International
Schweiz

Bundesrat soll EU-Sanktionen gegen Iran übernehmen und landet im Dilemma

«Nicht nachvollziehbar»: Bundesrat soll EU-Sanktionen gegen Iran übernehmen

Der Nationalrat will eine aktivere Politik der Schweiz gegenüber dem iranischen Mullah-Regime. Aussenminister Ignazio Cassis verteidigte die Schweizer Zurückhaltung vergeblich. Hinter dieser verbirgt sich auch die Furcht des Bundesrats, China zu verärgern.
09.03.2023, 20:42
Christoph Bernet / ch media
Mehr «International»

Im Parlament ist der Unmut über die Haltung des Bundesrats gegenüber dem iranischen Regime gross. Im Zentrum der Kritik: Der Entscheid des Bundesrats vom November 2022, die EU-Sanktionen gegen die Verantwortlichen für die gewaltsam Unterdrückung der Protestbewegung im Iran nicht zu übernehmen.

Bundesrat Ignazio Cassis spricht zum Verhaeltnis zur Europaeischen Union, an der Fruehjahrssession der Eidgenoessischen Raete, am Donnerstag, 9. Maerz 2023 im Nationalrat in Bern. (KEYSTONE/Alessandro ...
Bundesrat Ignazio Cassis (FDP) am Donnerstag im Nationalratssaal.Bild: keystone

Nach «einer Abwägung aller innen- und aussenpolitischen Interessen der Schweiz» kam der Bundesrat damals zum Schluss, lediglich die EU-Sanktionen im Zusammenhang mit der Lieferung von iranischen Drohnen nach Russland zu übernehmen. Nicht übernommen wurden diejenigen Sanktionen, die unter das sogenannt «thematische» EU-Sanktionsregime zu schweren Menschenrechtsverstössen fallen.

EDA-Abteilungsleiterin Maxa Tissafi im Gespräch mit dem iranischen Regierungsberater Ali Asghar Khaji (Teheran, 19. Februar).
EDA-Abteilungsleiterin Maxa Tissafi im Gespräch mit dem iranischen Regierungsberater Ali Asghar Khaji (Teheran, 19. Februar).Bild: Irna / IRNA

Zwei Auftritte von Schweizer Diplomatinnen im Kopftuch gemeinsam mit iranischen Offiziellen verstärkten die Kritik an der bundesrätlichen Iran-Politik weiter. Bereits letzte Woche verurteilte der Nationalrat in einer Erklärung die Gewalt im Iran und forderte den Bundesrat zu einer aktiveren Rolle auf.

«Schweiz leistet sicherheitspolitischen Beitrag»

Am Donnerstag kam das Thema in Form einer Motion in den Rat. Der Bundesrat habe sich bisher geweigert, «sich den europäischen Bestrebungen zur Förderung von Menschenrechten und Demokratie anzuschliessen», kritisierte Fabian Molina (SP/ZH).

Aussenminister Ignazio Cassis (FDP) verteidigte die Linie des Bundesrats. Dieser habe die Gewalt an Demonstrierenden mehrmals unmissverständlich verurteilt. Man könne als eines der wenigen westlichen Länder Kritik direkt bei iranischen Regierungsvertretern anbringen. «Die Schweizer Aktivitäten werden von westlichen Staaten und der UNO ausdrücklich geschätzt», so Cassis.

Im Rahmen des wechselseitigen Schutzmachtmandats für die USA und den Iran leiste die Schweiz in einer sich verschlechternden Weltlage «durch das Aufrechterhalten bestehender Kommunikationskanäle einen wichtigen sicherheitspolitischen Beitrag».

Einer Mehrheit des Nationalrats reichten Cassis' Erklärungen nicht. Er sprach sich mit 105 zu 65 Stimme für die Motion aus, die den Bundesrat zu einer aktiveren Unterstützung der iranischen Zivilgesellschaft und die Übernahme aller EU-Sanktionen verpflichten will. Die Motion geht nun in den Ständerat. Sollte sie auch dort bestehen, müsste der Bundesrat einen entsprechenden Entwurf zuhanden des Parlaments ausarbeiten.

