International
Ukraine

US-Geheimdienste rechnen mit Scheitern der ukrainischen Offensive

US-Geheimdienste rechnen laut Bericht mit Scheitern der ukrainischen Offensive

Die Sommeroffensive der Ukraine mutiert zu einer blutigen Abnutzungsschlacht. Schafft die Ukraine die Kriegswende? In Washington wachsen die Zweifel.
18.08.2023, 13:2918.08.2023, 13:29
Mehr «International»
Ein Artikel von
t-online

Die ukrainische Gegenoffensive geht in die elfte Woche. Während Offizielle in Kiew kleinere Fortschritte an der Front hervorheben, bleiben grössere Erfolge weiterhin aus. Nun zeichnen auch die Geheimdienste des wichtigsten Ukraine-Unterstützers ein düsteres Bild von der Offensive, die lange mit grossen Hoffnungen verbunden war.

FILE - A Ukrainian serviceman of 28th brigade shoots a Maxim gun towards Russian positions at the frontline in Donetsk region, Ukraine, Wednesday, June 21, 2023. Ukrainian forces are making steady pro ...
Ein ukrainischer Soldat mit einem Maschinengewehr: Schafft Kiew die Kriegswende?Bild: keystone

Einem Bericht der «Washington Post» zufolge rechnen die Nachrichtendienste der USA nicht damit, dass die Ukraine die Stadt Melitopol im Süden des Landes und damit das Schlüsselziel der Offensive erreichen wird. Stattdessen würden ukrainische Streitkräfte einige Kilometer ausserhalb der Stadtgrenzen von Melitopol zum Stillstand kommen, so die Zeitung unter Berufung auf US-Beamte.

>> Alle aktuellen Entwicklungen im Liveticker

Die Eroberung des strategisch wichtigen Melitopol nahe des Asowschen Meeres gilt als entscheidend, um die russische Landbrücke zur Krim zu durchtrennen und die Versorgungslinien der Kreml-Truppen empfindlich zu stören. Durch die Stadt verlaufen zwei wichtige Autobahnen und eine Eisenbahnlinie, über die der Kreml Militärgerät aus Russland in die besetzten Gebiete transportieren kann. Sollte Russland die Kontrolle über die Stadt verlieren, wäre auch die militärische Versorgung der Krim gefährdet.

Doch von diesem entscheidenen Schritt ist die Ukraine noch weit entfernt. Derzeit greift sie an drei Frontachsen die russischen Invasionstruppen an: Bei Bachmut sowie Velyka Nowosilka in der Ostukraine und bei Robotyne in der Südukraine. An dem kleinen Ort im Gebiet Saporischschja verläuft die Hauptachse der Offensive, vor allem hier wird deutlich, wie langsam die ukrainischen Truppen vorankommen:

Seit Anfang Juni haben mehrere ukrainische Einheiten versucht, die kleine Siedlung zu erobern. Elf Wochen später kontrollieren sie immerhin den Norden des Dorfes mit ehemals 500 Einwohnern. Robotyne ist rund 80 Kilometer von Melitopol entfernt.

Russische Verteidigung wurde unterschätzt

Die düstere Prognose der US-Geheimdienste gründe sich vor allem auf Russlands effektive Verteidigung der besetzten Gebiete, schreibt die «Washington Post» weiter: Kiew und westliche Regierungen hätten die russischen Verteidigungslinien – ein dichtes Netz an Minenfeldern, Schützengräben und Luftunterstützung – vor der Offensive unterschätzt.

In Kriegsszenarien, die im Vorfeld von britischen, amerikanischen und ukrainischen Militärs entworfen wurden, seien zwar grosse Verluste auch auf ukrainischer Seite einkalkuliert gewesen, diese aber hingenommen worden – als notwendiger «Preis», um die russischen Linien zu durchbrechen.

Doch der Durchbruch ist bisher nicht erfolgt. Die Verluste auf beiden Seiten hingegen sind immens.

epa10758501 A Ukrainian serviceman of the 24 separate mechanized brigade named after King Danylo, holds mortar shells at a military positions in the Donetsk region, 20 July 2023. The war in Ukraine, w ...
Ukrainischer Soldat nahe der Front: Schafft Kiew die Kriegswende?Bild: keystone

Neben den Verlusten könnte vor allem der bisher ausbleibende Erfolg der Offensive Fragen in westlichen Hauptstädten aufwerfen, so die «Washington Post» – etwa wie wirksam die milliardenschweren Waffenlieferungen aus dem Westen für die Offensive letztlich gewesen sind.

Kiew musste Taktik ändern

Dass der ukrainische Vorstoss so langsam erfolgt, hat auch taktische Gründe: Zu Beginn der Offensive im Juni versuchte die Ukraine, den Durchbruch mit schweren mechanisierten Einheiten zu erzwingen. Die 47. Mechanisierte Brigade der ukrainischen Armee schickte ihre im Westen ausgebildeten Soldaten mit deutschen Leopard-2-Panzern und amerikanischen Bradley-Schützenpanzern auf die russischen Linien.

Teils schwere Verluste waren die Folge, die Kiew zu einem Taktikwechsel zwangen: Seitdem setzt die Ukraine verstärkt auf Vorstösse kleinerer Einheiten unter dem Feuerschutz von Artillerie. Das verlangsamt das Tempo, verringert aber auch die Verluste.

Zuletzt verlegte die ukrainische Operationsführung weitere Reserven an die Front bei Robotyne, die etwa mit dem britischen Kampfpanzer Challenger 2 oder dem Schützenpanzer Stryker ausgerüstet sind. Doch auch damit gelang bisher kein signifikanter Durchbruch.

