Wie wäre das denn, wenn keine Zeitung, kein Fernsehsender in Europa mehr Fotos von Attentätern zeigen würde? Auch online nicht. Wenn keiner, der ebenso durchgeknallt ist, mehr sehen würde, dass man mit dem Töten möglichst vieler Menschen gross rauskommt? Wenn die Identifikationsfiguren plötzlich gesichtslos wären?
«Das ist zwar eine schöne Idee, aber wohl eine Utopie», sagt Vinzenz Wyss, Professor an der Fachhochschule ZHAW in Winterthur. «Die Medien bestimmen die Öffentlichkeit schon lange nicht mehr allein. Die sozialen Medien müssten mitziehen. Denn alle sind Handlanger der Terroristen, wenn sie deren Taten eine Plattform geben.»
Dass die Besitzer der sozialen Medien bezüglich Terror alles ungefiltert verbreiten lassen, ist nicht in Stein gemeisselt. Zumindest bei Facebook gibt es gewisse Standards: Zu intime Fotos werden gelöscht. Warum nicht auch Fotos von Attentätern?
Twitter löscht inzwischen regelmässig Accounts von Islamisten, die so Enthauptungs-Videos verbreiten wollen. Vielleicht entwickle sich ja auch die Medienkompetenz der Nutzer, hofft Wyss. «Man zeigt beispielsweise auch keine sterbenden Kinder. Es gibt eine Hemmschwelle. Mit etwas Reflexion könnte diese auch für Terror gelten.»
Und selbst wenn dies in den sozialen Medien nicht funktioniert, gibt Wyss zu bedenken: «Die Leitmedien haben immer noch eine gewisse Vorbildfunktion. Wenn sogar die Boulevardmedien mitziehen würden, hätte das Auswirkungen. Man sollte es versuchen.»
Attentate können nicht totgeschwiegen werden. Wie es momentan aussieht, können sich Medienhäuser ausserhalb von Frankreich aber nicht einigen, wie berichtet werden soll. Nicht einmal im ebenfalls Terror-geplagten Deutschland.
Der Springer-Verlag, zu dem auch die «Bild»-Zeitung gehört, will keinen Grundsatzentscheid fällen, ebenso die Zeitschriften «Spiegel» und «Stern». Selbst die «Süddeutsche Zeitung» nicht, obwohl die Redaktion nach den Anschlägen in München und Ansbach bewusst keine Fotos der Täter zeigte.
Die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» schrieb heute in einem Kommentar: «Namenlose ‹Märtyrer› haben keine Zugkraft.» Aber sie nicht zu nennen sei schwierig, ohne sich bei anderen Verbrechern inkonsequent zu verhalten.
Doch ihre Bildsprache und Selbststilisierung müsse niemand übernehmen. Auch Chefredaktor Kai Gniffke von ARD aktuell will nach den neuesten Attentaten keine Bilder zeigen, auf denen die Täter komplett erkennbar sind.
Der «Corriere della Sera» schrieb: «Wir riskieren, zum Propaganda-Instrument dieser Monster zu werden und potenziellen Attentätern ein Handbuch zu schreiben, wie sie vorgehen sollen. Wir müssen alle überall verhindern, den Tod zu einem Spektakel zu erklären.»
Eine absolute Regel wollen auch die Schweizer Zeitungen nicht aufstellen. Am nächsten bei «Le Monde» ist der «Tages-Anzeiger». Man wolle eine ähnliche Linie fahren, sagt Chefredaktor Arthur Rutishauser.
Bei der NZZ- sagt die stv. Chefredaktorin Colette Gradwohl, die allfällige Publikation von problematischen Bildern werde «intensiv von Fall zu Fall diskutiert».
Christian Dorer, Chefredaktor der Aargauer Zeitung, sagt: «Wir beurteilen jedes Ereignis neu und fragen uns, wie unsere Leser adäquat informiert werden sollen.»
Beim «Blick» hat das Bild trotz allem Priorität. Chefredaktorin Iris Mayer sagt: «Boulevard lebt vom Foto. Grundsätzlich auf Bilder von Terroristen zu verzichten, ist keine Option für den ‹Blick›. Unsere Leser wollen sich ein Bild machen, und wir wollen zeigen, was ist und wer es war.» Das heisse nicht, dass man auf diese Weise Terroristen oder Amokläufer glorifiziere.
Tja, lieber Blick, das unterstellt euch auch niemand. Nur haben diese Bilder in den Medien für die entsprechende Zielgruppe genau diese Wirkung.