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So schnell sterben Putins Soldaten

So schnell sterben Putins Soldaten

Sie werden einberufen und einige überleben die ersten zwei Monate nicht: Ein Bericht analysiert die Todesfälle von russischen Rekruten.
22.09.2023, 06:36
Thomas Wanhoff / t-online
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Ein Artikel von
t-online

Russische Reservisten und Freiwillige, die vor einem Jahr im Rahmen der Teilmobilisierung einberufen worden, überleben nicht sehr lange. Eine Untersuchung des unabhängigen russischen Recherchenetzwerks «Important Stories» gemeinsam mit dem russischen «Conflict Intelligence Team» (CIT) hat ergeben, dass jeder fünfte Rekrut, der ums Leben kam, nicht einmal zwei Monate lang im Dienst war. Der jüngste Soldat war gerade einmal 19 Jahre alt, der älteste 62 Jahre alt.

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Russische Soldaten bei Trainingseinheiten im besetzten Teil der Ostukraine.Bild: www.imago-images.de

Russland hatte im September 2022 bekannt gegeben, weitere Reservisten zu verpflichten, insgesamt sollen so 300'000 Soldaten einberufen worden sein. Noch habe der russische Präsident Wladimir Putin diese Mobilmachung nicht offiziell per Dekret als beendet erklärt, schreibt die «Moscow Times».

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Russland gibt selten offizielle Zahlen zu Gefallenen im Krieg gegen die Ukraine heraus, im vergangenen Jahr war von 6'000 die Rede, berichtet die «Moscow Times». Unabhängige Recherchen sprechen von zwischen 50'000 und 120'000 Gefallenen. Die ehrenamtlichen Mitarbeiter von CIT und «Important Stories» nahmen sich deshalb die Todesanzeigen in Tageszeitungen und anderen Quellen vor. In diesen fanden sie zahllose Nachrufe. «Sie hatten alle eines gemeinsam: Von der Einberufung bis zur Beerdigung dauerte es weniger als ein Jahr», heisst es in dem Bericht. Insgesamt wurden 3'000 Todesfälle untersucht. Die Gesamtzahl der Gefallenen dürfte aber deutlich höher liegen.

Hohe Verluste bei Kämpfen in Luhansk

Im ersten Monat nach der Teilmobilisierung seien bereits 130 Soldaten gestorben. Im Durchschnitt starben die Kämpfer nach bereits 4.5 Monaten. «Die verlustintensivsten Perioden waren der Herbst 2022 und das Frühjahr 2023, sie trugen erheblich zur durchschnittlichen Lebenserwartung der an der Front mobilisierten Personen bei», erklärt das CIT. Die Kämpfe entlang der Svatove-Kreminna-Linie in Luhansk hätten besonders viele Verluste gefordert. An dem 60 Kilometer langen Frontabschnitt hatte die Ukraine im Oktober 2022 Angriffe begonnen, die bis heute andauern. Die Gefallenen seien mit Rekruten ersetzt worden, die teilweise nur wenige Tage überlebten, so der Bericht.

Nur vier Soldaten aus dem Untersuchungsbericht kämpften länger als elf Monate, bevor sie getötet wurden. Die meisten Toten waren zwischen 30 und 45 Jahre alt, ein Drittel sei zwischen 20 und 29 Jahre alt gewesen.

Junger Soldat starb kurz nach Fernsehbeitrag

Da die Daten sich auf Fälle beziehen, die öffentlich gemacht wurden, sind auch die Geschichten hinter den Zahlen bekannt. So war der jüngste Soldat, der 19-jährige Anton Getman aus Rostow, drei Monate nachdem er seinen Wehrdienst absolviert hatte, wieder einberufen worden. In einem russischen Fernsehbeitrag hatte man ihn interviewt, damals sagte er, ein Freiwilliger zu sein. Kurze Zeit später war er tot. Der älteste Einberufene in dem Bericht war Major Nikolai Isakow aus der Region Twer. Er war acht Monate im Krieg. Er starb bei Angriffen von russischen Partisanen der Freedom of Russia Legion und des Russischen Freiwilligenkorps bei Belgorod im Juni.

Berichte von Verwandten der Gefallen zeigen auch eine Diskrepanz zwischen offiziellen Zahlen und dem, was in den Heimatorten der Soldaten bekannt ist. So seien in der Neujahrsnacht 2023 bei einem ukrainischen Angriff auf ein russisches Lager in Makijiwka alleine 139 Einberufene aus der Region Samara gestorben – offiziell war von 89 Toten gesprochen worden. Das russische Verteidigungsministerium hatte die Soldaten auch noch selbst für ihren Tod verantwortlich gemacht, weil sie Mobiltelefone benutzt und damit ihren Aufenthaltsort verraten hätten.

Kein Urlaub und Klagen über schlechte Ausrüstung

Im Frühjahr und Sommer 2023 starben dem Bericht nach mindestens 40 Einberufene bei den Kämpfen in der Nähe von Bachmut. «Sie beklagten sich darüber, dass sie keine Luft- oder Artillerieunterstützung hätten, dass die Kommunikation fast nicht funktionsfähig sei und dass die Kommandeure das Militär als Kanonenfutter benutzten» schreiben die Autoren von «Important Stories». Ein Jahr nach Beginn der Teilmobilisierung zeige sich, dass sich für die Einberufenen nichts geändert habe. «So wie sie benutzt wurden, werden sie auch weiterhin benutzt», schreibt das CIT. Schlechtes Benehmen der Kommandeure, ein unstrukturiertes Kampfsystem, keine Artillerieunterstützung – «die systematischen Probleme mit den Mobilisierten blieben bestehen.»

Den Einberufenen sei versprochen worden, dass sie nach sechs Monaten zurück nach Hause gehen könnten. Manche hätten sich schnelles Geld und vielleicht einen Orden erhofft. Jetzt seien viele bereits seit elf Monaten im Einsatz und nicht einmal zu Hause gewesen. Ein Grund: «Sie [die Militärführung] haben Angst, dass wenn sie 100 in den Urlaub schicken, nur die Hälfte zurückkommt.»

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129 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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RicoH
22.09.2023 08:13registriert Mai 2019
Da Putin dauernd neue Menschen rekrutieren muss, sollte der russischen Bevölkerung eigentlich klar sein, dass die eigenen Verluste in diesem Krieg hoch sein müssen. Ist es ihnen egal oder haben sie Angst sich dagegen aufzulehnen?
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AlfredoGermont
22.09.2023 06:57registriert März 2022
Da freuen sich die Familien über ihren Lada. Alles gut.
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champedissle
22.09.2023 11:44registriert März 2020
Man darf nicht vergessen. Wer die russische Kaserne bei der Einberufung überlebt hat, hat auch erlebt, was Gewalt von Kameraden bedeutet. Ziel ist es dort Neuankömmlingen so zu demütigen, dass sie nötigenfalls auch mit der Zunge Pissoirs reinigen. Was das für "Soldaten" gibt, überlasse ich Ihrer Fantasie.
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