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Serbien

Kosovo: Vucic spannt mit serbisch-orthodoxer Kirche zusammen

«Schande über euch alle, Ihr Lügenbande!»: Serbiens Präsident Vucic redet sich in Rage

Serbiens Präsident Aleksandar Vucic und der serbisch-orthodoxe Patriarch Porfirije nehmen an einer gemeinsamen Medienkonferenz Stellung zum schwelenden Kosovo-Konflikt. Was sie zu sagen haben, birgt weiteren Zündstoff.
28.12.2022, 20:43
Bojan Stula / ch media
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Die Bilder erinnern unweigerlich an die gemeinsamen Auftritte von Wladimir Putin und dem Moskauer Patriarchen Kyrill nach dem Überfall auf die Ukraine. Entsprechend verheissen sie wenig Gutes.

Serbian President Aleksandar Vucic, right, kisses the hand of Serbian Orthodox Church Patriarch Porfirije after a press conference following talks in Belgrade, Serbia, Tuesday, Dec. 27, 2022. Tensions ...
Der serbische Präsident Aleksandar Vucic küsst zu Beginn der Belgrader Pressekonferenz die Hand des Patriarchen Porfirije.Bild: keystone

An einer Pressekonferenz in Belgrad bekräftigten der serbische Präsident Aleksandar Vucic und das Oberhaupt der serbisch-orthodoxen Kirche, Patriarch Porfirije, dass sie beide «alles in ihrer Macht Stehende geben werden, um den Frieden zu bewahren». Denn der schwelende Kosovo-Konflikt ist laut Porfirije an einem «wahrlich ernsten Punkt angelangt, der zu Wegen führen könnte, die niemand will».

Dieser Friedensappell ist aber nur der vorgeschobene Teil der Botschaft der geistlichen und politischen Führung Serbiens. Ebenso deutlich unterstrichen beide, dass es niemandem gelingen werde, «egal, was sie versuchen, den Patriarchen und die serbisch-orthodoxe Kirche aus der Seele aus dem Herzen des serbischen Volkes im Kosovo zu reissen».

An der Medienkonferenz redete sich Vucic während einer Viertelstunde regelrecht in Rage, nachdem Porfirije betont hatte, ein bewaffneter Konflikt würde keiner Seite etwas Gutes bringen: «Schande über euch alle, Ihr Lügenbande!», rief Vucic auf dem Höhepunkt seiner Brandrede in Richtung Pristina und westlicher Staatengemeinschaft aus.

Tiefer Einblick ins serbische Seelenleben

Anlass für den gemeinsamen Auftritt war das Einreiseverbot für den serbischen Patriarchen, das die kosovarische Führung am Montag ausgesprochen hatte. Damit verhinderte sie eine geplante Andacht Porfirijes und ein Treffen mit Gläubigen im Patriarchenkloster Pec nahe der kosovarischen Stadt Peja. Stattdessen trafen sich Porfirije und Vucic zu einem Krisengespräch.

Das Kirchenoberhaupt geisselte die verhinderte Einreise vor den Medien als absurd und einzigartig: «Das Patriarchenkloster von Pec ist für das serbische Volk und die orthodoxe Kirche das, was der Vatikan oder der Lateran für die Katholiken sind. Man stelle sich jetzt vor, dass irgendjemand ohne Grund dem Papst verbietet, den Vatikan zu betreten. In diesem Fall würde die ganze Welt aufschreien.»

Diesen Punkt griff Vucic gleich mehrfach auf: «Wann hat es das je gegeben, dass einem Kirchenoberhaupt der Zutritt zu seinem eigenen Haus verweigert wird?» Noch schlimmer sei aber, dass der Westen angesichts dieses ungeheuerlichen Vorfalls schweige. Stattdessen reite die internationale Gemeinschaft lieber auf einer Barrikade herum, welche die Kosovo-Serben in ihrer Not als Zeichen des Protests errichtet hätten - auf einer Strasse, die von Albanern gar nicht benutzt werde.

