International
Südafrika

Bergarbeiterdrama in Stilfontein in Südafrika erschüttert die Welt

An aerial view of a mine shaft where an estimated 4000 illegal miners are trapped in a disused mine in Stilfontein, South Africa, Wednesday, Nov.13, 2024. (AP Photo)
Luftaufnahme eines Minenschachts, in dem schätzungsweise 4000 illegale Bergleute in einem stillgelegten Bergwerk in Stilfontein in Südafrika gefangen sind.Bild: keystone

Tote an Haken, Lebende in Käfigen – dieses Bergarbeiterdrama erschüttert die Welt

In Südafrika läuft eine Rettungsaktion, die zu einem politischen Skandal werden könnte. Hilfsorganisationen sprechen von einem «Massaker».
15.01.2025, 23:0316.01.2025, 03:40
Matti Hartmann / t-online
Mehr «International»
Ein Artikel von
t-online
Forensic service workers carry remains in blue body bags during a rescue operation to rescue miners from below ground in an abandoned gold mine in Stilfontein, South Africa, Tuesday, Jan. 14, 2025. (A ...
Bisher wurden Medienberichten zufolge etwa 80 Leichen und 170 lebende Bergleute aus der Tiefe gehievt.Bild: keystone

In einer langen Reihe liegen eingewickelte und fest verschnürte Leichen nebeneinander. Kranke und ausgehungerte Männer blicken in die Kamera, ihre Körper sind bis auf die Knochen abgemagert. «Bitte helft uns», flehen die Lebenden. «Bringt uns Essen oder holt uns hier heraus.»

Es sind erschütternde Bilder aus zwei Kilometern Tiefe. Sie zeigen illegale Goldschürfer, die seit Monaten in einer stillgelegten Mine in Süafrika ausharren. Berichten zufolge essen die Lebenden die Toten, während sich Verwesungsgestank ausbreitet. So gross ist der Hunger.

Seit Montag läuft eine Rettungsaktion in der Stadt Stilfontein, etwa 140 Kilometer südwestlich von Johannesburg gelegen. Nach bisherigen Planungen wird sie rund zweieinhalb Wochen dauern, aber ob diese Schätzung stimmt, ist ungewiss. Niemand kann genau sagen, wie viele Menschen noch in der Mine sind. Es könnten einige Hundert sein oder aber auch deutlich mehr als 1'000.

Bisher wurden Medienberichten zufolge etwa 80 Leichen und 170 lebende Bergleute aus der Tiefe gehievt. Die Toten würden an Haken hängen, die Lebenden kämen in einem Käfig nach oben, berichtete ein Menschenrechtsanwalt vor Ort. Doch anders als bei anderen Bergarbeiterrettungen wird nicht jeder einzelne Kumpel gefeiert, der es an die Oberfläche schafft. Im Gegenteil: In den sozialen Medien äussern viele Menschen Hass, Hohn und Verachtung gegenüber den Goldschürfern.

«Wir räuchern sie aus»

Und auch die Regierung wollte die Rettungsaktion eigentlich gar nicht. Erst ein Urteil des High Courts of South Africa am vergangenen Freitag zwang sie dazu. Zuvor hatte sich die politische Führung Südafrikas auf den Standpunkt gestellt, die illegalen Minenarbeiter seien freiwillig in die Tiefe hinabgestiegen, jetzt sollten sie auch wieder allein herauskommen. «Wir räuchern sie aus», hatte Ministerin Khumbudzo Ntshavheni im November in harschen Worten formuliert. «Kriminellen hilft man nicht. Kriminelle verfolgt man.»

epa11823694 An emancipated miner is brought to a waiting ambulance after being rescued from underground during the official rescue operation at a disused gold mine shaft in Stilfontein, around 150 kil ...
Die illegalen Bergleute aka die «Zama Zamas» stammen vorwiegend aus armen Nachbarländern.Bild: keystone

Die illegalen Bergleute sind vor Ort als «Zama Zamas» bekannt, was übersetzt in etwa «die, die das Risiko suchen» bedeutet. Viele von ihnen stammen aus armen Nachbarländern. Es sind Einwanderer, die jede Gefahr in Kauf nehmen, um sich und ihre Familien zu ernähren.

