Das Machtgefüge in Syrien hat sich grundlegend verändert, seit das Regime von Baschar al-Assad nicht mehr an der Macht ist. Das hat auch Folgen für die Türkei und den Iran. Die beiden Staaten verfolgen seit Jahren eigene Interessen in Syrien.
Zwar ist noch unklar, wie die politische Landschaft in Syrien in Zukunft aussehen wird. Fest steht aber bereits: Assads Ende spielt der Türkei strategisch in die Karten. Für den Iran hingegen könnte sich der Sturz seines Regimes als Rückschlag entpuppen.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan könnte von Assads Sturz politisch profitieren. Dazu passt, dass Ankara der Offensive der Rebellen mindestens zugestimmt haben könnte, wie Analysten bereits zu Beginn der jüngsten Eskalation in Syrien vermutet hatten.
Eine solche Analystin ist Gönül Tol, Direktorin des Middle East Institute in Washington. «Die Türkei witterte ihre Chance», sagte sie der «Financial Times». Sie wolle die Gelegenheit nutzen, «die Dynamik vor Ort zu ändern, Assads Position zu schwächen und der nächsten US-Regierung zu zeigen, dass die Türkei den iranischen Einfluss effektiv eindämmen kann».
Ein wichtiges Ziel ist für Erdoğan wohl, dass sich die Zustände in Syrien beruhigen. Sollte es dort sicher genug werden, könnten viele der syrischen Geflüchteten zurückkehren. Und das könnte Erdoğan innenpolitisch stark nutzen. Denn die Türkei hat mit über drei Millionen Menschen mehr Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen als jedes andere Land. Die Akzeptanz ist in den letzten Jahren bei Teilen der türkischen Bevölkerung gesunken.
Dazu passt die offizielle Linie der Türkei, die Aussenminister Hakan Fidan zuletzt vorstellte: Erdoğan habe eine friedliche Lösung für den Konflikt gefördert. Man habe Assads Regime die Möglichkeit gegeben, die Gewalt zu beenden und den Dialog mit der eigenen Bevölkerung zu suchen – eine Chance, die ungenutzt blieb. «Die ausgestreckte Hand von Präsident Erdoğan wurde nicht angenommen», erklärte Fidan laut «Tagesschau». Jetzt könne das syrische Volk selbst über die Zukunft des Landes entscheiden.
Erdoğan selbst kündigte noch am Montag die Öffnung eines seit 2013 gechlossenen Grenzpostens an der Grenze zu Syrien an. Hunderte waren nach Assads Flucht dorthin geströmt, um in ihr Heimatland zurückzukehren. «Der starke Wind des Wandels in Syrien wird allen Syrern, insbesondere den Flüchtlingen, zugute kommen», erklärte Erdoğan. «In dem Masse, in dem Syrien an Stabilität gewinnt, wird die freiwillige Rückkehr zunehmen.»
Aussenminister Fidan hob noch ein weiteres Ziel der türkischen Politik hervor: Die kurdische PKK und der «Islamische Staat» dürften keinen Vorteil aus der neuen Situation in Syrien ziehen. Die Türkei schreibt der PKK schwere Terroranschläge auf türkischem Boden zu. Auch die Miliz YPG, von der Ankara erklärte, dass sie ein syrischer Ableger der PKK sei, ist für Ankara ein rotes Tuch.
Die Offensive könnte der Türkei nun Gelegenheit geben, verbündete Fraktionen dabei zu unterstützen, kurdische Kräfte zurückdrängen. So haben nach Assads Sturz und nach zweiwöchigen schweren Gefechten gerade pro-türkische Rebellen die nordsyrische Stadt Manbidsch von Kurdenmilizen eingenommen. Die Stadt liegt nahe der türkischen Grenze, rund 70'000 Einwohner leben dort.
Den Iran hingegen dürfte der Sturz Assads schwächen. Teheran war jahrelang einer der wichtigsten Unterstützer des Assad-Regimes, hat Milizen entsandt, Waffen geliefert und enorme finanzielle Ressourcen investiert. Ein wichtiges politisches Ziel dabei: eine Allianz gegen Irans Erzfeind Israel schmieden. Am Ende war das wohl eine Verlustrechnung. Oder wie der Ex-Berater um US-Aussenministeriums Eliot A. Cohen in «The Atlantic» schreibt: Irans oberster Führer Ali Khamenei habe «alles verloren».
Das könnte sich jedoch auch wieder schnell ändern, glaubt Cohen. Denn nun dürfte die iranische Führung versuchen, sich taktisch neu aufzustellen und ihren Einfluss neu zu sichern. Offizielle Statements blieben bisher zurückhaltend: Das iranische Aussenministerium betonte lediglich, man werde weiterhin für Stabilität in Syrien eintreten.