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Die Schweiz soll Schutzmacht der Ukraine in Russland werden

Die Schweiz soll Schutzmacht der Ukraine in Russland werden – ein diplomatischer Coup

Die Gespräche zwischen dem Bund und der Ukraine stehen kurz vor dem Abschluss: Die Schweiz soll künftig als Schutzmacht die Ukraine in Russland vertreten. Es wäre ein Erfolg für Bundespräsident Ignazio Cassis und seine Diplomaten. Doch noch muss Moskau zustimmen.
25.05.2022, 07:2725.05.2022, 07:44
Stefan Bühler, Francesco Benini / ch media
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Am 30. April führten der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj und Bundespräsident Ignazio Cassis ein Telefongespräch. Danach deuteten sie es in separaten, auf Englisch abgefassten Tweets lediglich an: Man habe die Möglichkeit diskutiert, dass die Schweiz konsularische Dienste für Ukrainerinnen und Ukrainer in Russland erbringen könnte, schrieb Selenskyj. Cassis notierte, die Schweiz könnte mit ihren Guten Diensten zur Rückkehr zum Frieden beitragen.

Inzwischen steht das Projekt kurz vor dem Abschluss: Die Schweiz dürfte schon bald ein Schutzmachtmandat für die Ukraine in Russland übernehmen. Dies zeigen Recherchen rund um das Treffen von Cassis mit dem ukrainischen Aussenminister Dmytro Kuleba vom Dienstagabend am WEF in Davos.

epa09972875 Ignazio Cassis (R), President of the Swiss Confederation, shakes hand with Dmytro Kuleba (L), Minister of Foreign Affairs of Ukraine, during the 51st annual meeting of the World Economic F ...
Der ukrainische Aussenminister Dmytro Kuleba (l.) bestätigte am Dienstagabend nach einem Treffen mit Bundespräsident Ignazio Cassis die Gespräche über ein Schutzmachtmandat.Bild: keystone

Bisher keine Vorbehalte aus Moskau

Auf Anfrage bestätigte das Aussendepartement (EDA), die Schweiz habe den beiden Kriegsparteien ihre Guten Dienste angeboten. «Dazu gehören grundsätzlich auch Schutzmachtmandate, welche nach internationalem Recht das Einverständnis aller drei beteiligen Staaten voraussetzen.» Entsprechende Gespräche seien initiiert worden, weitere Informationen würden derzeit nicht bekannt gegeben.

Offensiver kommunizierte am Dienstagabend Kuleba. Er bestätigte gegenüber dieser Zeitung:

«Wir sind in dieser Sache in Gesprächen, die Schweiz hat viel Erfahrung als Schutzmacht.»

Die Vorsicht des EDA einen guten Grund. Wie es schreibt, muss Moskau dem Schutzmachtmandat auch noch zustimmen. Denn nachdem die Schweiz sämtliche EU-Sanktionen gegen Russland übernommen und damit Putins Regime erzürnt hat, ist dies keine Selbstverständlichkeit.

Allerdings wurde Moskau bereits über die Pläne und die laufenden Verhandlungen zwischen Bern und Kiew informiert und hat, so ist zu vernehmen, bisher keine Vorbehalte angebracht. Die Chancen stehen demnach nicht schlecht – allerdings hat sich die russische Regierung zuletzt nicht mit grosser Zuverlässigkeit und Berechenbarkeit ausgezeichnet.

Nach losen Kontakten konkretisiert sich der Plan

Die Bemühungen um dieses neue Engagement der Schweizer Diplomatie reichen zurück in den Februar: Mit dem Einmarsch der russischen Truppen hat die Ukraine ihre diplomatischen Beziehungen zu Moskau abgebrochen. Schon kurz darauf signalisierte Bern der Regierung in Kiew, man sei bereit, bei Bedarf als Schutzmacht in Russland zu agieren. Nach einigen Wochen loser Kontakte konkretisierte sich das Vorhaben, mit dem erwähnten Telefonat der beiden Präsidenten am 30. April als Auftakt.

Seither haben Diplomatinnen und Diplomaten beider Seiten die Modalitäten der Vereinbarung ausgehandelt. Die Gespräche drehten sich etwa um die Frage, wie viel Personal die Schweiz stellen wird und wie viele Ukrainerinnen und Ukrainer künftig unter dem Dach der Schweizer Botschaft in Moskau arbeiten werden. Dabei geht es offiziell nicht um Vermittlungen im Konflikt, sondern um die Erbringung von konsularischen Diensten - wie dem Ausstellen von Ausweisen oder Reisegenehmigungen.

