Ein Diddl-Freundschaftsbuch, ein silbernes Mini-Handy, ein glitzerndes Stickerheft: Lin (25), Melissa (28) und Sévérine (40) treffen sich mit watson in einem Zürcher Café – und bringen Erinnerungsstücke aus den 2000ern mit. Erinnerungen an eine Zeit, die die britische Journalistin Sophie Gilbert in ihrem viel diskutierten Buch «Girl vs. Girl» als zutiefst frauenfeindlich beschreibt.
Die drei Frauen sind mit den Castingshows, Schlagzeilen und der Mode der Nullerjahre grossgeworden. Mit rosa Mädchenzimmern, Magazinen voller Diättipps – und Serien, in denen das Beste, was einer Frau passieren konnte, ein Mann war. Jetzt, Jahre später, blicken sie zurück und fragen sich: Welche Spuren hat das bei ihnen hinterlassen?
watson: Wenn ihr heute auf die Popkultur der 2000er zurückschaut: Welche Gefühle überwiegen – Nostalgie oder Unbehagen?
Sévérine: Ich habe gemischte Gefühle. Die Reality-Shows und das Leben der It-Girls habe ich natürlich mitverfolgt, fand es damals amüsant. Aber wir wissen alle, wie es Lindsay Lohan oder Britney Spears nachher ergangen ist.
Melissa: Ich blicke eigentlich positiv auf die 2000er. Ich war damals ein Kind und habe mich darum weniger mit den It-Girls dieser Zeit identifiziert. Ich erinnere mich aber, wie sich Britney Spears vor den Kameras der Paparazzi den Kopf rasierte. Auch ich dachte mir damals: Die ist verrückt! Zuerst hat man sie gefeiert, dann öffentlich zerstört.
Lin: Paris Hilton ist auch ein gutes Beispiel für diese Zeit. Damals hat man sich über sie lustig gemacht. Heute sagen viele junge Frauen: Sie ist eine Ikone.
Sévérine: Paris Hilton wusste, wie dieses Spiel funktionierte: Sie hat sich als Frau als dumm und schön inszeniert und war damit erfolgreich.
Melissa: Sie wurden in dieses Narrativ gedrängt: Diese Frauen seien halt schwach. Aber ich glaube, es ist wichtig zu verstehen, dass sie so kaputt gemacht wurden.
Sévérine: Das stimmt. Britney Spears war erst 16, als sie ihren ersten Hit landete und weltberühmt wurde. Bis vor vier Jahren stand sie noch unter der Vormundschaft ihres Vaters. Alle haben an ihr verdient. Sie war die Cashcow, die funktionieren musste.
Wie war es, als Mädchen in dieser Zeit aufzuwachsen?
Sévérine: Ich war in den Nullerjahren im Teenie-Alter. Ich habe viele Trends durchgemacht: von Punkrock, über Hip-Hop bis zur It-Girl-Phase. Meine Vorbilder waren Pink oder Gwen Stefani, also starke Frauen. Als junge Frau musstest du dich entscheiden: Entweder bist du ein Girlie oder eine Rockerbraut. Du musstest zu irgendeiner Gruppe dazugehören.
Lin: Ich bin mit sehr klaren Vorstellungen davon aufgewachsen, wie ein Mädchen oder ein Junge zu sein hatten. Mein Kinderzimmer war voller pinkfarbener Spielsachen. Heute mag ich diese girly Dinge wieder sehr. Doch damals haben mich Mitschüler oft als «Tussi» beleidigt. Typisches Mädchensein galt als peinlich.
Melissa: Ja, auch die Stars, die typische Mädchen verkörperten, zum Beispiel Paris Hilton und Nicole Richie, galten zwar als hübsch, aber dumm. Man hat sie belächelt. Man dachte in Rastern: Entweder warst du pink oder du warst schwarz, Goth oder Mauerblümchen.
Lin: Es war eine widersprüchliche Zeit. Einerseits fand man die It-Girls cool, andererseits hat man auf sie herabgeschaut. Das fällt mir auch in den Filmen aus den 2000ern auf. Zum Beispiel bei «Mean Girls» oder «High School Musical»: Die hübsche Blondine ist immer die Gemeine. Die Gegenspielerin ist ein Mädchen, das anders ist als alle anderen. Sie ist cool und schlau.
Die Filme und Serien der Nullerjahre werden auch heute wieder gern geschaut – Bridget Jones, Gilmore Girls, Sex and the City, um nur drei zu nennen. Wie blickt ihr heute auf diese Filme und Shows zurück?
Melissa: Die Romcoms der 2000er sind für ein komplett verschobenes Bild von Liebe und Beziehungen verantwortlich.
Lin: Sie haben uns Frauen vermittelt: Das Beste, was dir im Leben passieren kann, ist ein Mann.
Sévérine: Carrie Bradshaw hat in Sex and the City ständig auf irgendeinen Mann gewartet. Rückblickend denkt man sich dabei nur: Warum? Move on!
Lin: Ich schaue gerade zum ersten Mal Sex and the City. Die Frauen sprechen offen über Sex, das war schon revolutionär. Aber trotzdem: Ich bin queer und finde mich in solchen Serien nirgendwo wieder. Mir fehlten die Vorbilder. In den Serien und Filmen von damals gab es kaum eine lesbische Frau. Und wenn, war sie nicht so wie ich, sondern wurde immer irgendwie schrullig dargestellt.
