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Ukraine-Krieg: Deshalb verschiebt Russlands Armee die Front

Die russische Armee verschiebt die Front – das sind die Gründe

Gleich an mehreren Stellen der Kriegsfront konnten die russischen Truppen zuletzt Erfolge verbuchen. Was das für die Ukraine bedeutete – ein Überblick.
12.03.2024, 02:0012.03.2024, 02:00
Frederike Holewik / t-online
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Nach der Einnahme der ukrainischen Stadt Awdijiwka rückt die russische Armee weiter auf ukrainisches Territorium vor. Auch im Westen, in der Oblast Donezk, gewinnen die Streikräfte an Boden. Noch kann die Ukraine trotz Munitionsmangels die Stellung halten. Doch wie lange noch?

FILE - In this photo released by Russian Defense Ministry Press Service on Feb. 19, 2024, Two soldiers of the Russian military engineering units walk after eliminating the mine danger in the city of A ...
Zwei russische Soldaten bei Awdijiwka.Bild: keystone

In einer aktuellen Bewertung der Lage an der Front des Ukraine-Krieges beschreibt die US-amerikanische Denkfabrik Institute for the Study of War (ISW), dass die russische Armee im Westen der Oblast Donezk vorgerückt sei. Die Denkfabrik bezieht sich dabei auf geolokalisierte Aufnahmen, die zeigen sollen, wie russische Truppen südwestlich von Wuhledar vorgedrungen sind. Zudem sei es in der Region in der Nähe von Nowodariwka und im Grenzgebiet zwischen den Oblasten Donezk und Saporischschja zu Kampfhandlungen gekommen.

Auch westlich von Bachmut soll den russischen Streitkräften laut ISW ein Vorstoss gelungen sein. Demnach seien russischen Truppen in den Osten der Siedlung Iwaniwske gelangt. Russische Militärblogger behaupten, dass die russischen Truppen bereits 80 Prozent der Siedlung kontrollieren. Unabhängig überprüfen lassen sich diese Angaben bislang nicht.

Langsames Vorrücken nach Einnahme von Awdijiwka

Nach der Einnahme der ukrainischen Stadt Awdijiwka verschiebt die russische Armee auch rund um die Stadt die Front. «Die grössten Geländegewinne in diesem Jahr», schrieb das US-Magazin «Forbes» kurz nach der Einnahme.

Nach und nach dringen die Truppen nun auch nordwestlich vor. Laut ISW deuten Aufnahmen darauf hin, dass Russland in die Nähe der Dörfer Berdychi und Orliwka vorgerückt ist. Doch in Berdychi stiessen die russischen Truppen wohl auf die 47. Mechanisierte Brigade der Ukraine und andere Einheiten, die zurückschlugen.

Dabei kamen auch die amerikanischen M-1-Abrams-Panzer und M-2-Bradley Schützenpanzer zum Einsatz. Laut «Forbes» hat die Ukraine die russischen Angreifer zurückgeschlagen und den Ort Berdychi erfolgreich verteidigt. Das ukrainische Verteidigungsministerium verbreitete auf den Plattformen X und Facebook Videos, die die Zerstörung russischer Panzer durch die 47. Mechanisierte Brigade zeigen sollen. An der Echtheit der Bilder herrschen in sozialen Medien Zweifel, unabhängig überprüfen lassen sich die Aufnahmen bis dato nicht.

Militärexperte Nico Lange fasst die Entwicklung in der Region auf der Plattform X zusammen: «In 18 Tagen verschob Russland dort die Front etwa 8 km», schreibt er. Lange ist Senior Fellow der Zeitenwende-Initiative bei der Münchener Sicherheitskonferenz. «Die russische Vorgehensweise besteht aus langen Bombardements mit Gleitbomben, Artillerie und Raketenartillerie, gefolgt von vorrückender Infanterie. Ortschaft für Ortschaft wird auf diese Weise vollständig zerstört», beschreibt er das Vorgehen der russischen Armee.

Russland nutzt vermehrt gesteuerte Flugzeugbomben

Diese Einschätzung teilen auch das ISW und US-amerikanische Medien. Ein entscheidender Faktor für die russischen Erfolge ist nach einem US-Medienbericht demnach der verstärkte Einsatz gesteuerter Flugzeugbomben durch Russlands Armee. Wie der Nachrichtensender CNN am Sonntag berichtete, habe die Ukraine kaum Abwehrmöglichkeiten gegen die Gleitbombe vom Typ FAB-1500.

Die knapp 1,5 Tonnen schwere Bombe könne von Flugzeugen aus einer Entfernung von 60 bis 70 Kilometern, ausserhalb der Reichweite der ukrainischen Flugabwehr, auf ihre Ziele abgeworfen werden. Durch kleine Flügel könne die Bombe relativ genau ihr Ziel treffen. Beim Einschlag entstehe ein 15 Meter breiter Krater.

Im Gespräch mit CNN bestätigte der ukrainische Luftwaffensprecher Juri Ihnat, dass der verstärkte Einsatz dieser Gleitbomben zuletzt in den Kämpfen um die ostukrainische Stadt Awdijiwka aufgefallen sei. «Innerhalb von 24 Stunden wurden 250 von ihnen eingesetzt», sagte er. Russland rüste seine alten Bomben auf den neuen, gesteuerten Typ in einer Fabrik bei Moskau um.