Die «Zama Zamas» holen, was die Konzerne übrigliessen

Im an Bodenschätzen reichen Südafrika stellt der illegale Bergbau ein grosses Problem dar. Zu Tausenden suchen die «Zama Zamas» ihr Glück in verlassenen Minen, die so weit ausgebeutet sind, dass sich für die grossen Bergbaukonzerne eine weitere kommerzielle Förderung nicht mehr lohnt. Unter anderem die Mine in Stilfontein enthält aber noch so viel Gold, dass die illegalen Schürfer bereit sind, dort unter lebensgefährlichen Bedingungen Gestein abzubauen.

Sowohl unter Tage als auch an der Oberfläche existieren seit Jahren grosse Lager. Oben wird das Gestein gemahlen und gesiebt, unten bleiben die Goldgräber in der Regel Wochen und Monate ununterbrochen bei der Arbeit und sind dafür mit Nahrungsmitteln, Wasser, Stromgeneratoren und Werkzeugen ausgerüstet, die von oben herabgelassen werden.

Berichte über schwer bewaffnete Banden und Vergewaltigungen

Die örtliche Bevölkerung beobachtet das Treiben mit Argwohn und Angst, denn oftmals haben kriminelle Gangs die Kontrolle über die Lager übernommen. Bilder, die in den sozialen Netzen kursieren, zeigen schwer bewaffnete Männer mit Pistolen und Sturmgewehren. Berichten zufolge kommt es immer wieder zu Gruppenvergewaltigungen. Menschen werden verprügelt und von den Gangs zur Arbeit unter Tage gezwungen.

epa11728852 A community member wears a mask preparing to assist trapped miners near the entrance to a disused gold mine shaft in Stilfontein, around 150 kilometers south-west of Johannesburg, South Af ...
Ein Mann mit Maske bereitet sich darauf vor, verschütteten Bergleuten in einem stillgelegten Goldminenschacht in Stilfontein zu helfen.Bild: keystone

Die südafrikanische Regierung startete deshalb im Dezember 2023 die Aktion «Vala Umgodi», was übersetzt «Schliesse das Loch» bedeutet. Bis November 2024 nahm die Polizei fast 14'000 illegale Arbeiter in sieben Provinzen Südafrikas fest. Dann kam es in Stilfontein zur Eskalation.

Politische Aktivisten sprechen von bewusstem Massaker

Zu diesem Zeitpunkt befanden sich Schätzungen zufolge zwischen 2'000 und 4'000 illegale Bergleute in den Minen der 1949 gegründeten Goldgräberstadt. Die Polizei umstellte die Ausgänge und hinderte Helfer daran, weiter Lebensmittel und Medikamente in die Tiefe zu schicken.

epa11823717 Local community and family members of the trapped miners gather during the official rescue attempts near the entrance to a disused gold mine shaft in Stilfontein, around 150 kilometers sou ...
Der Fall in Stilfontein sorgt für Diskussionen.Bild: keystone

Rund 1'500 Menschen sind seither an die Oberfläche zurückgekehrt und wurden umgehend festgenommen. Die anderen blieben unter Tage. Fraglich ist allerdings, ob sie dies freiwillig taten. Während die Regierung verkündete, die Männer würden sich aus Angst vor Strafverfolgung weigern, an die Oberfläche zu kommen, sprechen Hilfsorganisationen und politische Aktivisten von einem bewusst verübten Massaker.

