauern. In Bern sind fünf Departemente involviert, so der «Tagesanzeiger».

Am 5. September 2022 steht die Lösung: Ins Genfer Handelsregister wird die Stiftung «Fund for the Afghan People» eingetragen. Eine private Stiftung nach Schweizer Recht. Der Stiftungszweck ist: «Aktiven zugunsten des afghanischen Volkes erhalten, schützen, bewahren und ausgeben.» Die BIZ erklärt sich bereit, ein Konto für die neue Stiftung zu eröffnen. Amerika überweist 3’200’000’000 Franken.

Die Gelder dürfen aber nicht für humanitäre Hilfe verwendet werden, sondern sind nur für klassische Zentralbankaufgaben reserviert. Das Ziel sei es, die Gelder eines Tages an die Bank zurückgeben zu können.

Headquarters of the Bank for International Settlements BIS, pictured on March 23, 2010 in Basel, Switzerland. (KEYSTONE/Martin Ruetschi)

Der Hauptsitz der Bank fuer Internationalen Zahlungsausgleich  ...
Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ).Bild: KEYSTONE

Warum die Schweiz?

Aber warum die Schweiz? Die Schweiz habe nicht nur diplomatisches, sondern auch finanzielles Know-how, sagt ein Kenner des Dossiers in der Bundesverwaltung gegenüber dem «Tagesanzeiger».

Das Geld ist nun in der Schweiz. Und was jetzt?

Laut den Statuten besteht der Stiftungsrat aus vier Personen: Jay Shambaugh, ein Spitzenbeamter des US-Finanzministeriums, zwei afghanische Exilökonomen – der frühere Finanzminister Anwar ul-Haq Ahady und der frühere Zentralbanker Shah Mohammad Mehrabi – sowie die Schweizer Diplomatin Alexandra Baumann.

Alexandra Baumann.
Alexandra Baumann.bild: screenshot eda

Die problematische Nähe der Zentralbank zum Taliban-Regime

Die Bedingungen für eine Rückgabe des Geldes an die Afghanische Zentralbank sind streng. Das machten im September 2022 das US-Finanz- und das Aussenministerium in einer öffentlichen Stellungnahme deutlich: Bevor die Zentralbank ihr Geld zurückerhalte, müsse sie ihre politische Unabhängigkeit von den Taliban nachweisen und Kontrollen gegen Geldwäscherei und Terrorismusfinanzierung implementieren.

Doch momentan scheint dies schwierig. Denn die afghanische Zentralbank habe eine «problematische Nähe zum Taliban-Regime», heisst es bei dem Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA).

Ende März wurde ein neuer Zentralbank-Chef ernannt – ein Mann, der als langjähriger Fundraiser der Taliban bekannt ist und als ihr Finanzminister amtierte.

Bank officers and international observers count randomly some bundles of Afghani notes in a bid to detect any fraud in the process before destroying them by fire at an incinerator Wednesday Dec. 18, 2 ...
Bis im Sommer soll die Stiftung erste Gelder ausschütten.Bild: AP

Im Sommer soll Geld fliessen

Bisher wurde noch kein Franken ausgegeben. Allerdings hat das Geld bereits Millionen Franken Zinsen abgeworfen. Bis im Sommer, hofft Baumann, soll die Stiftung erste Gelder ausschütten, so der «Tagesanzeiger».

Die Stiftung könnte Schulden Afghanistans bei internationalen Finanzinstitutionen tilgen, damit das Land im Gegenzug neue Hilfsgelder bekommt. Sie könnte den Bankensektor mit Liquidität versorgen oder den Wechselkurs des Afghani stabilisieren. Oder sie könnte kritische Importe wie Elektrizität bezahlen.

In Kabul jedoch macht der neue Zentralbankenchef klare Ansagen: Er werde die «erteilten Befehle und Anweisungen» der Taliban-Regierung respektieren. Auch habe er das Geld im Ausland nicht vergessen und werden so lange die «Gespräche über die Freigabe der Devisenreserven und deren rechtmässige Verwendung fortsetzen, bis die gewünschten Ergebnisse erreicht sind».

(oee)

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10 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Schlaf
11.04.2023 13:02registriert Oktober 2019
„Die Schweiz habe nicht nur diplomatisches, sondern auch finanzielles Know-how, sagt ein Kenner des Dossiers in der Bundesverwaltung, gegenüber dem «Tagesanzeiger».”

Ja, dass wurde in den letzten Wochen super bewiesen🤦🏼‍♂️
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