Der Sprecher einer ukrainischen Truppengruppe, Dmytro Lykhovyi, berichtete am Sonntag, dass die russischen Streitkräfte in der Oblast Donezk drei gelenkte Gleitbomben des Typs UMPB D-30SN eingesetzt hätten, die von den ukrainischen Streitkräften ursprünglich als S-300-Raketen eingestuft worden waren. Lykhovyi erklärte, dass die verbesserten UMPB D-30SN-Gleitbomben im Wesentlichen ungelenkte FAB-Schwerkraftbomben aus der Sowjetära in gelenkte Gleitbomben umwandeln.

Das ISW geht davon aus, dass die russischen Streitkräfte wahrscheinlich versuchen werden, die Gleitbomben in Serie zu produzieren und deren Einsatz an der gesamten Front zu erhöhen.

Ukraine benötigt Munition

Eine schwierige Situation für die Ukraine, zumal sowohl die Materialbeschaffung als auch der Materialtransport derzeit schwerfallen. So warnte das ISW bereits im Februar vor den Auswirkungen des Tauwetters auf den Kriegsverlauf. Denn die in Russland als «Rasputiza» bekannte Schlammzeit, also das Übergangswetter zwischen Winter und Frühling oder zwischen Herbst und Winter, führt dazu, dass weite Landschaften und unbefestigte Strassen durch Schneeschmelze aufgeweicht und unbefahrbar werden.

Das kann die Bewegung von Maschinen im gesamten Gebiet erschweren und die Offensivoperation an der Frontlinie verlangsamen. Vor allem erschwert es die Nachlieferung von Material in die Frontgebiete und somit auch von potenziellen Militärhilfen für die Ukraine aus dem Westen.

Doch auch eine erschwerte Munitionslieferung kann nur dann stattfinden, wenn es überhaupt noch Reserven zu liefern gibt. «Die grössten Probleme der Ukraine an der Front sind die Schutzlosigkeit der Truppe gegen die russischen Luftangriffe mit verheerenden Gleitbomben und der Mangel an Artilleriemunition», schreibt Experte Lange weiter. Die Ukraine benötige mehr Präzisionswaffen und vor allem auch die Lieferung von Einzelteilen und Komponenten.

Selenskyj lobt Flugabwehr

Während die Kampfhandlungen an der Front der Ukraine also schwer zu schaffen machen, ist die Luftwaffe derzeit besonders erfolgreich. So soll die Ukraine im Februar ungewöhnlich viele russische Kampfflugzeuge – darunter auch moderne Su-34 und Su-35 – abgeschossen haben. Das berichtet der britische «Telegraph».

Dafür soll die ukrainische Luftwaffe eine neue Taktik angewendet haben. Die Ukraine soll dazu die von den USA hergestellten und gelieferten Luftabwehrsysteme Patriot modifiziert haben, wodurch sie mobiler geworden seien und flexibler eingesetzt werden können. Mehr dazu lesen Sie hier.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj lobte in der Nacht zum Montag die Soldaten der Flugabwehr, «die Tag und Nacht unseren Himmel verteidigen». Allein in der Nacht zum Sonntag sei es ihnen gelungen, 35 sogenannte Kamikaze-Drohnen vom iranischen Typ Shahed abzuschiessen. «Insgesamt haben die russischen Terroristen seit Anfang März bereits 175 dieser Killerdrohnen gegen die Ukraine eingesetzt, glücklicherweise wurden 151 von ihnen von unseren Soldaten abgeschossen.» Dennoch gebe es Opfer in der Zivilbevölkerung.

Zugleich kündigte Selenskyj den weiteren Ausbau der Feuerkraft und der ukrainischen Luftverteidigung an. «Mehr Luftabwehrsysteme und andere Mittel zur Abwehr russischer Flugzeuge bedeuten mehr Frieden», sagte er.

Verwendete Quellen:

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120 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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So oder so
12.03.2024 06:24registriert Januar 2020
Verbrannte Erde , was anderes kann Putin nicht - auch in seinem eigenen Land geht er ähnlich vor.
Mit einer solch von Propaganda und Desillusionierten Gesellschaft kann man nur noch Krieg führen - darum wird Putin auch weiter machen nach der Ukraine.
Wer genug Naiv ist kann gerne mit Putin verhandeln, es wird Höchstens eins zwei Jahre Frieden gehen bevor es weiter geht.

Die einzigen die da noch Jubeln sind die, die gerne auch wie ein Kadyrow Herrschen wollen als Putins Vogt über die Menschen. Totale Unterdrückung in einem Kaputen Staat - klar finden das die Rechtsnationalen Toll von SVP.
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RuZzophob
12.03.2024 07:23registriert Oktober 2022
Und wir Schweizer schaue weiter zu und verschränken die Arme. Was ist eigentlich genau die Strategie? Warten bis an der Grenze, damit man wieder Reduit macht? Sprich Basel, Zürich, Genf, alle Bevölkerungszentren dem Feind überlassen? Ich wohne ja in der inner Schweiz, wäre also nicht wirklich betroffen 😉
Oder ist die strategie sich von Nato beschützen lassen ohne dafür etwas zu leisten? Wozu haben wir dann noch eine Armee?

Man kann es drehen wie man will. Die Neutralität nützt nur einigen wenigen wirtschaftlich. Militärisch ist es ein Klotz am Bein für alle.
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sowhat
12.03.2024 07:49registriert Dezember 2014
Mir wird einfach schlecht, wenn ich dran denke, dass die Ukraine schon von Anfang an darum gebeten hat, sie für den Schutz des Luftraumes zu unterstützen. Der Westen hat dies von Anfang an bewusst nicht gemacht, aus Angst, dass Putin dann böse wird. Es hätte so viel Leid verhindert werden können. 😰
Was für eine Sch... e 🤔
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