Bei einer Podiumsdiskussion im norwegischen Arendal äusserte der Stabschef von NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg eine Idee, die längst nicht allen gefällt. Aus Reihen der Ukraine wird sogar von einer «Niederlage der Demokratie» gesprochen.
Stein des Anstosses war Stian Jenssens Aussage: «Ich glaube, eine Lösung könnte darin bestehen, dass die Ukraine Territorium abgibt und im Gegenzug eine NATO-Mitgliedschaft erhält.» Mit der Abgabe von Territorium sind in diesem Fall Zugeständnisse an Russland, den Aggressor im Ukraine-Krieg, gemeint.
Gegenüber der norwegischen Tageszeitung «Verdens Gang» betonte der langjährige Stabschef des NATO-Generalsekretärs Jens Stoltenberg: «Ich sage nicht, dass es so sein muss. Aber es könnte eine mögliche Lösung sein».
Bereits im Sommer – nach dem NATO-Gipfeltreffen in Vilnius – hatte er betont, es sei wichtig, über die Sicherheitslage in der Ukraine nach Ende des Krieges zu diskutieren. Er hatte hinzugefügt, dass Russland momentan militärisch ohnehin nicht in der Lage sei, neue Gebiete zu erobern. Es gehe nun darum, wie viel die Ukraine zurück erkämpfen könne und dann eine Lösung zu finden, damit «sich der Krieg nicht wiederholt».
Trading territory for a NATO umbrella? It is ridiculous. That means deliberately choosing the defeat of democracy, encouraging a global criminal, preserving the Russian regime, destroying international law, and passing the war on to other generations. After all, why should Russia…
— Михайло Подоляк (@Podolyak_M) August 15, 2023
Einige Vertreter der Ukraine reagieren auf die Aussagen Jenssens mit sehr klaren Worten: Selenskyjs Berater Mychajlo Podoljak betont auf der Kurznachrichtenplattform «X» (vormals Twitter), diese Idee sei «lächerlich» und eine «Niederlage der Demokratie». Eine Gebietsabtretung an Russland wäre ein «Triumph Putins» und würde «das Völkerrecht zerstören».
Auch der Sprecher des ukrainischen Aussenministeriums, Oleg Nikolenko, hält diese Idee für «absolut inakzeptabel», wie er auf Facebook schreibt. Man spiele Russland damit direkt in die Hände. Vielmehr sollte man Möglichkeiten für einen ukrainischen Sieg und einer raschen Aufnahme ins NATO-Bündnis debattieren. Dies sei auch im Interesse der euro-atlantischen Sicherheit.
Die russische Seite ist von Jenssens Vorstoss ebenfalls überrascht. Der stellvertretende Vorsitzende des Sicherheitsrates Russlands, Dmitri Medwedew, reagierte ablehnend. Die Idee sei «merkwürdig». «Um dem Block beitreten zu können, müssten die Kiewer Behörden sogar Kiew selbst aufgeben, die Hauptstadt der alten Rus. Nun, sie werden die Hauptstadt nach Lviv verlegen müssen», zitiert das russische Nachrichtenportal «Radio Sputnik» eine Mitteilung aus Medwedews Telegram-Kanal. Im Klartext: Die Zugeständnisse, die Jenssen vorschlägt, gehen ihm nicht weit genug.
Stoltenberg selbst hat sich bislang noch nicht dazu geäussert. In der Vergangenheit hat er allerdings immer wieder betont, dass die Ukraine Zeitpunkt und Bedingungen für Verhandlungen mit Russland zur Beendigung der Besetzung selbst zu bestimmen habe. Auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat noch keine Stellung zu Jenssens Aussagen bezogen.
Update 16. August: Gemäss Bericht der norwegischen Tageszeitung VG hat der NATO-Stabschef seine Äusserungen als «Fehler» bezeichnet. Er betonte, dass die Ukrainer selbst beurteilen müssten, zu welchen Bedingungen sie bereit seien, in Verhandlungen mit Russland einzutreten.
Dann kann man Georgien und die anderen ehemaligen Sowjet Länder gleich hinterherschmeißen. Denn sollte Putin Erfolg haben, werden diese Länder irgendwann auch angegriffen.
Also warum nicht gleich die leichteste Lösung nehmen und allen Opfern, der russischen Aggressionen zum Frass vorwerfen?