In der Türkei zittert Langzeitmachthaber Recep Tayyip Erdoğan nach einer zwanzigjährigen Amtszeit um seine Wiederwahl. Er liess im Vorfeld der Wahlen verlauten, dass er jedes Resultat anerkennen werde – wobei derzeit sieht es ohnehin danach aus, als ob Erdoğan die Stichwahlen am 28. Mai für sich entscheiden könnte. Doch nun häufen sich die Berichte auf Social Media, dass bei den Wahlen nicht alles ganz so zu- und hergeht, wie es in einer Demokratie sollte.
Bereits vor der Wahl beschuldigte der härteste Konkurrent des amtierenden Präsidenten, Kemal Kılıçdaroğlu, Erdoğan des Betrugs. So warf er der Partei des Präsidenten vor, dass mithilfe von Deepfake eine Verleumdungskampagne gegen Oppositionspolitiker geplant sei. Allerdings schaffte die Regierungspartei «Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung» (AKP) es auch ohne Deepfake, die Opposition als Terroristen abzukanzeln – mit Reden, Aufklebern, Social-Media-Kampagnen, gefälschten Videos oder Zeitungsartikeln. Denn die grossen Medienhäuser in der Türkei, aus denen die meisten Menschen ihre Nachrichten beziehen, stehen überwiegend auf der Seite der Regierung.
Erdoğan schoss unter anderem gegen Kılıçdaroğlu, indem er während einer Wahlkampfveranstaltung ein manipuliertes Video vorführte, in dem Kılıçdaroğlu mit der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) in Verbindung gebracht wird, die in der Türkei als Terrororganisation eingestuft ist. Und auch die sozialen Medien nutzte die AKP geschickt. Unter anderem wurde mit einem gefälschten Sexvideo der Präsidentschaftskandidat Muharrem İnce diskreditiert, was zu dessen Rückzug aus dem Rennen führte.
Nur wenige Tagen vor den Wahlen veröffentlichten Human Rights Watch und Article 19 einen viel beachteten Text, in dem aufgezeigt wird, wie die Regierung das Internet kontrolliert, um gegnerische Stimmen zu unterdrücken.
Und jetzt sollen also nicht nur der Wahlkampf, sondern auch die Wahlen geschickt manipuliert werden. Das regierungskritische Online-Nachrichtenportal OdaTV berichtete, dass Kılıçdaroğlu sagte:
Kemal Kılıçdaroğlu: "Oyumuzun yüksek olduğu sandıklarda üst üste itirazlarla oyumuzu bloke ediyorlar. Örneğin Ankara'da 783 sandıkta itiraz var. Bu milletin iradesine bloke koymayın."
— Odatv (@odatv) May 14, 2023
Der Schweizer Rechtsanwalt Emrah Erken schreibt, dass die AKP vorgedruckte Einsprachen unter den Wählern des Präsidenten verteilt habe. Dies führe dazu, dass Wahlurnen, in denen Kılıçdaroğlu die Mehrheit der Stimmen halte, mehrfach ausgezählt werden müssten – und so nicht in die Zwischenergebnisse einfliessen würden. So könne der Eindruck erweckt werden, dass die Wahl eigentlich schon entschieden sei.
Die nationalislamistische AKP lässt keinen schmutzigen Trick aus.
— Emrah Erken (@AtticusJazz) May 14, 2023
In Ankara beispielsweise wurden Urnen, in welchen #Kılıcdaroğlu mit über 80% führt, laut Oberbürgermeister von Ankara Mansur Yavaş bis zu 11x (!) neu ausgezählt.
Das hat damit zu tun, dass die AKP vorgedruckte…
Dies sei ein altbekannter Trick der AKP. Das Ziel sei es, bereits zu Beginn des Wahlganges die Opposition zu entmutigen und zu zermürben, damit die Wähler gar nicht erst zur Urne gehen, so Erken und andere Kritiker des Systems auf den Sozialen Medien.
Mittlerweile gelten 99 Prozent der Urnen im Inland und 84 Prozent der Urnen im Ausland als ausgezählt. Die Wahlbehörden vermeldeten, dass Erdoğan knapp vorne liege – eine absolute Mehrheit von 50 Prozent verfehlt er aber voraussichtlich. Die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu meldete am Montag, dass der Präsident 49,40 Prozent der Stimmen geholt habe.
Auch in der Schweiz seien die Wahlurnen ausgezählt, wie die türkische Nachrichtenagentur Anadolu am Montagmorgen meldete. Demnach haben 57 Prozent der Türken in der Schweiz Kılıçdaroğlu ihre Stimme gegeben, rund 41 Prozent gingen an Erdoğan.
Bei einer Rede im Jahr 1998 beschwor Erdoğan die Demokratie noch. Er zitierte aus einem Gedicht den Satz:
Inzwischen scheint er längst von diesem Zug abgesprungen zu sein. Er unterdrückt kritische Medien und die Opposition, hat die Gewaltenteilung abgeschafft, die Institutionen auf seine Linie gebracht oder mit falschen Eingriffen die Wirtschaftskrise massiv verschärft. Darum können sich die Leute im Land am Bosporus kaum noch eine Zwiebel leisten – geschweige denn die Mieten. Und bei einem Jahrtausenderdbeben sterben Menschen, weil der Katastrophenschutz aufgrund der Zentralisierung versagt.
Wie es weitergeht in der Türkei, wird sich spätestens am 28. Mai zeigen. Denn sollte Erdoğan nicht doch noch eine Mehrheit von 50 Prozent erreichen, ist eine Stichwahl an diesem Datum wahrscheinlich.
An die 41%, bitte packt eure 7 Sachen und geht zu eurem Lieblingsdiktator. Hier in einer westlichen Demokratie in Freiheit leben, aber für die Landsleute zu Hause eine autoritäre Regierung wählen ist unter aller Sau.
Das gilt übrigens nicht nur für die Türkei.
Und ja, die SVPler haben ein sehr sonderbares Verhältnis zu den Despoten dieser Welt. 🤷♂️