«Schacht elf ist ein Massengrab»

Ein politischer Skandal steht im Raum, denn Bilder aus Stilfontein legen nahe, dass zumindest aus Schacht elf wirklich kein Entrinnen ohne Hilfe von aussen möglich ist. Die Wände des Schachts sind glatt und steil, sie ragen Hunderte Meter senkrecht in die Tiefe. Die Interessenvertretung der Bergleute wirft der Polizei vor, Seile und das Flaschenzugsystem entfernt zu haben, mit denen der Schacht zugänglich war. Erst nach einem Gerichtsurteil war es zivilen Helfern zumindest vorübergehend möglich, wieder ein wenig Nahrung nach unten zu lassen und Botschaften der Eingeschlossenen nach oben zu befördern.

Relatives of miners and community members wait at a mine shaft where illegal miners are trapped in a disused mine in Stilfontein, South Africa, Thursday, Nov.14, 2024. (AP Photo/Jerome Delay)
Angehörige der Bergleute warten auf ihre Rettung.Bild: keystone

«Schacht elf ist ein Massengrab», sagte der Präsident der südafrikanischen Industriearbeitergewerkschaft Giwusa, Memetlwe Sebei, zu Beginn der Rettungsaktion. Jetzt ist ein Kran über dem Schacht installiert, der in einem fort Lebende und Tote ans Tageslicht holt.

Ans Tageslicht kommen nur «lebende Skelette»

Die britische BBC berichtete, dass die nach oben beförderten Leichen so leicht seien, dass sie jeweils von einer Person getragen werden könnten. Südafrikanische Medien meldeten, die ersten Obduktionen hätten ausnahmslos ergeben, dass die Toten verhungert seien. Spuren an den Körpern der Toten würden zudem die Berichte über Kannibalismus unter Tage belegen.

Die überlebenden Bergarbeiter werden zu Dutzenden in zerlumpter Kleidung in ein Sanitätszelt gebracht. Es handele sich um «lebende Skelette», sagte Gewerkschaftschef Sebei. Das Narrativ, dass diese Männer freiwillig seit Monaten in der Mine geblieben seien, sei eine «blutige Lüge». «Die Idee, dass die toten Minenarbeiter einen Massensuizid begangen haben könnten, ist lachhaft und empörend.»

Die Demokratische Allianz, die zweitgrösste Partei in der aktuellen Regierungskoalition in Südafrika, erklärte am Mittwoch, die Situation in der Mine sei «völlig ausser Kontrolle geraten». Angesichts der vielen Toten forderte die Partei eine unabhängige Untersuchung. Die Polizei hingegen gab bekannt, dass alle Überlebenden sofort festgenommen würden. «Wer laufen kann, kommt direkt in eine Zelle», erklärte ein Beobachter vor Ort.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
65 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Acai
15.01.2025 23:41registriert März 2017
Südafrika war sicher auch prägend für Elon Musk.
Unglaublich menschenverachtend was die Regierung dort treibt. Auch angeblich Kriminellen muss man helfen… (Wer „freiwillig“ in so ein Loch steigt hätte Hilfe ja schon vorher bitter nötig)
16721
Melden
Zum Kommentar
avatar
Ktwo
16.01.2025 00:20registriert Februar 2024
Ich finde leider die Quelle nicht mehr, in der ich gelesen habe, dass die Zugänge zu den Schächten teilweise von der Polizei zugeschüttet wurden. Fest steht wohl, dass die Regierung diese Leute umbringen wollte. Vermutlich sind auch Kinder darunter, die zu dieser Arbeit gezwungen wurden. Zama Zama sind meist gewalttätige, organisierte und gesetzlose Banden, die vor nichts zurückschrecken. Und sie sind auch Verzweifelte, Ausgebeutete, Verschleppte.
Das ganze System mit dem Goldabbau ist pervers.
1129
Melden
Zum Kommentar
avatar
elai
15.01.2025 23:40registriert Januar 2016
Ich bin einfach sprachlos 😞🪔...
797
Melden
Zum Kommentar
65
    Sechs mutmassliche Putsch-Planer in Rumänien festgenommen – Russland-Verbindung vermutet

    In Rumänien sind sechs Menschen festgenommen worden wegen des Verdachts, einen Staatsstreich geplant zu haben.

    Zur Story