Im Schatten der Genfer Gespräche eskaliert in Kiew der Korruptionsskandal
Während sich die Augen der Welt auf die Genfer Friedensverhandlungen richten, spitzt sich in der Ukraine der Konflikt zwischen Präsident Selenskyjs Machtzirkel und den Anti-Korruptionsbehörden zu. Im Zentrum steht dabei ausgerechnet Andrij Jermak, Selenskyjs Präsidialamtschef und Leiter der ukrainischen Verhandlungsdelegation in Genf.
Laut Informationen der Onlinezeitung «Ukrainska Pravda» hat Jermak die ihm unterstellten Sicherheitsbehörden angewiesen, ein Ermittlungsverfahren gegen Oleksandr Klimenko vorzubereiten. Klimenko ist der Chef der Spezialisierten Antikorruptionsstaatsanwaltschaft (Sapo), die an den sogenannten Midas-Ermittlungen beteiligt ist.
Die Midas-Affäre betrifft ein mutmasslich weitverzweigtes Korruptionsnetz im ukrainischen Energiesektor, das bis in höchste Regierungskreise reicht. Die Nationale Antikorruptionsbehörde (Nabu) hatte Anfang November Tonaufnahmen veröffentlicht, die Gespräche zwischen mehreren ranghohen Akteuren belegen sollen. Unter den Verdächtigen befinden sich der Geschäftsmann Tymur Minditsch, ein früherer Partner von Wolodymyr Selenskyjs Produktionsfirma Kvartal 95, sowie mehrere Führungskräfte des staatlichen Atomkonzerns Energoatom. Einige der Beschuldigten wurden verhaftet, andere wie Minditsch setzten sich ins Ausland ab.
Klimenko, der die Ermittlungen der Nabu unterstützt, warf dem Präsidentenbüro öffentlich vor, Druck auf die Anti-Korruptionsorgane auszuüben. In Anspielung auf Jermak sagte er: «Ali Baba trifft sich mit den Sicherheitsbehörden und gibt Anweisungen, Nabu-Ermittler und Sapo-Staatsanwälte zu verfolgen. Das ist kein normaler Zustand.»
Quellen innerhalb der Sicherheitsapparate berichten, dass Präsident Selenskyj nach Veröffentlichung der ersten Midas-Ergebnisse zwar ein Treffen mit den Chefs von Nabu und Sapo einberief, das Gespräch aber «zu keinem Ergebnis» geführt habe. Kurz darauf hat Jermak laut des Zeitungsberichts erneut befohlen, ein Verfahren gegen Klimenko vorzubereiten.
Diese Enthüllungen sorgen im Umfeld des Präsidenten für beträchtliche Unruhe. Mehrere Berater hätten Selenskyj bereits geraten, sich von Jermak zu trennen, berichtet «Ukrainska Pravda». Stattdessen schickte Selenskyj seinen engsten Vertrauten nach Genf, um die Verhandlungen mit US-Aussenminister Marco Rubio zu führen. Der Präsident hatte Mitte November immerhin Sanktionen gegen Minditsch und weitere Beteiligte verhängt.
Der eskalierende Machtkampf zwischen den Anti-Korruptionsbehörden und dem Präsidentenbüro droht jetzt, die Glaubwürdigkeit der Regierung im Kampf gegen Vetternwirtschaft und Amtsmissbrauch weiter zu untergraben – ausgerechnet während der laufenden Friedensgespräche in der Schweiz. Das ist ein heikles Signal gegenüber den westlichen Partnern der Ukraine, die von Kiew konsequente Reformen und handfeste Fortschritte im Kampf gegen die Korruption erwarten. (aargauerzeitung.ch)