Lange Tradition der Schweiz als Schutzmacht

Mandate als Schutzmacht wahrzunehmen, hat in der Schweiz eine lange Tradition: Es geschah zum ersten Mal im Deutsch-Französischen Krieg in den Jahren 1870 bis 1871. Liegen zwei Staaten in einem heftigen Streit, brechen sie oft die diplomatischen Beziehungen zueinander ab – ganz oder teilweise. Ein dritter Staat übernimmt dann einen Teil der konsularischen und diplomatischen Aufgaben.

Das kann in eine Richtung oder in beide geschehen. Die Schweiz vertritt die Interessen der USA gegenüber Iran, während die Interessen Irans gegenüber den USA von Pakistan wahrgenommen werden. Zwischen Russland und Georgien ist die Schweiz hingegen Schutzmacht beider Länder. Nach dem Krieg Russlands gegen Georgien im Jahr 2008 brach Tiflis die diplomatischen Beziehungen zu Moskau ab.

Die Schweiz als neutrales Land ist prädestiniert, für die Rolle als Schutzmacht angefragt zu werden. Im Zweiten Weltkrieg vertrat die Schweiz die Interessen von 35 Staaten. Ein weltweit bekanntes Mandat war die Wahrnehmung der amerikanischen Interessen gegenüber Kuba. Es lief 2015 aus, als die beiden Staaten wieder diplomatische Beziehungen zueinander aufnahmen.

Bessere Beziehungen auszuhandeln, steht nicht im Vordergrund

Die Schweiz gilt als zuverlässig und als effizient in der Abwicklung konsularischer und diplomatischer Aufgaben. Zurzeit erfüllt das Land sieben Mandate als Schutzmacht. Seit 2018 nimmt die Schweiz die Interessen Saudi-Arabiens in Iran und umgekehrt wahr; dass die Eidgenossenschaft mit dieser Aufgabe betraut wurde, stiess international auf Beachtung.

Im Zusammenhang mit Schutzmachtmandaten wird häufig von der «Briefträgerfunktion» gesprochen: Für das Land, welches das Mandat wahrnimmt, steht nicht im Vordergrund, zwischen zwei verfeindeten Staaten zu vermitteln, sondern sicherzustellen, dass die Kontakte nicht ganz abbrechen.

Trotzdem wäre es für das EDA zweifellos ein Erfolg, wenn die Ukraine die Schweiz nun als Schutzmacht gegenüber Russland auswählt. Es zeigt, dass die Schweizer Diplomatie nach wie vor hohes Ansehen geniesst.

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Ukraine-Krieg: die Akteure im Überblick
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Ukraine-Krieg: die Akteure im Überblick
Durch Russlands Angriff auf die Ukraine in der Nacht vom 23. auf den 24. Februar, ist die jahrelange Ukraine-Krise von einem blossen Konflikt zum Krieg geworden. Wer die wichtigsten Beteiligten sind, erfährst du hier:

Wladimir Putin ist seit 2000 (mit Unterbrechung von 2008 bis 2012) Präsident von Russland. Er sieht die Stabilität seines Systems seit den frühen Jahren seiner Präsidentschaft durch den Westen bedroht und will verhindern, dass die Ukraine Nato-Mitglied wird und eine westlich orientierte Demokratie aufbaut. Am 24. Februar befahl Putin schliesslich den Angriff auf die Ukraine. Offizielle Leitmotive für den Krieg sind die «Demilitarisierung und Entnazifizierung».
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32 Kommentare
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Liebu
25.05.2022 09:10registriert Oktober 2020
Aber der Köppel hat doch gesagt das gehe jetzt nicht mehr.
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Ökonometriker
25.05.2022 08:39registriert Januar 2017
Genau SO geht aktive Neutralität.
Keine Soldaten schicken, aber Diplomaten, welche sich für Verständigung und langfristig Frieden einsetzen. Die CH-Diplomaten haben international auch einen besseren Leistungsausweis als unsere Amateur-Armee, welche seit weiet über hundert Jahren keinen Krieg mehr geführt hat.

Klar, Putin wird sich wohl nicht mehr bewegen. Aber Putin wird nicht ewig an der Macht bleiben. Wenn dann die richtigen Strukturen vorhanden sind, kann die Wahrscheinlichkeit für zukünftige Kriege reduziert werden.
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bitzliz'alt
25.05.2022 09:07registriert Dezember 2020
… hoffen wir, dass dies zu Stande kommt! Neben den guten Diensten, die da die Schweiz einmal mehr leisten könnte, würde dies die sinnlose Diskussion über die „Schweizerneutralität“ abstoppen, denn was immer der Alt-Eiferer in Herrliberg wieder mal kocht - es ist nix Gutes….!
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