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Interview mit Daniel Kipfer: Ombudsmann beim UNO-Sicherheitsrat.

Interview

Schweizer beim UNO-Sicherheitsrat: «Man steht nicht immer auf der richtigen Seite»

Daniel Kipfer hat als erster Schweizer für den UNO-Sicherheitsrat gearbeitet. Bald amtet er wieder als Richter in der Schweiz. Ein Gespräch über Black Lists, Russland und Heuchelei.
28.12.2021, 15:17
Christoph Bernet und Benjamin Rosch / ch media
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Seine Stelle sei «ein Diamant in einer Wüste von Menschenrechtsverletzungen»: Daniel Kipfer.
Seine Stelle sei «ein Diamant in einer Wüste von Menschenrechtsverletzungen»: Daniel Kipfer.Bild: ch media / Roland Schmid

Vor nicht ganz vier Jahren liess sich Daniel Kipfer, damals Präsident des Bundesstrafgerichts, beurlauben, um einen schwierigen Job anzunehmen: Ombuds­person des UNO-Sicherheitsrats. Als solcher war er zuständig dafür, mutmassliche Terroristen von der Sanktionsliste für Al-Kaida- und IS-Unterstützer, der sogenannten Black List, zu streichen. Wer darauf landet, hat nichts mehr: kein eigenes Vermögen, keine Reisemöglichkeit. Seit kurzem ist Kipfer wieder zurück in der Schweiz, wo er bald wieder als Richter amtet.

Herr Kipfer, wie muss man sich Ihren Job vorstellen?
Daniel Kipfer:
An mich gelangen Personen, die auf der Sanktionsliste des UNO-Sicherheitsrates stehen und dies als Unrecht empfinden. Ich bin dafür zuständig, dies mit eigenen Recherchen und gestützt auf Informationen des UNO-Sicherheitsrats zu überprüfen, Gespräche mit den Betroffenen zu führen und allenfalls im Rat einen Antrag zu stellen, die Person von der Liste zu streichen.

Wie reagieren Terroristen, wenn Sie Ihnen vis-à-vis sitzen?
Anders, als man sich vorstellt. Zunächst einmal sind alle extrem dankbar, dass sich jemand mit ihnen unterhält. In Italien beispielsweise datieren manche Fälle zwanzig Jahre zurück. Und dann treffe ich eine Person, die sich heute erstmals zu den Vorwürfen überhaupt äussern kann. In italienischen Fällen sind es oft junge Tunesier, die eingewandert, in die Kleinkriminalität abgeglitten sind und sich in einer Moschee radikalisiert haben. Tragische Schicksale eigentlich.

«Ich habe aber den Eindruck, dass Anträge im Sicherheitsrat nicht gross hinterfragt werden. Es stellen sicher nicht alle Mitgliedstaaten eigene Recherchen an.»

Wie lautet Ihr persönliches Fazit nach fast vier Jahren?
Ein positives. Durch die Ombuds­person erhalten Menschen rechtliches Gehör. Wir konnten viele Gesuche erfolgreich behandeln und Leute von der UN-Sanktionsliste streichen, die dort nicht mehr hingehören.

Bedeutet das im Umkehrschluss, dass viele Unschuldige auf den Listen stehen?
Identitätsverwechslungen, eigentliche Fehler kamen am Anfang nach dem Schaffen dieser Stelle vor. Heute sind es aber Fälle, in denen man beurteilen muss, ob die Gründe für die Sanktion noch gegeben sind.

«Es handelt sich ja nicht um Strafen, sondern um Präventivmassnahmen im Namen des Weltfriedens.»

Wer auf der Liste steht, erfährt empfindliche Einschränkungen von Grundrechten. Wie es zum Entscheid kommt, ist aber oft intransparent: Der Sicherheitsrat stützt sich auf Geheimdienstinformationen.
Das ist unterschiedlich. In manchen Fällen stehen umfassende Gerichtsakten zur Verfügung.

Aber funktionieren die Sicherheitsratsstaaten nicht nach dem Prinzip: «Wir listen unsere Personen, ihr dafür eure»?
Das kann ich nicht abschliessend beurteilen. Ich behandle nur Gesuche von Antragsstellern, die nicht mehr auf der Liste stehen wollen, und bin in die Anordnung von Sanktionen nicht involviert. Ich habe aber den Eindruck, dass Anträge im Sicherheitsrat nicht gross hinterfragt werden. Die Basis ist oft dünn. Es stellen sicher nicht alle Mitgliedstaaten eigene Recherchen an.

