US-Aussenminister Antony Blinken hat weitere wirtschaftliche und humanitäre Hilfen für die Ukraine in Höhe von 717 Millionen Dollar (rund 610 Millionen Franken) verkündet. 325 Millionen Dollar sollten in die durch den Krieg stark beschädigte Energieinfrastruktur des Landes fliessen, sagte Blinken am Mittwoch bei einer Pressekonferenz in Kiew.
Ausserdem stellten die USA 290 Millionen Dollar an humanitärer Hilfe zur Verfügung, unter anderem für die Bereitstellung von sauberem Trinkwasser, sagte Blinken. Mit weiteren 102 Millionen Dollar sollen demnach Minenräumarbeiten finanziert werden.
Blinken und sein britischer Kollege David Lammy waren am Mittwoch zu Gesprächen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj über eine weitere Unterstützung im Verteidigungskrieg gegen Russland nach Kiew gereist. Für den US-Aussenminister war es bereits der fünfte Besuch in der Ukraine seit Beginn der russischen Invasion im Februar 2022.
Die Ukraine befindet sich weiterhin in einer militärisch schwierigen Lage: Russische Truppen rücken in der ostukrainischen Region Donezk weiter auf die logistisch wichtige Stadt Pokrowsk vor – trotz der ukrainischen Gegenoffensive in der westrussischen Region Kursk.
Selenskyj hat beim Gipfel der sogenannten Krim-Plattform derweil eine Abtretung der russisch annektierten Halbinsel erneut ausgeschlossen. «Die Ukraine handelt nicht mit ihrem Land und lässt ihre Leute nicht im Stich», unterstrich Selenskyj bei dem Treffen. Das gehöre zur Moral der Ukraine. Er rief die Anwesenden dazu auf, bei der Rückholung von in russischer Gefangenschaft befindlichen Ukrainern zu helfen.
Insbesondere hob der Staatschef dabei die muslimische Minderheit der Krimtataren als besonders durch die russischen Behörden verfolgte Gruppe auf der Krim hervor. Selenskyj appellierte an die muslimisch geprägten Nachbarstaaten Türkei und Aserbaidschan, Druck auf Russland auszuüben.
Selenskyj zufolge gab es mehr als 60 Gipfelteilnehmer. Unter anderem waren der litauische Präsident Gitanas Nauseda, der kroatische Ministerpräsident Andrej Plenkovic, die lettische Regierungschefin Evika Silina, der tschechische Senatspräsident Milos Vystrcil und der moldauische Parlamentspräsident Igor Grosu zu dem Treffen nach Kiew gereist. Ebenso nahmen US-Aussenminister Antony Blinken und sein britischer Kollege David Lammy persönlich teil. Der Grossteil der Redner beschränkte sich allerdings auf Videobotschaften.
Russland hatte die ukrainische Schwarzmeer-Halbinsel Krim 2014 annektiert. Seit 2021 versucht Kiew, mit Treffen der sogenannten Krim-Plattform die internationale Aufmerksamkeit für die Situation auf der Halbinsel zu stärken. 2022 startete der Kreml einen Grossangriff auf die Ukraine. Knapp 20 Prozent des ukrainischen Territoriums wird inzwischen von Moskau kontrolliert. Russland erhebt zusätzlich zur Krim noch Anspruch auf vier weitere Regionen im Süden und Osten des Nachbarlandes. Kiew hat die Wiederherstellung der Grenzen von 1991 als ein Minimalziel festgelegt.
Auch hat der ukrainische Präsident bei dem Treffen erneut für die Freigabe westlicher Waffen mit grosser Reichweite geworben. «Es ist wichtig, dass die ukrainischen Argumente gehört werden», teilte Selenskyj nach Gesprächen mit Blinken und dem britischen Aussenminister David Lammy mit. Die Ukraine fordert seit Monaten, dass die westlichen Verbündeten die bisher geltenden Einschränkungen für die reichweitenstarken Waffen aufheben. Kiew will dann mit den Raketen militärische Ziele im russischen Hinterland zerstören.
Selenskyj bat einmal mehr auch um Unterstützung für die Truppen an der Front und für die Strategie der Ukraine insgesamt, einen gerechten Frieden zu erreichen. Bei den Gesprächen sei es zudem um einen zweiten Friedensgipfel gegangen und um die nötigen Schritte, um das Treffen effektiv zu machen. Bei einem ersten Gipfel in der Schweiz im Juni war Russlands Teilnahme nicht erwünscht. Für die Neuauflage ist im Gespräch, dass Russland eingeladen werden könnte.
Die Führung in Moskau hatte stets betont, dass ein Frieden nicht ohne Beteiligung Russlands ausgehandelt werden könne. Zugleich unterstrich Moskau, sich weder von der Ukraine noch vom Westen die Bedingungen dafür diktieren zu lassen. Russland hatte zuletzt besonders im ostukrainischen Gebiet Donezk mehrere Ortschaften eingenommen. Beobachter gehen deshalb davon aus, dass Moskau kein echtes Interesse an Verhandlungen hat.
Blinken und Lammy hatten zuvor in Kiew bei einer Pressekonferenz weitere Hilfen für die Ukraine angekündigt. Die Frage eines Einsatzes westlicher Waffen mit grosser Reichweite gegen Ziele in Russland blieb aber offen. (sda/dpa)