Am Anfang des abrupten Endes der 55-jährigen WEF-Karriere von Klaus Schwab steht ein Whistleblower, der – anonym – schwere Anschuldigungen erhebt. Genau genommen ist es nicht der Whistleblower, der Schwab am Ostersonntag zum sofortigen Rücktritt bewog, sondern die Reaktion seines eigenen Stiftungsrats auf dessen Vorwürfe.
Aber der Reihe nach. Am frühen Ostermontag teilte das Weltwirtschaftsforum überraschend den Abgang seines Gründers mit. Klaus Schwab wurde wie folgt zitiert: «Nach meiner kürzlichen Ankündigung und mit dem Eintritt in mein 88. Lebensjahr habe ich beschlossen, mit sofortiger Wirkung von meinem Amt als Vorsitzender sowie als Mitglied des Stiftungsrats zurückzutreten.» Weiter hiess es in der Mitteilung, an einer ausserordentlichen Sitzung des Stiftungsrats am 20. April sei der Rücktritt von Klaus Schwab zur Kenntnis genommen worden. Es folgte ein Dank.
Gründe für den abrupten Rückzug wurden keine genannt. Das war seltsam, denn bislang hiess es, Schwabs Nachfolge werde bis Anfang 2027 geregelt sein.
Schnell schossen die Spekulationen ins Kraut. Medien im In- und Ausland fragten sich, ob eine Untersuchung in den USA damit zu tun habe. Dort hatten Mitarbeiterinnen Diskriminierungsvorwürfe erhoben. Später wurde ein Sonderausschuss eingesetzt. Dieses Newsportal fragte: «Hat der Ausschuss etwas gefunden, das zu Schwabs sofortigem Rücktritt führt?» Aus Schwabs Umfeld verlautete zudem, er habe nicht mehr die Lust, in dem veränderten, radikalisierten Umfeld, geprägt vom Populisten Trump, die Organisation in die Zukunft zu führen.
In der «NZZ» erteilte Schwab den Spekulationen eine Absage und nannte das Rücktrittsmotiv. In der Dienstagsausgabe sagte er, er habe seinen 87. Geburtstag mit seiner Frau im Ausland verbracht und über seine Zukunft nachgedacht. Dabei sei er zum Schluss gekommen, dass es viel Energie brauche, das Forum in dieser schwierigen Weltsituation zu führen. Diese Aufgabe müsse jemand Neues übernehmen.
Dieser Beweggrund vermochte jedoch nicht zu erklären, warum Schwab derart überstürzt und dazu noch an einem Ostersonntag den Rücktritt einreichte. Die Erklärung dafür lieferte am Dienstagabend das «Wall Street Journal», das bereits die Diskriminierungsstory enthüllt hatte. Demnach schmiss Schwab den Bettel hin, nachdem der Stiftungsrat gegen seinen Willen beschloss, Whistleblower-Vorwürfe zu untersuchen. Diese klingen so abenteuerlich, dass man sich angesichts der korrekten Wesensart von Schwab fast nicht vorstellen kann, dass sie zutreffen:
Schwab bestreitet die Vorwürfe nicht nur vehement, sondern er kündigt auch an, rechtlich gegen die anonymen Verfasser und Verbreiter der Anschuldigungen vorzugehen. Im «Wall Street Journal» sagt ein Sprecher von Schwab, dieser habe Massagen stets aus eigener Tasche bezahlt, und die Anschuldigungen zu Bargeld und Luxusreisen seien unwahr.
Dass anonym Vorwürfe gegen einflussreiche Chefs grosser Organisationen erhoben werden, ist nicht ungewöhnlich. Bei Schwab ohnehin nicht, der notorisch von Verschwörungstheoretikern verfolgt wird, deren Lieblingsfeinde Georges Soros und Bill Gates Stammgäste am WEF sind.
Ungewöhnlich ist etwas anderes: Dass der Stiftungsrat die Vorwürfe für relevant genug hält, um sie untersuchen zu lassen. Dabei erhielt das Gremium den anonymen Brief erst letzte Woche. Man muss sich das vorstellen: Der Mann, der das WEF aufgebaut und alle 27 Mitglieder des Stiftungsrats persönlich für das Amt angefragt hat, wird von ebendiesem Gremium fallen gelassen – indem es gegen seinen Willen eine Untersuchung aufgrund anonym erhobener Vorwürfe einleitet.
Das riecht nach Palastrevolution. Jedenfalls muss es Schwab so empfunden haben, sodass er an der österlichen Sitzung den Rücktritt bekannt gab.
Dass der Stiftungsrat leichthin eine Untersuchung startet, ist allerdings schwerlich anzunehmen. Dort sitzen immerhin Persönlichkeiten wie Christine Lagarde, Chefin der Europäischen Zentralbank, Ex-US-Vizepräsident Al Gore, Königin Rania von Jordanien und Roche-Vizepräsident André Hoffmann. Geleitet wird es seit Sonntag interimistisch von Ex-Nestlé-Chef Peter Brabeck-Lethmathe (80). Dass sie den Bruch mit Klaus Schwab zumindest in Kauf nehmen und ebenso, dass ein Schatten auf sein Lebenswerk fällt, ist fast nur dann vorstellbar, wenn die anonymen Vorwürfe detailliert belegt waren.
Das «Wall Street Journal» bleibt hier vage, mit einer Ausnahme. Es nennt die Nutzung der «Villa Mundi», einem Anwesen am Genfersee, das dem WEF gehört. Es wird gemäss der Zeitung behauptet, Hilde Schwab kontrolliere den Zugang zur Villa, und Teile seien angeblich für den privaten Gebrauch der Familie reserviert. Die Schwabs bestreiten dies. Die Villa soll etwa 30 Millionen Dollar gekostet und zusätzlich rund 20 Millionen für Renovierungen verschlungen haben.
Die offizielle WEF-Kommunikation widerspiegelt bereits die neuen Machtverhältnisse in der über 1000-köpfigen Organisation. In einer Stellungnahme erklärte das Forum, dass der Stiftungsrat einstimmig die Entscheidung unterstützt habe, eine unabhängige Untersuchung einzuleiten, «nachdem ein Whistleblower-Schreiben Anschuldigungen gegen den ehemaligen Vorsitzenden Klaus Schwab enthielt. Diese Entscheidung wurde nach Rücksprache mit externen Rechtsberatern getroffen.» Das Forum teilte weiter mit, es nehme «diese Anschuldigungen ernst», betonte aber auch, sie seien bislang unbewiesen, und man werde das Ergebnis der Untersuchung abwarten.
Offen bleibt die Frage: Warum hat das WEF die Untersuchung in seiner Kommunikation am Ostermontag nicht selber erwähnt? Die neusten Enthüllungen werden die Organisation nicht so schnell zur Ruhe kommen lassen. (aargauerzeitung.ch)