2023 ist ein schlechtes Jahr für den russischen Tourismus auf der Krim: Ab der zweiten Julihälfte hat die Zahl der Hotelbuchungen um 45 Prozent abgenommen, schreibt die Moskauer Wirtschaftstageszeitung «Kommersant». Die Hotels reagieren mit Preissenkungen um bis zu 25 Prozent. Die Ferienbetten im August sind nur zu 60 Prozent ausgelastet.
Laut der kaufmännischen Leiterin der Hotelkette Ribera, Elena Pecheritsa, liegt der Einbruch vor allem «an Transportbeschränkungen sowie psychischen Ängsten von Familien mit Kindern». Dies berichtet der «Kommersant», ohne auch nur einmal das Wort «Krieg» oder «Spezialoperation» zu erwähnen. Ein weiterer Beweis dafür, wie im Moskauer Alltag der Feldzug gegen die Ukraine ausgeblendet wird.
Die «psychischen Ängste» indes sind durchaus berechtigt. Bestimmt liegen viele Russen richtig, diesmal auf die Ferien in ihrer Sehnsuchtsdestination zu verzichten. Für Militäranalysten steht ausser Frage, dass die Ukraine in den letzten Wochen ernsthaft damit begonnen hat, die russisch besetzte Krim vom Festland abzuschneiden.
An diesem Wochenende stellten russische Badegäste reihenweise Bilder von weissen und schwarzen Rauschschwaden auf der Kertsch-Brücke ins Netz. Das genaue Ausmass der Schäden der inzwischen vierten ukrainischen Angriffswelle auf die wichtige Verbindung zum Festland blieb unklar. Russische Stellen gaben an, zwei Raketen über der gut gesicherten Brücke abgeschossen zu haben. Ebenso jene 20 Drohnen, die weitere Ziele auf der Krim anflogen.
Sechs Tage davor hatte die Ukraine bereits die nördlichen Verbindungsbrücken Henichesk und Chonhar ins Visier genommen. An beiden richteten die angeblich eingesetzten britischen «Stormshadows» sichtbare Schäden an.
Die Lieferung der britischen Marschflugkörper und der Einsatz neuartiger Mittelstrecken-Drohnen bilden die technischen Voraussetzungen für die verstärkten ukrainischen Angriffe auf die Verbindungsbrücken zur Krim. Die im «Kommersant» erwähnten «Transportbeschränkungen» - lange Staus vor den Brücken und Benzinmangel an den Krim-Tankstellen - sind unmittelbare Folgen davon.
Im vergangenen Oktober, als diese Angriffswaffen noch nicht zur Verfügung standen, musste der ukrainische Geheimdienst zu einer waghalsigen Partisanenaktion greifen, um auf der Kertsch-Brücke eine Lastwagenbombe detonieren zu lassen - was weltweit für Aufsehen sorgte und eine Fahrbahn wochenlang blockierte.
Solche James-Bond-Aktionen sind inzwischen nicht mehr gefragt. Sollte Deutschland seine stärkeren und weiter fliegenden Taurus-Marschflugkörper liefern, würde sogar die vollständige Zerstörung der Kertsch-Brücke in den Bereich des Möglichen rücken, was selbst die Berufs-Propagandisten im Staatssender Rossija 1 einräumen müssen.
Der ehemalige US-General und Nato-Befehlshaber Ben Hodges betont aus aktuellem Anlass, dass die Krim vom Nachschub isoliert und für die russischen Besatzungstruppen unhaltbar gemacht werden muss, um den Krieg zu gewinnen: «Der Schlüssel ist die Krim. Der Kreml wird sich keinen Deut um den Donbass kümmern, sobald die Krim erledigt ist», lautet sein Mantra.
Jüngst führte Hodges in der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» aus, die Ukraine könne aus strategischen Gründen gar nicht anders, als die Rückeroberung der Krim zum Kriegsziel zu erheben. Solange die Krim mit den wichtigen Flottenbasen Sewastopol und Feodossija in russischer Hand bleibt, werde der Kreml sämtliche ukrainischen Häfen blockieren. Dies demonstriert das Putin-Regime gerade mit der Blockade der Getreideexporte und den Angriffen auf Odessa.
Doch ohne ihre Häfen könne sich die Ukraine niemals wirtschaftlich vom Krieg erholen. Wer darum die Ukraine dazu auffordere, im Gegenzug für Frieden auf die Krim zu verzichten, habe «keine Ahnung von Wirtschaft und Geografie», folgert Hodges.
Wie um diese strategische Absicht zu bestärken, kündigte Präsident Wolodimir Selenski zwei Tage später, am 8. August, in seiner täglichen Videoansprache an, die Wiedereingliederung der Krim werde mit jedem Tag konkreter und sei genauestens geplant. Die Bevölkerung der Krim werde «in jedem Detail» darüber informiert werden, wie die Rückkehr der «echten Freiheit» erfolgen und was sie für das Alltagsleben jedes einzelnen bedeuten werde.
Selenskis Ankündigung muss als Aufruf an die nach Vertreibungen vorwiegend russischsprachige Krim-Einwohnerschaft verstanden werden, der Rückeroberung durch die Ukraine gefasst entgegenzusehen, sollte es tatsächlich je so weit kommen. Schon 2020 schrieb die «Washington Post», dass gemäss eigenen Umfragen über 80 Prozent der Krimbevölkerung die russische Besatzung begrüssen. Es gibt keine Hinweise darauf, dass sich dieser Wert seit dem russischen Überfall auf die Ukraine verschlechtert hat.
Ebenso bleibt die Krim für jene Touristen aus Russland ein bevorzugtes Reiseziel, die sich nicht von der Kriegsgefahr abschrecken lassen. Die Halbinsel habe «ein eigenes treues Publikum», bestätigt Oksana Bulakh vom Reiseveranstalter Alean. Ausserdem kosteten in diesem Sommer Badeferien auf der Krim nur noch halb so viel wie in der russischen Schwarzmeer-Region Kuban.
So siehts wohl überall in den besetzten gebieten aus. Mein Nachbar ist von der Krim und musste bereits 2014 das erste mal flüchten. Wer nicht irgendwie schweigend damit klar kommt wird sich in keinen der gebiete aufhalten und deswegen sind auch alle solchen umfragen unnütz.
Warum die aber auch nach x Angriffen immer noch nicht alle davongerannt sind weiss ich nicht, spätestens wenn man die persönlich miterlebt sollte man doch begreifen, dass die Region gefährlich ist.