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Opernhaus Zürich: Anna Netrebko singt trotz ukrainischem Widerstand

Trotz ukrainischem Widerstand: Operndiva Anna Netrebko singt bald im Opernhaus Zürich

Die russische Operndiva singt bald am Opernhaus Zürich. Daran ändert auch ein offener Brief der ukrainischen Botschafterin nichts.
28.10.2025, 08:5628.10.2025, 11:10
Christian Berzins / ch media

Anna Netrebko, vor dem Ukraine-Krieg Königin in Wladimir Putins Musikimperium, wird ab 2. November in Zürich fünf Mal in Verdis «La forza del destino» (Die Macht des Schicksals») singen. Daran ändert ein offener Brief der ukrainischen Botschafterin nicht, auch wenn er von (ex-)Politikern wie Christa Markwalder oder Gerold Bührer und Kulturschaffenden wie dem Autor Rolf Dobelli unterschrieben ist.

FILE - Russian President Vladimir Putin, left, congratulates Russian opera singer Anna Netrebko after awarding her with the People's Artist of Russia honor, during the 225th anniversary celebrati ...
Anna Netrebko stand Wladimir Putin in der Vergangenheit nahe (Foto aus dem Jahr 2008).Bild: keystone

Orchestriert hat Netrebkos Reinwaschung in den letzten dreieinhalb Jahren Miguel Esteban. Der Musikmanager war kurz Intendant des Orchestre de la Suisse Romande, ehe er dort 2012 entlassen wurde. Später arbeitete er mit Verbier-Festivalchef Martin Engstroem zusammen. Der Russland und seinem im Westen verschwundenen Musizaren Valery Gergiev sehr nahestehende Engstroem setzte Esteban unter anderem für eines seiner Satelliten-Festivals ein - für jenes im lettischen Jurmala. Dieses Festival wurde mit russischem Geld finanziert (ähnlich wie Verbier teilweise vor dem Krieg). Als der Krieg begann, war es mit den Konzerten in Jurmala vorbei.

Esteban versuchte zu zeigen, wie nichtig Netrebkos Russlandbezeugungen und -beziehungen von einst waren. Er schaffte es auch, die am Anfang des Krieges auf Social Media wild um sich schlagende Netrebko zum Schweigen zu bringen. Als «Human shit» bezeichnete sie indirekt beziehungsweise via Teilung einer Instagram-Story eines Fans damals die Musikkritiker. Dafür hat sie sich nie entschuldigt.

Dennoch kann Zürichs Opernhausdirektor Matthias Schulz nun sagen: «Seit Kriegsbeginn hat Anna Netrebko keine Auftritte in Russland absolviert und nur auf Bühnen gastiert, die ebenfalls eine klare pro-ukrainische Haltung vertreten. Ihre Positionierung wurde durch ein ausführliches Interview in der ZEIT sowie durch ihr Handeln weiter untermauert.» Es sei sogar bemerkenswert, dass sie trotz persönlicher Risiken in Russland öffentlich Stellung bezogen habe. Ein Schritt, so meint Schulz, der dort erhebliche Konsequenzen nach sich ziehen hätte können und noch kann.

Netrebko strebt durch ihre Kunst Frieden an

Schulz spielt damit auf Netrebkos Aussagen von Ende März 2022 an, in denen sie sich von Russland distanziert hat. Damals hatte die Sängerin den Krieg gegen die Ukraine verurteilt und gesagt, dass ihre Gedanken bei den Opfern dieses Krieges und ihren Familien seien. Sie fügte damals an:

«Meine Position ist klar. Ich bin weder Mitglied einer politischen Partei, noch bin ich mit irgendeinem Führer Russlands verbunden. Ich erkenne und bedauere, dass meine Handlungen oder Aussagen in der Vergangenheit zum Teil falsch interpretiert werden konnten.»

Sie liebe ihr Heimatland Russland und strebe durch ihre Kunst ausschliesslich Frieden und Einigkeit an.

Diese Botschaft konnte man deuten, wie man wollte. Die ukrainische Botschafterin hingegen kritisiert im Brief zurecht, dass Netrebko bereits 2012 offiziell Putins Präsidentschaftskampagne mit ihrer Unterschrift unterstützte. Bezeichnend auch: 2014 posierte sie gemeinsam mit Vertretern der russischen Besatzungsbehörden vor der Flagge von «Noworossija» – des grossrussischen Symbols - und spendete an ein Opernhaus im von russischen Truppen besetzten Donezk. Richtigerweise heisst es im Brief, dass Netrebko mehrfach auf höchster Ebene vom Kreml geehrt wurde.

Aber eben: Warum auch nicht? Sie ist Russin - schön, wenn der Staat seine Künstler ehrt. Das Argument der Botschafterin, dass Netrebko bis heute den Kriegsaggressor nie klar benannte und sich auch nie gegen Putin aussprach, ist dennoch richtig.

Der Brief der Botschafterin ist fehlerhaft

Die Botschafterin müsste allerdings genauer sein. Dass verschiedene Opernhäuser und Festivals weltweit aus beschriebenen Gründen abgesagt haben, stimmt - die Metropolitan Opera in New York etwa. Aber nicht, wie im Botschafterinnen-Brief geschrieben, die Mailänder Scala. Dieses Theater war eines der Ersten, das Netrebko wieder engagierte und zeigte sich auch sonst verbunden mit Russland.