Insofern gab der zweifellos gut vorbereitete Ausbruch Vucics tiefen Einblick in seine Sicht der Dinge, ja in das serbische Seelenleben überhaupt. Seit Jahren verweigere die kosovarische Führung dem serbischen Bevölkerungsteil die Bürgerrechte, breche abgegebene Versprechen in Sachen politischer Vereinigung der serbischen Kommunen und nehme willkürliche Verhaftungen von serbischen Aktivisten vor, argumentierte der Staatspräsident. All dies mit Billigung der Nato und der EU, die sich «taub und dumm» stellten.

Wenn sich aber die Kosovo-Serben dagegen auflehnten und ihnen Serbien zur Seite stehe, würde die ganze Welt über Belgrad herfallen. Dabei werde mit der territorialen Integrität des Kosovo argumentiert - genau jene territoriale Integrität, welche die Nato im Fall von Serbien missachtete, als sie «den Kosovo unserem Land entriss».

Mögliche Entspannung nach Freilassungen
Ein Gericht im Kosovo hat die Freilassung jenes früheren serbisch-kosovarischen Polizisten angeordnet, dessen Festnahme die jüngsten Spannungen zwischen Serben und Albanern angeheizt hatte. Das Gericht habe statt Untersuchungshaft Hausarrest für Dejan Pantic angeordnet, sagte dessen Anwalt Ljubomir Pantovic am Mittwoch der Nachrichtenagentur AP. Kosovos Premierminister Albin Kurti kritisierte die Freilassung, während Medien in Belgrad die jüngste Entwicklung feierten. Fast gleichzeitig wurde ein 20-jähriger Jugendlicher aus Belgrad freigelassen und zum Grenzübergang nach Mutivode überstellt, der im Juni im Kosovo wegen Aufruhr verhaftet worden war.

Zuvor hatten am Mittwoch kosovarische Sicherheitskräfte den wichtigsten Grenzübergang nach Serbien nahe der Stadt Podujevo gesperrt. Der Schritt erfolgte, nachdem serbische Protestierende die Zufahrt auf der serbischen Seite der Grenze mit Lastwagen blockiert hatten. Zwei weitere Grenzübergänge zwischen dem Kosovo und Serbien sind bereits seit fast drei Wochen gesperrt. Serbische Militante hatten im Norden des Kosovos an den Strassen zu den Übergängen Brnjak und Jarinje Barrikaden errichtet. Damit protestieren sie gegen die Verhaftung eines serbischstämmigen ehemaligen Beamten der Kosovo-Polizei, der nach Darstellung der kosovarischen Behörden Angriffe auf Beamte der Wahlkommission angeführt hatte. Diese Spannungen hatten dazu geführt, dass die serbische Armee zu Beginn dieser Woche in höchste Gefechtsbereitschaft versetzt wurde. (dpa/chm)

«Das ist nicht bloss eine politische Parole»

Laut Vucic ist es inzwischen das einzige Ziel «des sogenannten kosovarischen Staates» und des Westens, «alle Serben für alle Zeiten aus dem Kosovo zu vertreiben». Doch der serbische Staat werde seinen Landsleuten trotz aller Widerstände weiterhin zur Seite stehen, «und das ist nicht bloss eine politische Parole».

Trotzdem werde die serbische Führung weiterhin für den Frieden und um eine Kompromisslösung im Konflikt kämpfen. Die Gebete des Patriarchen würden sie dabei begleiten. Grosse Zuversicht hege er jedoch nicht, da man nicht mit jemandem verhandeln könne, der nicht verhandeln will, reichte Vucic den Schwarzen Peter an Pristina weiter. Höflich bat er noch den Patriarchen Porfirije um Entschuldigung für seine laute Ansprache. Doch er habe «nur die Wahrheit gesagt». (aargauerzeitung.ch)

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117 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Schwefelholz
28.12.2022 20:57registriert Dezember 2015
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Sinthobob
28.12.2022 21:02registriert August 2016
Trennung von Kirche und Staat wär mal was...
Wäre auch in der Schweiz mal an der Zeit.
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Interessierter
28.12.2022 22:52registriert Juni 2016
Tja, hört Ihr nicht den Russen im Hintergrund welcher dies alles orchestriert? Die Russen wollen vor unseren Augen eine neue Baustelle eröffnen, damit sich Europa nicht mehr bzw. nicht mehr so fest auf die Ukraine konzentrieren kann. Die Serben machen sich zum Marionettenstaat von Putin.
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