Bis zu 15 Kilometer dick ist die zerfurchte Eiskruste, die den Jupitermond Europa umhüllt. Darunter, da sind sich Wissenschafter ziemlich sicher, befindet sich ein bis zu 100 Kilometer tiefer, womöglich salzhaltiger Ozean. Er soll doppelt so viel Wasser wie alle Weltmeere der Erde zusammen besitzen.
Auf unserem Planeten sind die Ozeane voll von Leben. Sie beherbergen die extremsten Formen aller Organismen und die grössten Lebewesen der Erde. Es gibt solche, die eisige oder kochende Temperaturen überstehen. Einige brauchen kein Licht und keinen Sauerstoff, dafür aber schwefelhaltige Chemikalien. Irdisches Leben existiert sowohl unter dem arktischen als auch unter dem antarktischen Meereis, in der Nähe von extrem kalten Tiefseequellen und hydrothermalen Schloten. «Bislang spricht nichts dagegen, dass es exotische Lebensformen auch im Ozean des Jupitermondes Europa geben sollte», sagt Andreas Riedo, Astrophysiker an der Universität Bern.
Er ist Teil der Mission «Juice» der Europäischen Raumfahrtagentur (ESA). An Bord einer Ariane-5-Rakete wird die Raumsonde voraussichtlich im April dieses Jahres vom Weltraumbahnhof im südamerikanischen Kourou in Richtung der drei eisigen Jupitermonde Europa, Ganymed und Kallisto aufbrechen. Acht Jahre wird die 700 Millionen Kilometer lange Reise dauern, bevor die Sonde beginnt, die Frage aller Fragen zu klären: Herrschen die richtigen Bedingungen, dass die Eismonde Leben beherbergen können?
Lange Zeit kam niemand auf die Idee, dass es so weit entfernt von der Sonne, wie es der Gasriese Jupiter und seine Monde sind, Leben geben könnte. Als lebensfreundliche Zone galt diejenige zwischen Venus und Mars - noch weiter draussen wäre es schlicht zu kalt, so die Vermutung. Doch Messdaten früherer Raumsonden rückten die Eismonde, auf deren Oberfläche es bis zu minus 180 Grad kalt wird, ins Interesse von Astronominnen und Astronomen. Etwa die Mission «Galileo» der amerikanischen Raumfahrtbehörde Nasa, die ab 1995 fast acht Jahre lang Jupiter umkreiste und an all seinen grossen Monden vorbeiflog: Die beteiligten Forscher stellten damals schon fest, dass es wohl nicht nur auf Europa einen globalen Ozean gibt. Die magnetischen Aufzeichnungen deuteten darauf hin, dass auch die Jupitermonde Ganymed und Kallisto salzhaltiges und flüssiges Wasser von globalen Ausmassen unter der Eiskruste besitzen.
Die Energie, die es braucht, um das Wasser flüssig zu halten und nicht durchgefrieren zu lassen, kommt von der Gezeitenreibung: Die Schwerkraft des Planeten Jupiter zerrt und reisst an den Monden so stark, dass deren Gesteine im Inneren wie Teig durchgeknetet werden. Dadurch entsteht Reibungswärme.
Neben flüssigem Wasser braucht Leben, wie wir es kennen, auch die richtige Chemie, um wichtige Bausteine des Lebens wie Aminosäuren zu bilden. «Die sechs Schlüsselelemente sind Wasserstoff, Kohlenstoff, Stickstoff, Sauerstoff, Phosphor, Schwefel», sagt Andreas Riedo. Vor allem beim Eismond Europa vermutet man, dass der Ozean reich an diesen Elementen ist. Denn das Wasser steht in direktem Kontakt mit dem Gestein am Ozeanboden. Es besteht also die Möglichkeit, dass die Mineralien aus der Gesteinskruste ausgewaschen werden.
Ebenfalls könnten die Gezeiten das Mantelgestein von Europa so stark aufheizen, dass magmatische Vulkanausbrüche die Ozeane mit Mineralien speisen. Darauf deuten zumindest Computermodelle hin.
«Juice» wird nicht auf den Eismonden landen, um direkt Wasserproben zu entnehmen, sondern nur an ihnen vorbeifliegen. Man weiss aber, dass Europas Eiskruste von Zeit zu Zeit bricht und dann Ozeanwasser in Fontänen ausströmt. Die Kruste aus gefrorenem Wasser ist mit riesigen, gletscherähnlichen Spalten durchzogen, durch die manchmal Wasserfontänen speien. «Ziel ist, dass die Sonde durch solche Fontäne-Ausbrüche hindurchfliegt und Proben nehmen kann, um die Chemie der Ozeane zu bestimmen», sagt Riedo.
An Bord von «Juice» befinden sich zehn wissenschaftliche Instrumente, eines davon wurde an der Universität Bern entwickelt. Es handelt sich um ein hochempfindliches Massenspektrometer, das «Neutral and Ion Mass Spectrometer» (NIM). Es ist so konzipiert, dass es die chemische Zusammensetzung der dünnen Atmosphären der Eismonde während eines Sondenvorbeiflugs erfassen kann.