Wer auf eine Sanktionsliste gerät, wird vorher nicht angehört. Ist das vereinbar mit den Menschenrechten?
Das ist die Frage. Es handelt sich ja nicht um Strafen, sondern um Präventivmassnahmen im Namen des Weltfriedens. Der Anspruch des Beweislevels ist tief. U-Haft wird auch präventiv angeordnet. Das Problem hier ist, dass die Sanktion nicht regelmässig substanziell überprüft wird.

Bei der U-Haft gibt es aber eine Einvernahme.
Vor der Verhaftung werden sie auch nicht gefragt. Rechtlich ist das hier aber ein Konflikt. Es gibt die Ansicht, dass der Sicherheitsrat Sanktionen gegen Einzelpersonen aussprechen darf, dass die Ausgestaltung des Verfahrens aber in Widerspruch mit Menschenrechtsgarantien steht. Deshalb ist es auch entscheidend, dass man sich dagegen wehren kann, eben bei der Ombudsstelle.

«Ich kritisiere, dass es der UNO nicht gelingt, das Mandat der Ombudsperson auf eine institutionell saubere Basis zu stellen.»

Damit sind Sie aber auch Teil des Legitimationsprozesses. Sind Sie ein Feigenblatt für den UNO-Sicherheitsrat?
Ja und nein. Jene Leute, die durch uns von der Liste gestrichen wurden, kämen nicht auf die Idee, uns ein Feigenblatt zu nennen. Die faktische Power der Ombudsstelle ist riesig. Auch wenn es rechtlich gesehen nur Empfehlungen sind: Alle bisherigen Anträge der Ombudsperson auf Streichen wurden angenommen.

Liest man Ihren «Letter of Resignation» an UNO-Generalsekretär António Guterres, klingt darin Frustration an.
Es ist keine persönliche Frustration. Der Vertrag hat einfach nicht mehr zu meiner Situation als beurlaubter Schweizer Richter gepasst. Ich hätte höchstens noch eineinhalb Jahre in New York arbeiten können, danach wäre mein Vertrag ausgelaufen. Ich kritisiere aber, dass es der UNO nicht gelingt, das Mandat der Ombudsperson auf eine institutionell saubere Basis zu stellen. Das zeigt sich beispielsweise daran, dass ich keine Stellvertretung hatte. Wäre ich krank geworden, wären alle Verfahren stehen geblieben. Ein weiteres Beispiel: Meine beiden Mitarbeiterinnen waren mir formell nicht unterstellt. Die Unabhängigkeit ist institutionell ungenügend gewährleistet.

«Ich kritisiere aber, dass es der UNO nicht gelingt, das Mandat der Ombudsperson auf eine institutionell saubere Basis zu stellen.»
«Ich kritisiere aber, dass es der UNO nicht gelingt, das Mandat der Ombudsperson auf eine institutionell saubere Basis zu stellen.»Bild: ch media / Roland Schmid

Woran liegt das?
Zum einen daran, dass einigen Mitgliedstaaten nicht viel an dieser Stelle gelegen ist. Und dann war mein Eindruck: Die UNO kann häufig erst reagieren, wenn ein Problem unmittelbar droht, nicht vorher.

Die Schweiz ist als UNO-Mitglied verpflichtet, Sanktionen umzusetzen. (...) Mitreden kann man nur, wenn man dabei ist. Alles andere ist heuchlerisch.

Diese Probleme hat schon Ihre Vorgängerin bemängelt.
Das stimmt, aber man kann auch anders argumentieren: Freuen wir uns darüber, dass es diese Stelle überhaupt gibt, für das Al-Kaida- und IS-Sanktionsregime. Und sie ist wirksam. In den anderen Sanktionsregimen wie etwa beim Irak oder beim Nordkorea-Sanktionsregime gibt es keinen solchen Mechanismus. Mir wurde einmal gesagt, meine Stelle sei ein Diamant in einer Wüste von Menschenrechtsverletzungen. Wenn ich einen Antrag auf De-Listing stelle, müssen sämtliche Sicherheitsratsmitglieder opponieren, damit der Antrag abgewiesen werden könnte. Das ist entscheidend, und deshalb lautet die Quote angenommener Anträge hundert Prozent.

