International
Ukraine

So entging die Welt 1962 in der Kubakrise dem Armageddon

Lektion für Putin: So entging die Welt 1962 in der Kubakrise dem Armageddon

Knapp entging die Welt 1962 während der Kubakrise dem nuklearen Inferno. Eine Lektion sollte auch Wladimir Putin aus diesem Konflikt lernen.
14.10.2022, 06:2814.10.2022, 15:03
Marc Lüpke / t-online
Mehr «International»
Ein Artikel von
t-online

Die Zeichen standen Ende Oktober 1962 auf Weltuntergang. Dutzende amerikanische Bomber befanden sich dauerhaft in der Luft, jederzeit in der Lage, Ziele in der Sowjetunion anzugreifen. In den Vereinigten Staaten selbst waren zahlreiche Interkontinentalraketen bereit, den nuklearen Tod hinter den Eisernen Vorhang zu tragen. Und auch unter Wasser lauerte der atomare Schrecken: Amerikanische U-Boote hatten geheime Positionen bezogen, um ihre Raketen vom Typ «Polaris» gen Osten zu senden.

Group of Women from Women Strike for Peace Holding Signs relating to Cuban Missile Crisis and Peace, New York City, New York, USA, 1962 Editorial Use Only PUBLICATIONxINxGERxAUTxSUIxONLY Copyright: Ci ...
Frauen in New York mahnen Präsident Kennedy zur Vorsicht im Umgang mit der Kuba-Krise.Bild: www.imago-images.de

Niemals zuvor stand die Welt so kurz vor einem nuklearen Schlagabtausch. DEFCON 2 hatte Präsident John F. Kennedy am 24. Oktober 1962 für das Strategische Bomberkommando angeordnet. DEFCON steht für den jeweiligen Verteidigungszustand, in dem sich die US-Streitkräfte oder Teile davon befinden. DEFCON 5 steht für «Frieden», bei DEFCON 1 herrscht Krieg.

«Gleichsam vor der Haustür»

Als Kubakrise sind die Tage zwischen dem 14. und 28. Oktober 1962 in die Geschichtsbücher eingegangen. Warum aber wurde ausgerechnet der Inselstaat zum Schauplatz einer der grössten Krisen des Kalten Krieges? Eines Konfliktes, in dem «wohl Millionen von Menschen bei einem nuklearen Schlagabtausch zwischen den beiden Supermächten USA und Sowjetunion» hätten sterben können, wie der Historiker Reiner Pommerin in seinem detailreichen wie anschaulichen Buch «Die Kubakrise 1962» zusammenfasst.

Die einfache Antwort lautet: Weil der am 14. Oktober 1962 gestartete Air Force-Pilot Major Richard Heyser Bilder von einem Überflug Kubas mitbrachte, die Washington in Schrecken versetzten.

Bildnummer: 60007984 Datum: 19.03.2003 Copyright: imago/United Archives International
Aerial view of Russian surface to air missile assembly facility in Cuba. 1962 kbdig 2003 quadrat bases weapons PU ...
Raketen und deren Transporter auf Luftaufnahmen aus Kuba.bild:imago-images

Mit den Bildern war zweifelsohne bewiesen, dass die Sowjetunion allen vorhergehenden Beteuerungen zum Trotz ihren sozialistischen Verbündeten auf Kuba, Fidel Castro, nicht nur sogenannte Defensivwaffen gesandt hatte.

Was da auf der Insel gebaut wurde, hatte ganz im Gegenteil einen ausgesprochen offensiven Charakter: Stellungen für sowjetische Mittelstreckenraketen vom Typ «R-12», bei der Nato als «SS-4 Sandal» gefürchtet. Mit ihrer Reichweite von rund 2'000 Kilometer hätten die «R-12» mit ihren Atomsprengköpfen weite Teile der Vereinigten Staaten verheeren können.

«Plötzlich stand die nukleare Bedrohung gleichsam vor der Haustür», fasst Autor Pommerin die Stimmung in Washington, D.C. zusammen. Bald wurden im Executive Committee, dem sogenannten ExComm, das Kennedy aus hochrangigen Politikern und Beratern zusammengestellt hatte, erörtert, wie die USA auf die Bedrohung reagieren sollten. Ein Luftschlag? Überraschend und vernichtend?

