International
Südafrika

Die Gewalt in Südafrika eskaliert: Das blanke Chaos

South African Defence Force soldiers keep themselves warm around a fire while stationed in Alexandra Township, near Johannesburg, to assist police in quelling looting and rioting Tuesday, July 13, 202 ...
Südafrikanische Soldaten halten sich während der Nacht warm, Alexandra Township in Johannesburg, 13. Juli.Bild: keystone

Die Gewalt in Südafrika eskaliert: Das blanke Chaos

Die Gewalt in Südafrika fordert immer mehr Todesopfer. Auf den Strassen fallen Schüsse, ein Einkaufszentrum brennt, selbst das Militär scheint machtlos. Im Land entlädt sich eine Wut, die sich lange aufgestaut hatte.
14.07.2021, 21:14
Patrick Diekmann / t-online
Mehr «International»
Ein Artikel von
t-online

Es sind Bilder wie im Bürgerkrieg: In vielen Provinzen Südafrikas sind ganze Strassenzüge verwüstet, Militärhubschrauber kreisen über den Städten, es patrouillieren Soldaten und Polizisten mit Maschinengewehren, bei Johannesburg steht ein Einkaufszentrum in Flammen. Immer wieder gibt es wütende Proteste mit hoher Gewaltbereitschaft und brennenden Barrikaden. Im Schatten der Ausschreitungen schlagen ganze Horden von Plünderern zu. Was nicht mitgenommen werden kann, wird zerstört. Es sind traurige Szenen der Verschwendung, besonders für ein Land, in dem so viele Menschen unter Armut leiden.

A factory burns on the outskirts of Durban, South Africa, Wednesday, July 14, 2021 in ongoing unrest. Rioting has continued which was sparked by the imprisonment last week of ex-President Jacob Zuma r ...
Eine Fabrik nahe Durban wurde in Brand gesetzt, 14. Juli.Bild: keystone

Bei den Gewaltexzessen kamen laut offiziellen Angaben der Sicherheitsbehörden bislang 72 Menschen ums Leben, viele weitere wurden verletzt, mindestens 1'200 wurden verhaftet. Die meisten Todesopfer waren Plünderer – sie wurden von anderen Plünderern tot getrampelt. Trotzdem scheint kein Ende der sinnlosen Zerstörung in Sicht, im Gegenteil: Der Flächenbrand erfasst immer mehr Provinzen in Südafrika, selbst die Mobilisierung des Militärs zeigt bislang kaum Wirkung.

Betroffen sind vor allem die nördliche Provinz Gauteng mit der Wirtschaftsmetropole Johannesburg und der Hauptstadt Pretoria sowie die östliche Provinz Kwazulu-Natal. In der dort besonders stark betroffenen Hafenstadt Durban teilte die Stadtverwaltung am Dienstag mit, dass es wegen der Proteste bei den städtischen Versorgungsdiensten – etwa der Wasserversorgung – Probleme geben könne.

Wie konnte es so weit kommen?

Die Wurzel der gegenwärtigen Anarchie im Land ist nicht die Verhaftung des Ex-Präsidenten Jacob Zuma, das Problem liegt tiefer. Es entladen sich aktuell die Wut und die Verzweiflung vieler Menschen – über die Korruption der Regierungen in den letzten Jahrzehnten und über die anhaltende Armut eines grossen Teils der Bevölkerung.

Der korrupte Ex-Präsident

Die Proteste gegen die Inhaftierung Zumas vergangene Woche waren jedoch ohne Zweifel der entscheidende Funke. Der ehemalige Präsident war wegen Missachtung der Justiz zu einer Haftstrafe von 15 Monaten verurteilt worden, die er vor einer Woche antrat – der 79-Jährige stellte sich selbst am Wochenende der Polizei. Er muss sich vor einer Untersuchungskommission wegen verschiedener Korruptionsvorwürfe während seiner Amtszeit (2009-2018) verantworten, war aber einer Vorladung nicht gefolgt. 

epa09330731 (FILE) - Former South African President Jacob Zuma speaks during a press conference in Nkandla, Kwa-Zulu Natal, South Africa, 04 July 2021 (reissued 08 July 2021). Zuma has handed himself  ...
Jacob Zuma: Die Inhaftierung des ehemaligen Präsidenten führte in Südafrika zum Beginn der Proteste.Bild: keystone

Mutmasslich nicht ohne Grund, denn die Kritik an Misswirtschaft und Korruption fand in Südafrika 2018 – zum Ende von Zumas Präsidentschaft – ihren Höhepunkt. Es gab immer wieder Berichte, dass sich führende Politiker und eine administrative Elite im Land Millionenbeträge in die eigenen Taschen steckten, auch der ehemalige Staatschef selber stand im Fokus.

