Am Montag wird Donald Trump zum zweiten Mal als US-Präsident vereidigt. Bei den traditionellen Alliierten in Europa oder Südkorea sorgt dieses Comeback für Besorgnis bis Angst. Mark Leonard, Direktor der Denkfabrik European Council on Foreign Relations (ECFR), bezeichnete Trump 2.0 am Mittwoch als «grösste transatlantische Krise seit Suez 1956».
Er trat in einem Webinar mit zwei Koryphäen auf, die eng mit dem ECFR verbunden sind: dem bulgarischen Politologen Ivan Krastev und dem britischen Historiker Timothy Garton Ash. Anlass war eine grosse, gemeinsam mit der Universität Oxford durchgeführte Umfrage zu den Erwartungen an die zweite Trump-Präsidentschaft.
Online befragt wurden rund 28'500 Personen in 24 Ländern, darunter elf Mitgliedstaaten der Europäischen Union – und die Schweiz. Bei uns wurden 1082 Personen berücksichtigt. Die kurze, verblüffende Erkenntnis: Die Langzeit-Verbündeten der USA beklagen Trumps Rückkehr, sonst aber so gut wie niemand.
Besonders enthusiastisch sind die Menschen in Indien. Mehr als 80 Prozent betrachten Trumps Wahlsieg als positiv für die Amerikanerinnen und Amerikaner, den Weltfrieden und ihr eigenes Land. Selbst in China und Russland gibt es mehr positive als negative Stimmen zu Trump. Womöglich spielt die Hoffnung hinein, er werde den Westen spalten.
Am anderen Ende befinden sich Grossbritannien und Südkorea, wo man ungute Erinnerungen hat an Trumps Kumpanei mit Erzfeind Kim Jong-un. Auch die Schweiz ist besonders Trump-kritisch, was Bewunderer wie Roger Köppel kaum freuen wird. In einigen Punkten beurteilt sie den designierten Präsidenten noch negativer als die «EU11».
Geeint ist die EU aber nicht. Länder im Südosten wie Ungarn, Rumänien und Bulgarien sind gegenüber Trump freundlicher eingestellt als der übrige Kontinent. Insgesamt aber sehen nur 22 Prozent der Europäer die USA als Verbündeten, worüber sich Timothy Garton Ash im Webinar vom Mittwoch konsterniert zeigte: «Das sind keine sehr rosigen Aussichten.»
Damit nicht genug: Während sich das Image Russlands in Europa und den USA durch den Angriff auf die Ukraine verschlechterte, hat der Rest der Welt eine wesentlich positivere Sichtweise, obwohl Wladimir Putin faktisch einen neokolonialen Eroberungskrieg führt. «Russland ist für viele Länder ein akzeptabler Partner», konstatierte Garton Ash.
Selbst in der Schweiz beurteilen 30 Prozent Russland als strategischen Partner oder gar Alliierten, mit dem man zusammenarbeiten muss. 45 Prozent halten nichts davon. Und in fast allen Ländern (ausgenommen der Ukraine) geht eine Mehrheit der Befragten davon aus, dass Russland ein globaler Player bleiben wird. In der Schweiz sind es 61 Prozent.
Durchzogen ist das Bild, wenn es um Trumps Einfluss auf den Krieg in der Ukraine geht. In China und Russland glauben mehr als 60 Prozent, dass ein Frieden wahrscheinlicher wird. In den meisten Ländern aber sind die Optimisten in der Minderheit, auch in der Schweiz, wobei die Zahl der Befragten, die keine klare Meinung haben, ziemlich gross ist.
Relativ deutlich ist das Urteil immerhin bei der Frage, wer schuld am Krieg ist. In praktisch allen befragten Ländern hält nur eine kleine Minderheit die Ukraine für allein oder hauptsächlich verantwortlich. Die Ausnahmen sind China und Russland, doch selbst in Putins Reich sind es nur 48 Prozent. Ein bemerkenswerter Befund angesichts der Kriegspropaganda.
Einen ukrainischen Sieg aber hält auch nur eine kleine Minderheit für wahrscheinlich. Selbst im angegriffenen Land sind es bloss 34 Prozent der Befragten. Das scheint realistisch. Eher irritierend ist hingegen, dass in fast allen Ländern eine Mehrheit (in der Schweiz 59 Prozent) davon ausgeht, dass China bis in 20 Jahren die USA als führende Weltmacht überholen wird.
Der vielleicht spannendste Aspekt aus Schweizer Sicht ist die Frage nach der Rolle der EU in der Welt. Bei uns gehen nur 30 Prozent davon aus, dass sie ein gleichwertiger Partner für die Weltmächte ist. Die Schweiz ist damit das Schlusslicht, noch hinter den Brexit-Briten. Das permanente mediale und politische EU-Bashing hat offensichtlich Spuren hinterlassen.
Selbst unter den elf EU-Ländern hält sich der Optimismus in Grenzen. Umso verblüffender scheint, dass der Einfluss der EU als globaler Player ausserhalb Europas um einiges positiver beurteilt wird, selbst in China und den USA. Deshalb sehen die Autoren der ECFR-Studie in der neuen «trumpistischen» Welt auch eine Chance für die Europäer.
Allerdings müssten sie anerkennen, dass es sich um eine «À la carte»-Welt handle, betonte Timothy Garton Ash. Begriffe wie Globaler Süden gehören für den europhilen Briten – er lehnte den Brexit vehement ab – auf den Abfallhaufen. Europa sei «fast dazu verurteilt, transaktionaler zu werden und Geschäfte mit allen zu machen», so Garton Ash.
Die liberalen Demokratien müssten «sich die Nase zuhalten und mit schwierigen Partnern zusammenarbeiten», schrieb der Historiker in einer «Guardian»-Kolumne zur ECFR-Umfrage. Also auch mit China oder Indien. Voraussetzung sei, dass sie «untereinander weniger transaktional» seien. Dann könnten die Europäer von Donald Trumps Rückkehr profitieren.
Anmerkung: Die elf EU-Staaten (Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Estland, Frankreich, Italien, Polen, Portugal, Rumänien, Spanien, Ungarn) sind in dieser Umfrage zusammengefasst. Eine separate Auswertung wird folgen.