Eine solche Aktion hätte sich aber auch zu einem Desaster entwickeln können, zumal die USA der Aggressor gewesen wären. Als solchen sah etwa auch Fidel Castro den Nachbarstaat im Norden. 1961 hatten die USA die sogenannte Landung in der Schweinebucht unterstützt, ein in der Katastrophe endender Versuch, Castros Regime mittels Exilkubanern zu stürzen. Dem schloss sich die «Operation Mongoose» (zu Deutsch: «Manguste») an, die ebenfalls ein «vorzeitiges» Ende Castros zum Ziel hatte – auch mit herzlich wenig Erfolg.

«Der rote Hund schnüffelt»

Nicht zuletzt wegen dieser Bedrohungen lehnte sich Castro gerne eng an die kommunistische Vormacht Sowjetunion an. Die sah in Kuba eine Art vorgeschobene Raketenstellung. Eine mit erheblichen Vorteilen für die Sowjets, die als Supermacht nicht ganz so «super» waren wie die USA. Deren Nuklearpotential war erheblich grösser als das von Moskau, was sich auch mit in der Türkei positionierten amerikanischen Mittelstreckenraketen zeigte.

SOVIET PRIME MINISTER NIKITA KHRUSHCHEV WITH CUBAN PREMIER FIDEL CASTRO IN MOSCOW SIGN A AGREEMENT COMMUNIQUE / ; 26 MAY 1963, Copyright: Topfoto PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONLY UnitedArchivesIPU45738 ...
Fidel Castro und Nikita Chruschtschow in Moskau.Bild: imago stock&people

Wenn die USA Raketen in der Türkei stationiert haben, warum sollen wir keine nach Kuba senden? Diese Frage wird sich Nikita Chruschtschow als starker Mann der Sowjetunion gestellt haben. Und wenn schon Raketen in die Karibik senden, warum dann nur «R-12» mit 2'000 Kilometer Reichweite? Dann doch auch solche vom Typ «R-14» mit einer mehr als doppelt so grossen Reichweite.

Präsident Kennedy, der am 22. Oktober die amerikanische Nation und die Weltöffentlichkeit über die Bedrohung aus Kuba in einer Fernsehansprache informierte, befand sich in der Zwickmühle: Angriff oder gab es doch eine andere Möglichkeit? Die Hardliner präferierten Lösung Nummer 1, General Curtis LeMay polterte bereits: «Der rote Hund schnüffelt im Hinterhof.» Zum Glück gab es eine Alternative: eine Quarantäne.

Nov. 20, 2013 - Washington, District Of Columbia, U.S - Washington, DC -- U.S. President John F. Kennedy signs Cuba Quarantine Proclamation at his desk in the Oval Office on October 23, 1962. PUBLICAT ...
Präsident Kennedy unterzeichnet am 23. Oktober 1962 die «Cuba Quarantine Proclamation».Bild: imago stock&people

Um Kuba herum richteten die US-Streikräfte eine solche Zone ein, in der sie sich das Recht vorbehielten, Schiffe mit Kurs Kuba zu durchsuchen. Es waren allerdings nicht nur zivile Schiffe, die in diese Richtung fuhren, sondern auch mehrere sowjetische U-Boote.

Beinahe wäre damals der Kalte Krieg sehr, sehr heiss geworden: An Bord von «B-59» liess der Kommandant bereits einen Atomtorpedo abschussbereit machen, als US-Kriegsschiffe das U-Boot zum Auftauchen zwangen. Noch heute kann die Menschheit den sowjetischen Seeleuten dankbar sein, dass sie ruhig blieben.

Der Lüge überführt

Alles andere als «ruhig» blieb in Moskau Nikita Chruschtschow nach Kennedys Fernsehansprache, die in weiten Teilen der Welt für Entrüstung über die Sowjetunion geführt hatte. «Sie haben es vermasselt», raunzte der Kremlchef seinen Verteidigungsminister an.

Als ob die Blamage nicht genug gewesen wäre, überführte bald auch der amerikanische Botschafter im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen seinen sowjetischen Konterpart Walerian Sorin öffentlich der Lüge: Sorin hatte dort behauptet, dass die Waffen auf Kuba keineswegs offensiver Natur wären. Mithilfe von Luftbildern bewiesen die USA das Gegenteil.