Zuma liess sich nicht nur eine protzige Privatresidenz auf Staatskosten bauen, sondern wurde mit insgesamt 16 Anklagen wegen Betrugs, Bestechung und Erpressung konfrontiert, die sich auf den Kauf von Kampfjets, Patrouillenbooten und militärischer Ausrüstung von fünf europäischen Rüstungsfirmen im Jahr 1999 für 30 Milliarden Rand – damals umgerechnet fast 5 Milliarden Dollar – beziehen.

People throw stones at police as they attempt looting at Letsoho Shopping Centre in Katlehong, east of Johannesburg, South Africa, Monday, July 12, 2021. Police say six people are dead and more than 2 ...
Johannesburg: Polizisten versuchen, Plünderer zu vertreiben, 12. Juli.Bild: keystone

Anhänger, die an seine Unschuld glauben, hat er aber trotzdem noch. Immerhin hat er zwei Wahlen mit deutlichem Vorsprung gewonnen. Sie traten die Proteste los. Schnell gesellten sich jedoch jene Südafrikaner dazu, deren Feindbild Zuma ist. Sie tragen aufgrund von Armut ihre Wut in die Geschäfte, um zu plündern. 

Nach dem Chaos lauert die nächste Katastrophe

Seine Partei, der Afrikanische Nationalkongress (ANC), hat inzwischen mit Zuma gebrochen. Sie regiert weiterhin, musste allerdings bei der letzten Wahl 2019 deutliche Verluste und das schlechteste Wahlergebnis seit dem Ende der Apartheid hinnehmen. Auf über 57 Prozent der Stimmen kam die ehemalige Partei von Nelson Mandela allerdings immer noch. Cyril Ramaphosa, der derzeitige Präsident des Landes, machte den Kampf gegen die Korruption zum zentralen politischen Ziel.

Die Arbeitslosenquote in Südafrika von 1980 bis 2020 und Prognosen bis 2026:

Die Arbeitslosenquote in Südafrika von 1980 bis 2020 und Prognosen bis 2026.
Die Arbeitslosenquote in Südafrika von 1980 bis 2020 und Prognosen bis 2026.statistik: statista 2021

Im Kampf gegen ein anderes Problem, die soziale Ungleichheit im Land, war auch Ramaphosa bisher vor allem eines: erfolglos. Die Arbeitslosenquote im Land steigt weiter rasant an, schon vor der Corona-Krise lag sie bei über 28 Prozent. Die daraus resultierende Armut führt zu einer extrem hohen Kriminalitätsrate, Südafrika gilt als eines der gefährlichsten Länder der Welt. Das gilt nicht nur für Raubüberfälle, sondern auch für Morde und Vergewaltigungen. Hinzu kommt, dass Südafrika eine der höchsten HIV-Raten weltweit hat, über 20 Prozent der Gesamtbevölkerung sind betroffen.

Anzahl der Morde in Südafrika in den Jahren von 2006 bis 2020

Anzahl der Morde in Südafrika in den Jahren von 2006 bis 2020.
Anzahl der Morde in Südafrika in den Jahren von 2006 bis 2020.daten: institute for security studies/statista 2021

Dann kam im Jahr 2020 die Pandemie und traf das Land hart. Die Regierung reagierte zwar schnell mit einem Lockdown, aber das Virus war nicht aufzuhalten. Die schnelle Durchseuchung führte auch zu der Entwicklung der Beta-Variante im Land, gegen die der Impfstoff von Astrazeneca nur unzureichend schützte. Deshalb setzte die Regierung Impfungen mit dem Vakzin aus. 

Die Folge ist, dass Südafrika Corona noch lange nicht besiegt hat. Die Inzidenz liegt momentan bei 216,5, gerade einmal 2.3 Prozent der Bevölkerung sind vollständig geimpft. Im Schatten des gegenwärtigen Chaos lauert demnach schon wieder die nächste pandemische Katastrophe, mit Folgen für den ganzen Kontinent. 

Ein kollektiver Plünderrausch

Vor dem Hintergrund der allgemeinen Frustration über die Missstände im Land brach in den vergangenen Tagen plötzlich eine Art kollektiver Plünderrausch aus. Die Proteste haben sich längst verselbstständigt und eine neue Dynamik entfaltet. 

Looters outside a shopping centre alongside a burning barricade in Durban, South Africa, Monday July 12, 2021. Police say six people are dead and more than 200 have been arrested amid escalating viole ...
Durban: Plünderer stehen vor einem Einkaufszentrum neben einer brennenden Barrikade, 12. Juli.Bild: keystone

«Das wirkt wie ein Schlussverkauf kurz nach Weihnachten», sagte ein Reporter, der mit Polizisten ganze Menschenscharen beim Plündern beobachtete. Weggetragen wurde alles, was sich irgendwie mitnehmen liess. Augenzeugen berichteten vor laufender Kamera über Menschen, die mit Mittelklassewagen vorfuhren und Kühlschränke, Betten, Kleider oder Schuhe wegschafften. Selbst das Bild eines jungen Plünderers mit einem Dildo in der Hand machte die Runde in den sozialen Medien.