Die Schweiz kandidiert erstmals für einen Sitz im UNO-Sicherheitsrat, die Wahl findet im Juni statt, und die Chancen stehen gut. Ist die Kandidatur richtig?
Ich kann dies nur aus Perspektive der Sanktionen beurteilen und hier ist meine Meinung klar: Die Schweiz ist als UNO-Mitglied verpflichtet, Sanktionen umzusetzen. Diese werden vom Sicherheitsrat angeordnet. Die Schweizer sind die Ersten, die auf die Menschenrechte pochen und Sanktionen kritisieren, dann muss man auch in jenes Gremium. Mitreden kann man nur, wenn man dabei ist. Alles andere ist heuchlerisch.

Ist das realistisch? Sie kennen die Machtverhältnisse im Sicherheitsrat wohl genau. Die Vetomächte lassen sich doch nicht von einer Schweiz beeindrucken, die nur für zwei Jahre Einsitz nimmt.
Ich kenne die internen Verhältnisse auch nicht genau. Die Schweiz könnte als Mitglied höhere Standards bei Sanktionsanordnungen verlangen. Und: Die Schaffung meiner Stelle war damals ja eine grosse Überraschung. Deswegen bin ich überzeugt, dass Verbesserungen möglich sind, wenn man den Mut hat, sie zu verlangen. Dazu muss man mitmachen.

«Es ist nicht einfach so, dass man selber immer auf der richtigen Seite steht – auch wenn man das gerne so sähe.»

Der Sicherheitsrat fällt hochpolitische Entscheidungen. Ritzt man damit nicht den Neutralitätsgedanken?
Das müssen letztlich Diplomaten entscheiden. Aber ist es nicht doppelzüngig, eine Entscheidung zwar umzusetzen, sich aber aus der Entscheidfindung he­r­auszuhalten? Und dann gäbe es ja auch die Möglichkeit, zu sagen: Wenn ein Entscheid gewisse Mindeststandards nicht erfüllt, setzt ihn die Schweiz nicht um. Verbesserungen sind möglich, aber man muss Verantwortung übernehmen.

Wie wird die Schweiz innerhalb der UNO wahrgenommen?
Die Schweiz hat einen sehr guten Ruf. Schweizer Diplomatinnen und Diplomaten gelten als sehr geschickt, die Marke der Neutralität ist stark. Aber das Ansehen hat in der Pandemie etwas gelitten, zumindest bei Leuten, mit denen ich zu tun hatte.

Warum?
Die UNO ist ja auch in Genf präsent. Das Land ist als Arbeitsort ein Thema. Die Schweiz wurde in der Pandemie als sprunghaft wahrgenommen. Das Hin- und Herschieben von Kompetenzen von Bund zu Kantonen wurde kritisch registriert. Eine Kollegin aus Pakistan etwa konnte kaum glauben, dass sich die Leute hier trotz Impfstoffs im Überfluss nicht impfen lassen. Ich weiss aber nicht, ob das repräsentativ ist: Das sind einfach die Reaktionen, die ich als Schweizer wahrgenommen habe.

Nun kehren Sie zurück ans Bundesstrafgericht. Geraten Sie von einem Wespennest ins andere?
Ich kann mich dazu nicht äussern. Ich habe die Berichterstattung verfolgt, war aber in den letzten dreieinhalb Jahren nicht dabei.

Was wird Ihnen fehlen?
Die Diversität in der UNO und generell in New York. Hier dünkt mich alles sehr uniform.

Wenige Menschen erhalten einen Einblick in die Weltpolitik wie Sie. Schauen Sie die Welt mit anderen Augen an?
Ja, eindeutig. Ich mache ein Beispiel: Aus westlicher Sicht wird das Verhalten von Russland im Sicherheitsrat häufig als Obstruktion interpretiert. Das mag es auch geben, klar. Aber das ist in vielen Fällen zu einfach. Es gibt oft nachvollziehbare und legitime Gründe für gewisse Handlungen, wenn man näher hinschaut. Ich habe vielmehr das Gespür dafür erhalten, dass auch das eigene Verhalten reflektiert werden müsste. Es ist nicht einfach so, dass man selber immer auf der richtigen Seite steht – auch wenn man das gerne so sähe.

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