Bundesrat im China-Clinch

Er dürfte sich dabei Zeit lassen. Grund dafür: Die Furcht vor negativen Auswirkungen auf die wirtschaftlichen Beziehungen zu China. Denn mit der Übernahme der EU-Menschenrechtssanktionen gegen Iran dürfte unweigerlich die Frage nach Sanktionen gegen China in den Fokus rücken.

Schliesslich hat die EU im Rahmen dieses Sanktionsregimes vor unterdessen fast zwei Jahren auch in der Uiguren-Provinz Xinjiang tätige chinesische Beamte und Unternehmen sanktioniert. Sollte die Schweiz diese Sanktionen übernehmen, so «werden die chinesisch-schweizerischen Beziehungen darunter leiden», drohte Chinas Botschafter in Bern im November in einem Interview mit der «NZZ am Sonntag».

Das weiss der Bundesrat. Er schiebt das Dossier der thematischen EU-Sanktionen vor sich her, obwohl seit Sommer 2021 ein Grundlagenpapier der Verwaltung über die rechtlichen Auswirkungen und die Chancen und Risiken vorliegt. Bereits zweimal wurde die Frage in einer Bundesratssitzung diskutiert. Ergebnis: Im September 2022 beschloss man, «die diesbezügliche Analyse zu vertiefen», bevor man entscheiden könne. Im Dezember hiess es dann, erst müsse man noch «gewisse Aspekte vertiefter analysieren». Affaire à suivre. (aargauerzeitung.ch)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
220308 Ignazio Cassis zur Ukraine
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
28 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Kafeetrinker
09.03.2023 21:43registriert Januar 2023
Aber Hallo. Selbstverständlich wollte Bundesrat nichts machen.
Wir sind "neutral." Konsequent!
Am liebsten Kopf in Sand, ducken und sich unsichtbar machen.
Weil sonst können wir Russland, China, die Mullahs oder Nord Korea verärgert.
Und immer schön die Illusion und Selbstüberschätzung von unsere "wichtige Rolle" in Weltpolitik weiter pflegen.
Rückgrat oder nur einbisschen Mut ewt. Eigensinitiative?
Fehlanzeige.
Überfordertes Schönwetter Bundesrat.
8714
Melden
Zum Kommentar
avatar
N. Y. P.
09.03.2023 21:21registriert August 2018
Hinter dieser verbirgt sich auch die Furcht des Bundesrats, China zu verärgern.


Ich habe schon lange das Gefühl, das die offizielle Schweiz fast in die Hosen macht, wenn China böse auf uns ist.

Die USA und die EU sollen endlich massiv Druck auf die Schweiz ausüben. Dieses Zurückhaltungsgeschwurbel und Neutralitätsgeschwafel und die Chinahörigkeit ist einfach zum Schämen.
8119
Melden
Zum Kommentar
avatar
SirStonealot
09.03.2023 21:08registriert November 2019
Feige, Erbärmlich, Opportunistisch...
Mehr fällt mir dazu nicht ein.
445
Melden
Zum Kommentar
28
Schlechteste Weinernte der Welt seit 62 Jahren – ausser in der Schweiz
Die Wetterextreme führten vergangenes Jahr weltweit zur schlechtesten Weinernte seit 62 Jahren – ausser in der Schweiz. Doch auch hierzulande hat das Klima Einfluss auf die Produktion, wie ein Experte zu watson sagt.

Die weltweite Weinproduktion ist im vergangenen Jahr um zehn Prozent zurückgegangen. Es war laut der internationalen Organisation für Rebe und Wein (OIV) die weltweit schlechteste Weinernte seit 1961.

Zur Story