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Ukraine

Kein Massengrab: Das weiss man über die Toten in den Wäldern von Isjum

A view of unidentified graves of civilians and Ukrainian soldiers in a cemetery in the recently retaken area of Izium, Ukraine, Thursday, Sept. 15, 2022 who had been killed by Russian forces near the  ...
In den Wäldern bei der von den Ukrainern zurückeroberten Stadt Isjum wurden Hunderte Gräber entdeckt.Bild: keystone

440 Leichen in den Wäldern entdeckt – das weiss man über die Toten von Isjum

Nach der Rückeroberung der Stadt Isjum durch die Ukrainer wurden in den Wäldern vor der Stadt zahlreiche Gräber gefunden. Eine Übersicht, was man darüber schon weiss – und was nicht.
16.09.2022, 12:0216.09.2022, 13:32
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Hunderte Gräber bei Isjum entdeckt
In der ostukrainischen Stadt Isjum wurden zahlreiche Gräber entdeckt.
quelle: keystone / evgeniy maloletka
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Was ist passiert?

Die ukrainischen Truppen konnten in der vergangenen Woche grosse Gebiete im Osten des Landes zurückerobern. Die russischen Soldaten zogen sich teilweise überstürzt zurück. Nebst den strategisch wichtigen Ortschaften Balaklija, Kupjansk oder Sjwatohirsk nahmen die Ukrainer auch die grössere Stadt Isjum ein, von wo aus die Russen ihre Militäroperationen in der Region vorher koordinierten.

Am Donnerstagabend erklärte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in einer Videobotschaft, dass bei Isjum ein Massengrab mit 440 Leichen gefunden worden sei.

«Ich möchte das nicht Butscha nennen – hier wurden die Menschen, sagen wir mal, zivilisierter beigesetzt.»
Oleh Kotenko, ukrainischer Ermittler

Am Freitag stellten die ukrainischen Ermittler richtig, dass es sich nicht um ein Massengrab, sondern um zahlreiche einzelne Gräber handelt. «Ich möchte das nicht Butscha nennen – hier wurden die Menschen, sagen wir mal, zivilisierter beigesetzt», sagte Oleh Kotenko, Ermittler eines ukrainischen Sonderkommandos, dem TV-Sender Nastojaschtschee Wremja.

Oleg Kotenko, the Commissioner for Issues of Missing Persons under Special Circumstances uses his smartphone to film the unidentified graves of civilians and Ukrainian soldiers in the recently retaken ...
Oleh Kotenko, Ermittler eines ukrainischen Sonderkommandos, filmt mit einem Smartphone die unidentifizierten Gräber bei Isjum.Bild: keystone

Wo genau wurden die Gräber gefunden?

Isjum liegt 125 Kilometer südöstlich von Charkiw. Nochmals etwa so weit entfernt im Süden liegt Donezk. Die über 400 Leichen wurden in einem Wald ausserhalb der Kleinstadt gefunden, die vor dem Krieg ungefähr 50'000 Einwohner hatte. Die Stadt war während mehr als fünf Monaten unter russischer Kontrolle. In der Nähe von Isjum sind auch die grösseren Städte Lyssytschansk und Sjewjerodonezk, die im Sommer als letzte ukrainische Bastionen in der Oblast Luhansk von den Russen erobert wurden.

Wer wurde dort begraben?

Noch sind die Menschen nicht identifiziert, die in den behelfsmässigen Gräbern im Wald beerdigt wurden. Laut Wolodymyr Selenskyj nehmen die ukrainischen Ermittler am Freitag die Ausgrabung und Identifikation der Leichen vor.

Es gibt aber Anzeichen, dass unter anderem gefallene ukrainische Soldaten im Wald beerdigt wurden. Laut dem Internetsender Hromadske befand sich ein Massengrab mit bis zu 25 getöteten ukrainischen Armeeangehörigen im betroffenen Gebiet.

Was ist mit den Opfern passiert?

Klar ist unterdessen, woran die meisten Menschen in den Gräbern gestorben sind: «Die Mehrzahl starb unter Beschuss, wir haben das den Daten nach bereits verstanden: Die Menschen kamen um, als sie (die Russen) die Stadt mit Artillerie beschossen», sagte Ermittler Kotenko.

Auch gab es ersten Berichten zufolge Anzeichen, dass einige der Opfer aufgrund fehlender medizinischer Unterstützung ums Leben gekommen sind.

Was sagen die Kriegsparteien?

Wolodymyr Selenskyj äusserte sich in seiner Videobotschaft zu den gefundenen Gräbern und kritisierte die Russen erneut scharf: «Russland hinterlässt überall, wo es war, den Tod und muss zur Verantwortung gezogen werden», so der ukrainische Präsident. Er bezog sich auf die mutmasslichen Kriegsverbrechen in Butscha und die tausenden Opfer, die bei der Belagerung der südukrainischen Stadt Mariupol starben.

Die russische Seite hat sich noch nicht unmittelbar zu den Gräbern bei Isjum geäussert. In der Vergangenheit hatte die russische Regierung um Wladimir Putin stets bestritten, dass russische Soldaten Gräueltaten und Kriegsverbrechen begehen würden. (con)

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50 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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zombie woof
16.09.2022 12:17registriert März 2015
Und immer noch gibt es Verblendete, die behaupten dass die Russen im Recht sind.
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Mijasma
16.09.2022 12:18registriert Oktober 2018
Wer denkt das Putin etwas zugibt denkt auch das Zitronenfalter Zitronen Falten.
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Guerzo
16.09.2022 13:46registriert Februar 2016
Eine Sache ist ganz klar: ohne den russischen Angriffskrieg, gäbe es diese Toten nicht.
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