Melissa: Die Hauptfiguren dieser Filme und Serien waren sehr stereotypisch. Die Frauen mussten immer extrem dünn sein. Ausser es ging darum, dass sie dick waren. Ich glaube aber, dass es in den Kinderserien der 2000er zum Teil erstaunlich viel Repräsentation von People of Color gab, das finde ich cool.
Sévérine: Ich habe kürzlich alte Folgen von Germany’s Next Topmodel angeschaut. Dort sagte Heidi Klum zu einer Teilnehmerin: Du bist zu dick, du hast zu viel gegessen. Dabei war das Mädchen richtig schlank!
Lin: Frauen mussten dünn sein, um akzeptiert zu werden. Schlank, ohne Körperhaare und weiss.
Sévérine: Und nicht zu laut sein!
Wie stark haben euch diese Körperbilder damals beeinflusst?
Melissa: Ich dachte: Mit 20 sieht man einfach so aus. Dünn und makellos. Und wenn man das nicht war, hat man etwas falsch gemacht. Rückblickend glaube ich, dass damals fast jedes Mädchen Probleme mit ihrem Körper hatte.
Lin: In meiner Familie war «Weight Watchers» ein grosses Thema. Meine Mutter wollte immer abnehmen, das hat auch meine Kindheit geprägt.
Sévérine: Mich haben die Körpertrends damals zum Glück nicht so stark beeinflusst. Aber es war schon so: Der Bauch musste flach sein in dieser Zeit.
Gleichzeitig waren Frauen in den 2000ern sehr präsent. Die grössten Teenie-Stars waren Frauen. Girlgroups wie No Angels oder Monrose führten die Charts an.
Melissa: Die Kinderserie Kim Possible war sehr inspirierend für mich. Es war cool, dass wir bei Teenie-Filmen viele weibliche Hauptrollen hatten. Das fühlte sich schon ermutigend an.
Lin: Was man aber gleichzeitig nicht vergessen darf: den «male gaze». Wie du aussahst, musste Männern gefallen.
Melissa: Ich glaube, dass der weibliche Blick damals weitgehend dem männlichen Blick entsprochen hat. Die Popindustrie hat sich stark daran orientiert, was Männer sehen wollten. Und viele Mädchen richteten sich dann danach.
Lin: Erfolg war stark daran geknüpft, ob du schön bist oder nicht. Nicht daran, was du machst, was deine Werte sind, was du erreichen willst.
Ist das heute wirklich anders?
Sévérine: Ich bin mir nicht sicher. Ich sehe es aktuell bei meinen Kindern: Die Kinderfilme sind immer noch sehr klar auf das Geschlecht ausgerichtet. Ich versuche, dagegen anzukämpfen und meine Kinder möglichst neutral zu erziehen. Aber es ist schwierig.
Lin: Für mich war Social Media ein Wendepunkt. Ich habe dort viele andere Vorbilder gefunden und bin mit feministischen Themen in Berührung gekommen. Mitte der 2010er-Jahre kam die Body-Positivity-Bewegung auf. Eine Weile trugen alle High-Waist-Hosen oder Mom Jeans. Das war aber relativ schnell wieder vorbei. Und ob die Body Positivity in der Modewelt jemals tatsächlich angekommen ist, bezweifle ich.
Sévérine: Ich trage immer noch Mom Jeans! Aber ich bin ja auch eine Mutter (lacht).
Die Mode, aber auch Musik und Filme der 2000er sind wieder zurück. Was haltet ihr vom Trend?
Melissa: Ich bin ein grosser Fan von Y2K. Ich sehe den Trend aber auch kritisch. Ich habe den Eindruck, dass der erneute Dünnheitstrend und die Y2K-Mode ungefähr zeitgleich zurückgekommen sind. Anfangs, als die Low-Waist-Hosen und Croptops der 2000er zurückkamen, hatte ich noch den Eindruck, dass diese Outfits nicht mehr zwingend mit Dünnsein verbunden sind. Jetzt glaube ich aber, dass ich zu optimistisch war.
Sévérine: Ich hoffe, dass wir nicht nochmals die gleichen Fehler machen wie in den 2000ern. Wenn man die aktuellen Körpertrends anschaut, stimmt mich das aber skeptisch.
Melissa: Ich glaube, Dünnsein ist nie wirklich weg gewesen aus der Gesellschaft. Aber das Aufkommen von Popkultur-Trends ist wie ein Kreislauf. Vorher waren die 80er und 90er wieder in, jetzt sind es die 2000er. Und man sieht schon jetzt, dass die 2010er langsam wieder zurückkommen.
Lin: Was sagt uns das? Gebt eure alten, liebgewonnen Sachen nicht weg! Auch, wenn sie gerade nicht im Trend sind.
10 Jahre später waren sie dann 10, 13 und 25.
Seit mir nicht böse, aber das ist so, als wenn ihr mich zu einer Diskussion über den Sommer der Liebe (1967) einladen würdet. Ich war zwar schon auf der Welt (3), aber vor allem mit mir selbst beschäftigt.
Meine Wahrnehmung von Frauen im Jahr 2000 ist nicht so verschieden zu heute. Wenn man aber Paris Hilton zum Massstab nimmt, dann ist das wie Jane Fonda als Massstab für die 60er.
Ich fand es eine tolle Zeit und liebe die Movies etc aus dieser Zeit immer noch und obwohl ich blond und schlank bin wurde ich ernst genommen und hab auch beruflich viel erreicht.. denke das ist auch nur wieder ein Klischee.. am Schluss ist es doch was wir selber aus unserem Leben machen (und dabei darf man auch ein wenig träumen..)