Cuban missiles crisis, October1962, San Cristobal base Cuban missiles crisis. San Cristobal base. In the foreground, a row of vehicules and fuel tanks. Since October 14, a missiles shelter and another ...
Die San Cristobal Luftwaffen-Basis, Im Vordergrund: Treibstofftanks. Bild: www.imago-images.de

Solche Aufnahmen wollte auch Major Rudolf Anderson Jr. machen, als er am 27. Oktober 1962 mit seinem «U-2»-Aufklärungsflieger Richtung Kuba losflog. Anderson sollte allerdings die Heimat nicht wiedersehen. Eine russische Rakete holte ihn vom Himmel. Zum Glück sollte Anderson als einziger Soldat während der Kubakrise fallen, wie Reiner Pommerin betont.

Chruschtschow übermannte nach Andersons Tod die Angst. War das für die Amerikaner der Grund zum Krieg? Zum Glück nicht. Chruschtschow erklärte sich schliesslich zum Abzug der sowjetischen Raketen auf Kuba bereit, Kennedy zur Rückführung der US-Raketen aus der Türkei. Am 28. Oktober 1962 stand fest: Die Welt war noch einmal davon gekommen.

Zwar ist die Gefahr eines Nuklearwaffeneinsatzes während des derzeitigen Ukrainekriegs aller Wahrscheinlichkeit nach geringer als während der Kubakrise. Der unablässig in der Gegenwart mit seinen Atomwaffen drohende Wladimir Putin wäre trotzdem gut beraten, sich an diese Tage im Oktober 1962 zu erinnern. Denn ein Atomkrieg kennt keine Sieger. Oder wie Nikita Chruschtschow, Putins Vorgänger im Kreml, einmal die Folgen zusammenfasste: «Die Überlebenden werden die Toten beneiden.»

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Russische Armee scheint hinter der Front eine massive Verteidigung zu errichten
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
Hast du technische Probleme?
Wir sind nur eine E-Mail entfernt. Schreib uns dein Problem einfach auf support@watson.ch und wir melden uns schnellstmöglich bei dir.
70 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Chalbsbratwurst
14.10.2022 08:49registriert Juli 2020
Zitat Nikita Chruschtschow (Putins Vorgänger): «Die Überlebenden werden die Toten beneiden.»

Alle die ständig behaupten der Elite dieser Welt wäre ein Atomkrieg egal weil sie ja alle Luxusbunker haben in denen sie problemlos einen Atomkrieg überleben würden sollten diesen Satz mal verinnerlichen und sich nochmals Gedanken über ihre Aussagen machen.
426
Melden
Zum Kommentar
avatar
Irgendwie so
14.10.2022 08:42registriert August 2022
Nicht wirklich vertrauenserweckend, die Situation.
Die Frage ist wohl, wie stark man Putin in die Knie zwingen und 'demütigen' (was immer er darunter verstehen mag) kann, bis er eine A-Bombe zündet.
Ernst nimmt man ihn ja nur noch, weil er die A-Bombe hat.
Das wird auch wie bei der Kuba-Krise viel politisches Fingerspitzengefühl brauchen.
Kurz: Putin braucht einen Ausweg aus dem Schlammassel, so dass er sein Gesicht wahren kann. Aber wie???
Es wäre wohl am gäbigsten, wenn er und seine Crew so ganz unerwartet über Nacht von friedliebenderen NachfolgerInnen abgelöst würden.
348
Melden
Zum Kommentar
avatar
röstikartoffel
14.10.2022 08:56registriert Juli 2020
wenn ich grosse Bibelworte im Titel verwenden will, sollte ich sie vielleicht auch richtig schreiben
288
Melden
Zum Kommentar
70
    Italienische Tourismusministerin muss vor Gericht

    Die italienische Tourismusministerin Daniela Santanchè muss wegen mutmasslicher Bilanzfälschung vor Gericht. Eine Richterin in Mailand ordnete die Eröffnung des Prozesses gegen die Politikerin der Rechtspartei Fratelli d'Italia (Brüder Italiens) von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni an.

    Zur Story