Die Sonde und deren Instrumente werden in einer unwirtlichen Umgebung operieren müssen. So ist etwa das Sonnenlicht bei Jupiter 25-mal schwächer als auf der Erde, weshalb die Sonde riesige Solarpaneele braucht, um genügend Energie sammeln zu können.
Auch erlebt die Sonde Temperaturschwankungen von mehreren hundert Grad während ihrer Reise der Sonde durchs Weltall. Eine spezielle Isolationshülle soll die Temperatur im Inneren der Instrumente stabil halten.
Dann ist da auch die radioaktive Strahlung, die von Jupiter auf Europa fällt. Sie ist so stark wie sonst nirgends in unserem Sonnensystem. Denn tatsächlich ist der Strahlungsgürtel von Jupiter Tausende Male stärker als derjenige der Erde. «Es ist, als würden Sie Badeferien inmitten des Kernkraftreaktors von Gösgen machen», sagt Peter Wurz. Er ist Professor am Physikalischen Institut der Universität Bern und Leiter des NIM-Instruments. Es brauche deshalb Schutzschilder, welche die sensible Elektronik der Instrumente abschirme. Die Lebewesen im Ozean, sollte es denn welche geben, sind ihrerseits durch den kilometerdicken Eispanzer geschützt.
Fast zeitgleich wie «Juice», gut ein Jahr später im Oktober 2024, wird die Nasa ebenfalls eine Raumfähre zum Jupiter schicken. Die Sonde namens «Europa Clipper» wird nicht alle drei Eismonde, sondern nur den vielversprechendsten, Europa, ins Visier nehmen. Geplant sind mindestens 44 Vorbeiflüge. «Das wird uns eine Fülle an Informationen über die Chemie von Europas Eisoberfläche und Ozean liefern», sagt Wurz.
Doch weder «Juice» noch «Europa Clipper» werden Leben auf Europa endgültig nachweisen, sondern nur Hinweise darauf liefern können. Für den endgültigen Beweis muss eine Landesonde auf dem Eismond vor Ort Messungen vornehmen. Genau dies plant die Nasa, mit «Europa Lander». «Wir hoffen stark, dass wir mit unserem Instrument mitfliegen werden», sagt Wurz.
Denn das Berner Team tüftelt bereits an «Origin», einem Instrument, welches Lebensspuren auf Europa nachweisen soll. Bei diesem Instrument werden Laserimpulse auf die zu untersuchende Oberfläche gerichtet, wodurch sich winzige Mengen Material lösen. Dieses kann dann im Miniaturlabor der Landesonde vor Ort auf das Vorhandensein von verschiedenen Aminosäuren und anderen chemischen Bausteinen des Lebens analysiert werden. Getestet werden soll das Instrument demnächst an extremen Orten der Erde wie in der Antarktis und der Atacama-Wüste.
Wichtig sei, sagt Wurz, dass die zwei Missionen «Juice» und «Europa Clipper» die Oberfläche des Eismondes Europa gut kartieren, um einen idealen Landeplatz für die Landesonde zu identifizieren. «Wir müssen einen Ort finden, wo man landen kann und wo die Chancen am grössten sind, Spuren von Leben aufzuspüren, also in der Nähe einer Fontäne.»
Zunächst dachte die Nasa darüber nach, die Sonde mit einem Eisbohrer auszustatten. Allerdings: «Studien zeigten, dass es zwei Jahre dauern würde, um das pickelharte Eis bis hinunter zum Ozean zu durchbohren», sagt Wurz. An sich wäre das nicht schlimm, aber die starke radioaktive Strahlung auf Europas Oberfläche zerstöre innerhalb nur eines Monats die Einheit, welche die Daten der Messinstrumente zur Erde funkt. Deshalb sei es wichtig, nach der Landung die wenige Zeit, die bleibe, so effizient wie möglich für Messungen zu nutzen. «Grundsätzlich könnte man die Landeeinheit natürlich mit einem massiven Schutzschild ausstatten. Aber das wäre enorm teuer und ein sehr ineffizienter Einsatz von Ressourcen», sagt Physiker Wurz.
So sieht der Plan der Nasa derzeit denn auch vor, mit der Landesonde Proben aus einer Tiefe von etwa zehn Zentimetern unter der Oberfläche zu nehmen. Das ist eine Tiefe, in der die komplexe Chemie vor der schädlichen Strahlung, welche die Spuren des Lebens auslöschen würde, geschützt ist.
Noch gibt es kein ausgefeiltes Konzept zu «Europa Lander», auch keinen genauen Zeitplan. Frühestens in den 2030er-Jahren wird die Raumfähre aufbrechen. Geduld sei die wichtigste Eigenschaft eines Astrophysikers, sagt Wurz. Aber die Zeichen, ausserirdisches Leben zu finden, ständen so gut wie noch nie. «Ich glaube wirklich, dass wir in den nächsten zehn bis 20 Jahren Leben entdecken werden.» (aargauerzeitung.ch/cpf)
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