«Schuldzuweisungen» in Washington

Der ernüchterte Blick der US-Geheimdienste auf die Gegenangriffe der Ukraine habe bereits im US-Kongress zu Streit geführt, schreibt die «Washington Post». In geschlossenen Sitzungen habe es Schuldzuweisungen gegeben. So hätten einige Republikaner gezögert, Präsident Joe Bidens neuem Ukraine-Hilfspaket zuzustimmen, das zusätzliche Rüstungsgüter im Wert von 20,6 Milliarden US-Dollar für Kiew vorsieht.

Andere wiederum kritisierten die Biden-Regierung dafür, nicht früher die nötigen schweren Waffen an die Ukraine geliefert zu haben, so die «Washington Post». Ein Argument, das US-Beamte jedoch zurückweisen, so die US-Zeitung: Demnach hätten auch F-16-Kampfjets oder Raketen mit grösserer Reichweite das Ergebnis der Offensive nicht entscheidend verändert.

President Joe Biden salutes before boarding Air Force One and departing Andrews Air Force Base, Md., Thursday, Aug. 17, 2023, en route to Pennsylvania and then on to Camp David. (AP Photo/Luis M. Alva ...
US-Präsident Joe Biden gerät wegen seiner Ukraine-Unterstützung zu Hause zunehmend unter Druck.Bild: keystone

«Das Hauptproblem bleibt das Durchbrechen der Hauptverteidigungslinie Russlands, und es gibt keine Anzeichen dafür, dass diese Systeme die ultimative Lösung gewesen wären», so ein ranghoher Regierungsvertreter zu der US-Zeitung.

Plant Kiew eine Überraschung?

Die US-Regierung setzt offenbar trotz der Probleme weiter auf eine Wende im Ukraine-Krieg: Wie die «Washington Post» berichtet, hofften US-Beamte auf eine Überraschung durch die ukrainische Armee. Ein Vertreter des Verteidigungsministeriums erklärte, es sei möglich, dass die Ukraine «historischen Normen» trotze und die Gegenoffensive sogar noch im Winter fortführe.

Dabei spielten allerdings mehrere Faktoren eine Rolle, etwa ausreichend Winterkleidung für die Soldaten sowie spezielle Ausrüstung für den Kampf bei niedrigen Temperaturen. Zudem verspreche auch das keine Erfolgsgarantie, da die Russen im Winterkampf ebenfalls geübt seien. «Die Russen sind dafür bekannt, auch bei kaltem Wetter kämpfen zu können», so ein Beamter des Verteidigungsministeriums zur «Washington Post». (t-online)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
«Chef, das ist ein Überfall» – absurder Tankstellenraub in Österreich geht schief
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
118 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
frank frei
18.08.2023 14:25registriert September 2018
Die Offensive leidet vor allem daran, dass sie zu spät erfolgt ist.

Der Westen hat hoffentlich daraus gelernt und liefert künftig schneller und mehr Waffen und Munition. Die Ukraine hat es mit einer über 1000km langen Frontlinie zu tun, die es zu halten oder zu durchbrechen gilt. Die ukrainische Armee macht das Beste aus der Situation. Kritik aus dem Westen gegenüber den Ukrainern ist unangebracht, aber Selbstkritik umso notwendiger.
15725
Melden
Zum Kommentar
avatar
Rivka
18.08.2023 13:43registriert April 2021
Nein, die muskowitische Verteidigung wird nicht unterschätzt, putinsche Fanboys in europäischen Regierungen haben zu viel Zeit vergeudet der Ukraine die nötige militärische Ausrüstung zu liefern. Und diese Zeit haben die muskowitischen Kanalratten dafür genutzt das besetzte Gebiet millionenfach zu verminen! Es wird Jahrzehnte und mehrere Opfer kosten diese zu säubern. Kurz nach dem Anfang dieses verdammten Krieges sagte ich gebt den Ukrainern was sie wollen den Rest machen sie selbst. Ich bin immer noch dieser Meinung. Die Ukrainer brauchen keine ausländischen Soldaten. Sie brauchen Munition!
12929
Melden
Zum Kommentar
avatar
John Galt
18.08.2023 14:01registriert November 2014
Wenn uns dieser Krieg etwas lehrt, dann dass Voraussagen sehr schwierig sind.
Erst glaubte niemand, dass Russland tatsächlich angreift, dann wurde über die Anzahl Tage geredet,die die Ukraine standhalten kann. Die Russen mussten sich aber bald aus zuvor eroberten Gebieten wieder zurückziehen. Dann kamen überraschende Gegenoffensiven; Putin wurde beinahe von Prigoshin gestürzt, und Lukaschenka musste ihm helfen!?
Ich habe aufgehört auf vorhersagen zu hören.
1029
Melden
Zum Kommentar
118
Halong-Bucht: Nach Bootsunglück in Vietnam steigt Opferzahl auf 38
Nach dem Kentern eines Ausflugsboots in einer Bucht im Nordosten Vietnams ist die Zahl der Opfer auf 38 gestiegen.
Drei weitere Leichen wurden gefunden, als das gekenterte Touristenboot aus der Halong-Bucht am frühen Sonntagmorgen geborgen und an Land gezogen wurde, wie die Behörden mitteilten. Unter den bestätigten Todesopfern sind demzufolge acht Kinder. Alle Touristen sind Vietnamesen.
Zur Story