Die Ordnungshüter mussten angesichts der Masse an Plünderern machtlos zusehen oder vor Steinewerfern in Deckung gehen. Im Internet organisierten sich – etwa in Durban – Nachbarschaftshilfen, um ein Überschwappen der Anarchie in die Wohngebiete zu verhindern.

Der hilflose Präsident

Die Polizei, die Regierung, das Militär – alle wirken dagegen hilflos. Soldaten sollen zwar patrouillieren, sichern aber zunächst kritische Infrastruktur wie Krankenhäuser oder Flughäfen. Bei den schnell aufflammenden Brandherden in den Provinzen sind sie zu langsam vor Ort. Auch die Polizei schreitet oft zu spät oder gar nicht ein. 

A security person aprehends looters inside a store in Vosloorus near Johannesburg, Tuesday July 13, 2021. South Africa's rioting continued Tuesday with the death toll rising to 32 as police and t ...
Ein südafrikanischer Polizist bewacht mutmassliche Plünderer in Vosloorus nahe Johannesburg, 13. Juli.Bild: keystone

Präsident Ramaphosa gehen die Ideen aus. Er versucht es mit Appellen, Warnungen, gesteht den Demonstranten das Recht auf friedlichen Protest zu. Doch die schockierende Gewalt auf den Strassen verurteilt er deutlich: «Gewalttaten, wie man sie seit Beginn der südafrikanischen Demokratie noch nicht gesehen hat», sagte er in einer TV-Ansprache am Montag. Während seiner Rede wurden Live-Bilder aus einem Einkaufszentrum in Durban eingespielt, in dem Menschen ungehindert mit Körben und anderen Behältern zum Plündern schlenderten. «Das sind nicht wir», sagte ein ernst dreinblickender Präsident.

Dass Ramaphosa die Kontrolle über die Lage verloren hat, macht unklar, wohin sich die gegenwärtige Situation entwickelt – und diese dadurch umso gefährlicher. Der Präsident steht vor der unlösbaren Aufgabe, gleichzeitig die Corona-Infektionszahlen, die Armut, die steigenden Arbeitslosenzahlen sowie die Korruption in der eigenen Partei und der Regierung zu bekämpfen. Die Inhaftierung Zumas galt für Letzteres als Meilenstein, aber was für die südafrikanische Demokratie ein grosser Schritt vorwärts sein sollte, führte zur exzessiven Gewalt.

Die Eskalation zeigt, dass auch eine Freilassung Zumas das Feuer nicht löschen würde. Die Probleme Südafrikas liegen vor allem in der Armut und der Perspektivlosigkeit eines grossen Teils der Bevölkerung. Demnach hat der Präsident nur teilweise recht, wenn er mit Blick auf die Plünderungen sagt, dass das «nicht wir sind». Denn das gegenwärtige Chaos ist der Spiegel der vielen gesellschaftlichen Probleme, des Erbes der Apartheid.

Verwendete Quellen:

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Kapstadt im Rauch – mehrere historische Gebäude bei Grossbrand zerstört
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
Hast du technische Probleme?
Wir sind nur eine E-Mail entfernt. Schreib uns dein Problem einfach auf support@watson.ch und wir melden uns schnellstmöglich bei dir.
65 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
du_bist_du
14.07.2021 21:26registriert Mai 2020
Mir unerklärlich wie man das nach dem Ende der Apartheid dermassen vermasseln konnte. Ich denke, so hat sich Mandela das neue Südafrika nicht vorgestellt...
14211
Melden
Zum Kommentar
avatar
Snoorkine
14.07.2021 22:42registriert Oktober 2020
I'm worrying so much about my family in Joburg... Argh! Es ist kaum auszuhalten, all dieses Leid... :-(
6611
Melden
Zum Kommentar
avatar
honesty_is_the_key
14.07.2021 23:34registriert Juli 2017
Schrecklich und macht grosse Angst. Extreme Armut, extreme Korruption, grauenhafte Menschen wie Jacob Zuma, Covid-19 und die daraus resultierenden fehlenden Touristen etc. mögen zwar evtl. "legitime" Gründe für die Verzweiflung einiger Menschen sein. Trotzdem - Gewalt, Plünderungen, Menschen die getötet werden in Kauf zu nehmen - dafür gibt es keine Entschuldigung.

Ich liebe Südafrika und habe Freunde dort, und es tut mir weh für Südafrika und die vielen fantastischen Menschen dort.

N'kosi Sikeli Africa !!!
578
Melden
Zum Kommentar
65
Millionen Menschen haben laut WHO Genitalherpes

Von den Menschen zwischen 15 bis 49 Jahren lebt nach einer Schätzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) weltweit mehr als jeder fünfte mit einer Genitalherpes-Infektion. Das sind insgesamt 846 Millionen Menschen.

Zur Story