Landminen sind in der Ukraine tägliche Realität. Die Produktion eines Exemplars der effizienten, aber auch äusserst problematischen Waffen kostet nicht mehr als 75 Dollar. In einem Konflikt, in dem Waffenhilfe und Geld zunehmend knapp werden, sind sie zu so etwas wie einer defensiven Fluchtroute geworden.
Erst in der Vorwoche hat Kreml-Herrscher Wladimir Putin erklärt: «Wo ein russischer Soldat seinen Fuss hinsetzt, ist das Land russisches Eigentum.» Nun hat der Präsident der Ukraine, Wolodimir Selenski, ein Dekret unterzeichnet, mit dem der Ausstieg der Ukraine aus der Ottawa-Konvention besiegelt wird. In dieser Konvention ist der Bann von Landminen vereinbart. Auch Finnland, Estland, Litauen, Lettland und Polen haben den Ausstieg angekündigt – also alle Staaten an der Westgrenze Russlands mit Ausnahme Weissrusslands.
Landminen sind eine tückische Waffe. Sie sind für die Ewigkeit konstruiert, trotzen allen Witterungen, sind getarnt, reagieren zumeist auf Druck oder Erschütterung. Sie sind je nach Dimension der Sprengladung auf Personen oder Panzer ausgelegt. Die Erfahrung zeigt: Einmal ausgelegt, sind solche Minen über Jahrzehnte ein wirkliches Problem. Da hilft es auch kaum, Minenfelder zu kartografieren. Denn Minen wandern mit dem Boden, sinken ein, werden weg- und ganz wo anders angespült, durch Witterung verdeckt.
Für die Räumung von Minenfeldern gibt es bislang aber nur unzureichende technologische Hilfsmittel – sind diese Waffen doch dazu konstruiert, gepanzerte Ziele zu zerstören. So bleibt zumeist nur die manuelle Entschärfung durch Spezialisten. Aber auch das ist gefährlich, wenn die Witterung etwa Zünder zersetzt.
In Staaten wie Bosnien-Herzegowina, Laos und der Ukraine gehört es daher schon zur Grundschulbildung, Minen erkennen zu können. Ausschliesslich aus einem Grund: Weil es eine Überlebensfrage ist.
Landminen sind ein rechtlicher Graubereich. Die Ottawa-Konvention aus dem Jahr 1999 ist für die Unterzeichnerstaaten zwar rechtlich bindend. Laut dem Vertrag haben sie sich dazu verpflichtet, dem Einsatz, der Produktion und der Einlagerung von Anti-Personen-Minen zu entsagen. Lagerbestände sollen vernichtet und Minenfelder geräumt werden.
166 Staaten haben die Konvention unterzeichnet, 133 haben sie auch tatsächlich ratifiziert. Zahlreiche wichtige Staaten haben die Konvention aber eben auch nicht unterzeichnet. Und darunter: Russland – nebst China, Indien, Ägypten oder den USA.
Die Ukraine hat die Konvention im Jahr 2005 unterzeichnet. Da war keine Rede von einem möglichen Krieg mit dem Nachbarland Russland. Konventionelle Konflikte zwischen den regulären Armeen von Staaten schienen generell eine Sache von Vorgestern.
Heute ist die Ukraine eines der weltweit am stärksten verminten Länder: Schätzungen zufolge sind etwa 137’000 Quadratkilometer in der Ukraine vermint, darunter wichtiges Landbaugebiet. In dieser Berechnung wird allerdings nicht unterschieden zwischen tatsächlich bewusst vermintem Gebiet oder Regionen, in denen sich massenweise Blindgänger befinden dürften.
Denn auch die sind ein Problem: Zuletzt beschoss Russland die Millionenstadt Kiew mit Cluster-Munition. Das ist ein Munitionstypus, der in Bodennähe kleine Sprengladungen freisetzt, die dann wie ein Sprühregen auf ein Gebiet fallen. Viele dieser kleinen Ladungen explodieren aber nicht sofort und sind so eine bleibende Gefahr.
Sogar rund um Kiew gibt es allerdings auch noch zahlreiche Landstriche, die in der ersten Jahreshälfte 2022 russisch besetzt waren und in denen Minen vermutet werden. Bekannt ist auch, dass russische Einheiten vor ihrem Abzug hier zum Teil alltägliche Gebrauchsgegenstände wie auch Spielzeug vermint haben. Für eine systematische Entminung des Gebiets fehlten bisher aber Geld und Personal.
Selenski begründete den nun angekündigten Ausstieg der Ukraine aus der Ottawa-Konvention so: Russland sei nie Vertragspartei des Übereinkommens gewesen und verwende in zynischer Weise «alle zur Verfügung stehenden Mittel, um Leben zu zerstören».
Man beobachte, «wie unsere Nachbarn in Europa auf diese Bedrohung reagieren». Und Antipersonenminen seien «oft das Instrument, für das es zu Verteidigungszwecken keinen Ersatz gibt.»
Diese Aussage könnte man durchaus als Wink mit dem Zaunpfahl interpretieren. Denn je weniger an ausländischer Hilfe in die Ukraine kommt, desto mehr sieht man sich in Kiew dazu gezwungen auf billige, simple aber eben effiziente Lösungen zur Verteidigung zu setzen – auch wenn klar ist, dass diese langfristige Folgen haben werden.