Würde man im offenen Brief fragen, warum denn Netrebko auf der Homepage des Petersburger Mariinsky Theaters - Putins Heimatbühne - immer noch unter den Solisten der 243. Saison figuriert, regte das mehr zum Nachdenken an. Netrebko und Manager Esteban könnten den Namen dort mit Leichtigkeit löschen lassen.

Es ist keine Frage, dass Esteban weiss, dass er dort steht. Diesem Manager entgeht nichts. Schrieben Journalisten in den letzten zwei Jahren zwei negative Worte, erhielten sie Post von Esteban. Er aber sagt, er kritisiere sie nicht, sondern korrigiere sie bloss.

Trotz seines Reinwaschungskatalogs musste Esteban in der Neulancierung von Netrebkos West-Karriere auch Niederlagen einstecken. Unter anderem in Luzern, wo die Regierung im Mai 2024 einen Auftritt der Putin-Künstlerin, der am 1. Juni hätte stattfinden sollen, verbot: Man fürchtete sich vor Demonstrationen von ukrainischer Seite. Das war übertrieben, aber man fühlte ein Unbehagen. Esteban meinte nach der Absage, dass es den Veranstalter viele hunderttausend Franken kosten würde. Gemach. Auch die Metropolitan Opera in New York wurde eingeklagt – ohne Erfolg bis jetzt, der Rechtsstreit dauert allerdings noch an.

2024 zeigte sich die Diva in Berlin mit Maschinengewehr

Schlecht für den Reinwaschkatalog war auch der September 2024. Damals hatte sich die Diva in Berlin im Vorfeld eines «Nabuccos» auf Instagram mit einer Maschinenpistole in der Hand gezeigt. So viel Unsensibilität kann man mit einer kriegerischen Handlung einer Oper nicht erklären.

Auch dieses Malheur konnte das Duo Esteban/Netrebko gelassen nehmen. Der Rubel rollt wieder. Mailand, Wien, Paris, Berlin und neuerdings London engagieren Anna Netrebko wieder, von Nebenschauplätzen wie Verona oder Napoli ganz zu schweigen. Umso besser und schöner für Esteban und Netrebko, sind die zwei mittlerweile doch ein Paar geworden. Das würden laut «BILD» jedenfalls Social-Media-Botschaften beweisen. Das aber, so Esteban gegenüber dieser Zeitung, stimmt nicht.

Bei all diesen Engagements mag auch das Opernhaus Zürich nicht mehr hintenanstehen. Der neue Opernintendant Matthias Schulz will nun mal die Handvoll der letzten grossen Opernstars an seinem Haus haben – und dazu gehört die Netrebko aufgrund ihrer Stimmkünste zweifellos.

In Zürich singen wird die Netrebko jene Rolle, mit der sie am 7. Dezember 2024 in Mailand einen Triumph feierte. Sie wurde damals nach den Arien lange bejubelt, aber eben auch von ein paar wenigen ausgebuht. Erstaunlicherweise und selbstbewusst sagte Netrebko danach: «Es gab nach meinen Arien keine Buhs.» Oder kam da die Netrebko von einst zum Vorschein? Oder eine mittlerweile moderne Art der Diskussionsführung? Nach russischer Sprachregelung führt Russland auch keinen Krieg, sondern bloss eine Sonderoperation in der Ukraine.

Die Kriegsoper wird in der Schweiz spielen

Interessanterweise wirkt Netrebko in Zürich in «La forza del destino» mit, in einer Oper, die ausgerechnet im Krieg spielt. Keine leichte Aufgabe für Netrebko und eine geradezu grosse Herausfordung für Regisseurin Valentina Carrasco. Sie verlege, so Operndirektor Schulz, die Handlung in eine imaginäre Schweiz, die einer militärischen Bedrohung ausgesetzt ist und bereits sichtbare Schäden davongetragen hat: «Bewusst gewählt, um einen starken Kontrast zu ihrem Ruf nach Neutralität und Sicherheit zu setzen. Dadurch entsteht eine beklemmende Atmosphäre, oft eine irritierende Schönheit ausstrahlend, die die Zerbrechlichkeit von Frieden und Stabilität erfahrbar macht.»

Netrebko wird den Abend mit einer Arie beenden, die da beginnt mit: «Pace, pace, mio dio» – «Frieden, Frieden, mein Gott!». Dazu passen die Worte von Matthias Schulz: «Die Kunst sollte Raum für Dialog schaffen und Menschen verbinden.»

Der bestimmt umjubelte Abend wird allerdings vor allem zeigen, dass nur noch wenige Menschen sich vom Krieg in der Ukraine stören lassen wollen, man will nichts (mehr) von der politisierten Klassik hören. Der «Frieden» soll kommen - egal wie. Bald kann Netrebko auch im dannzumal wohl russischen Donezk auftreten. Man wird sich dort bestimmt freuen, schon 2014 hat die Russin dem Theater eine Million Rubel gespendet.

Opernhaus Zürich: La forza del destino, ab 2. November. (aargauerzeitung.ch)

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62 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Spi
28.10.2025 09:15registriert März 2015
Sehr fragwürdig, denn die Oper Zürich erhält jedes Jahr rund 90 Mio. an Steuergelder.
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Sebastianus
28.10.2025 09:11registriert Dezember 2023
Das ist katastrophal. Das ist zum schämen, Fingerspitzengefühl.
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Roli4ka
28.10.2025 09:38registriert April 2023
Wieso gibt es eigentlich im Opernhaus nicht mal eine Veranstaltung mit Künstler aus Nordkorea, wenn doch die Kunst so sehr die Menschen allen Couleurs verbindet?!
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