Er hat es wieder getan: Der englische Ex-Nationalspieler Gary Lineker sorgt mit politischen Äusserungen für Aufregung. Auf Twitter attackierte der 62-Jährige die geplante Verschärfung des Asylgesetzes durch die konservative Regierung. Diese bediene sich einer Sprache, «die der von Deutschland in den 1930er-Jahren nicht unähnlich ist».
There is no huge influx. We take far fewer refugees than other major European countries. This is just an immeasurably cruel policy directed at the most vulnerable people in language that is not dissimilar to that used by Germany in the 30s, and I’m out of order?
— Gary Lineker 💙💛 (@GaryLineker) March 7, 2023
Der Nazi-Vergleich zielte auf Innenministerin Suella Braverman, die selbst für Tory-Verhältnisse weit rechts steht. Sie hatte die Verschärfung angestossen und im Zusammenhang mit den mehr als 45’000 Flüchtlingen, die 2022 mit Booten über den Ärmelkanal nach Grossbritannien gelangt waren, von einer «Invasion» gesprochen.
Eine harte Wortwahl. Aber rechtfertigt sie den Nazi-Vergleich? Braverman sagte der BBC, Gary Lineker verharmlose den Holocaust. Unterstützung erhielt sie von Kultur- und Sportministerin Lucy Frazer, deren Grossmutter vor den Nazis geflohen war. Andere Politiker forderten Linekers Rauswurf als Moderator der BBC-Fussballshow «Match of the Day».
Die Aufregung mag für Aussenstehende seltsam wirken. Doch Gary Lineker ist mehr als ein ehemaliger Fussball-Profi. Er ist in Grossbritannien eine Kultfigur. Dazu trägt seine Trefferquote von 48 Toren in 80 Länderspielen für England bei. Gleichzeitig gelang ihm das Kunststück, in seiner gesamten Profikarriere nie verwarnt zu werden.
Seit dem Ende seiner aktiven Karriere brilliert Lineker als «Match of the Day»-Moderator mit Eloquenz, Witz und Selbstironie. Während der Premier-League-Saison 2015/16 bot er an, in Unterhosen zu moderieren, falls Leicester City, der Klub aus seiner Heimatstadt, den Titel holen sollte. Als die «Foxes» die Sensation schafften, löste er die «Wettschuld» ein.
Sein Charisma und sein Showtalent machten Gary Lineker zum bestbezahlten Moderator bei der öffentlich-rechtlichen BBC. Auf das Topsalär von zwei Millionen Pfund pro Jahr kommt er zwar nicht mehr, weil der Sender sparen muss. Aber in der Saison 2021/22 kassierte er immer noch 1,35 Millionen Pfund. Hinzu kommen Auszeichnungen aller Art.
Sein Status erlaubt ihm auch, sich immer wieder politisch zu äussern, vor allem auf Twitter, wo er 8,7 Millionen Follower hat. Ideologisch festlegen mag sich Lineker nicht, doch der ehemalige Stürmer gab selber zu, sich häufiger auf dem linken als auf dem rechten Flügel zu bewegen. So machte er nie ein Geheimnis aus seiner vehementen Ablehnung des Brexits.
2018 unterstützte er eine Petition für eine zweite Volksabstimmung über den EU-Austritt. Worauf ihn BBC-Kollege und Cricket-Kommentator Jonathan Agnew aufforderte, seine politischen Ansichten für sich zu behalten: «Mich würde man feuern, wenn ich deinem Beispiel folgen würde», schrieb Agnew in Anspielung auf Linekers Kult-Status.
Bremsen liess sich der Ex-Fussballstar dadurch nicht. Vor der WM in Katar im letzten Jahr forderte er schwule Fussballer zum Coming-out während des Turniers auf. Er kenne Premier-League-Spieler, die kurz davor gestanden hätten, ihre Homosexualität öffentlich zu machen, sagte Lineker dem «Daily Mirror». Passiert ist bekanntlich nichts.
Mit seiner aktuellen Kritik an der «unermesslich grausamen» Asylpolitik der Regierung hat er sich stärker in die Nesseln gesetzt als je zuvor. Zwei ehemalige BBC-Direktoren kritisieren seine Anspielung auf das Dritte Reich. Dabei spielt wohl auch die Tatsache eine Rolle, dass manche Tories den öffentlich-rechtlichen Sender am liebsten abschaffen würden.
Unterstützung erhielt Lineker dafür von TV-Moderator Piers Morgan, der politisch ziemlich anders tickt und mit dem Ex-Fussballer mehrfach online aneinander geraten war. Der Vergleich sei «übertrieben», doch Lineker sei kein News-Journalist und nicht einmal direkt bei der BBC angestellt. «Sein Vertrag verbietet ihm nicht, seine Meinung zu sagen», so Morgan.
Das neue Asylgesetz sieht vor, fast alle Migrantinnen und Migranten, die ohne offizielle Erlaubnis einreisen, zunächst in Unterkünften wie früheren Militärbasen oder Studierendenheimen festzuhalten. Danach sollen sie nach Ruanda oder in andere Staaten ausgewiesen werden. Das Recht, Asyl zu beantragen, soll ihnen entzogen werden.
Innenministerin Braverman gab offen zu, man habe «die Grenzen des internationalen Rechts ausgereizt». Für Kritiker, darunter das UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR), wurden sie überschritten. Für Kritik sorgt auch, dass Suella Braverman indisch-tamilischer Herkunft ist und ihre Eltern selber nach Grossbritannien eingewandert waren.
Ins Schleudern geriet sie, als sie auf Sky News gefragt wurde, ob der britische Leichtathlet und vierfache Olympiasieger Sir Mo Farah unter dem neuen Gesetz ebenfalls deportiert worden wäre. Letztes Jahr hatte der «Wunderläufer» in einem Interview erklärt, dass er mit neun Jahren aus Somalia nach Grossbritannien eingeschleust worden war.
Dennoch sind Braverman und Premierminister Rishi Sunak entschlossen, das Gesetz auch vor Gericht zu verteidigen. Gary Lineker gab sich noch am Donnerstag unbeeindruckt. Einen Tag später jedoch teilte die BBC mit, er werde eine Auszeit als «Match of the Day»-Moderator nehmen, «bis wir eine gemeinsame und klare Haltung zu seinen Social-Media-Aktivitäten gefunden haben».
Fortsetzung folgt.
(pbl)