Das mächtigste Gremium der Vereinten Nationen traf sich am Rande der Generaldebatte der UN-Vollversammlung. Die militärische Aggression Russlands steht im Zentrum der Treffen, die diese Woche im Rahmen der Eröffnung der 78. UNO-Generalversammlung in New York stattfinden. Neben einer hochkarätigen Besetzung mit einer Reihe von Staats- und Regierungschefs sowie Aussenministern wurde mit Spannung erwartet, ob der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj erstmals seit Kriegsbeginn auf den russischen Aussenminister Sergej Lawrow treffen wird.
Dieser blieb Selenskyjs Rede jedoch fern und schickte zum Auftakt den russischen UN-Botschafter Wassili Nebensja in die Runde.
Auch Bundesrat Ignazio Cassis nimmt an der Sitzung des UN-Sicherheitsrates teil. Er bezeichnete den Friedensplan, den der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Mittwoch im Sicherheitsrat vorstellen wollte, als «interessanten Ansatz». Ein Friedensplan, auf den nicht beide Seiten einträten, sei aber nicht gut genug.
«Unilaterale Friedenspläne kommen nicht weit, ausser mit Gewalt. Und wir wollen nicht, dass aus diesem Konflikt ein noch grösserer Krieg wird», sagte Cassis am Mittwoch vor Medienvertretern in New York.
Bereits am Dienstag nahm der Aussenminister an einem Treffen über den Internationalen Strafgerichtshof teil, an dem das Verbrechen der Aggression diskutiert wurde. Die Schweiz begrüsse die Idee eines Sondertribunals für die Ukraine, sagte Cassis.
Russland hat eine frühe Rede des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im UN-Sicherheitsrat vergeblich zu verhindern versucht. UN-Botschafter Wassili Nebensja sagte am Mittwoch in New York, es gebe keinen Anlass, den ukrainischen Präsidenten zuerst reden zu lassen und die Sitzung in eine «Ein-Mann- Stand-up-Show» zu verwandeln.
Der momentane Vorsitzende des Sicherheitsrates, der albanische Edi Rama, lehnte dies ab. Es kam in der Folge zu einem Schlagabtausch zwischen Nebensja und Rama, in dem Rama unter anderem sagte: «Können wir jetzt mit Ihrer Erlaubnis die Sitzung normal fortsetzen?» Selenskyj war kurz zuvor im Rat eingetroffen. Er setzte sich gegenüber von Nebensja an den runden Tisch.
Selenskyj beklagte bei der Sitzung des UN-Sicherheitsrates eine Machtlosigkeit der Vereinten Nationen. Diese reagierten auf Probleme mit «Rhetorik» anstatt mit «echten Lösungen», sagte Selenskyj. «Die Menschheit setzt ihre Hoffnungen nicht mehr auf die UN, wenn es um die Verteidigung der souveränen Grenzen der Nationen geht.» Selenskyj kritisierte auch, das Vetorecht Russlands habe die Vereinten Nationen in eine Sackgasse geführt. Die UN-Generalversammlung müsse eine Befugnis erhalten, um ein solches Veto zu überwinden.
Selenskyj hat von den Vereinten Nationen ein System verlangt, mit dem frühzeitig auf Angriffe auf die Souveränität anderer Staaten reagiert werden kann. «Es ist an der Zeit, dass sich die Nationen der Welt auf einen solchen Mechanismus zur Reaktion auf Aggressionen zum Schutz anderer einigen, den sich jeder für seine eigene Sicherheit wünschen würde», sagte Selenskyj nach der offiziellen englischen Übersetzung in seiner auf Ukrainisch gehaltenen Rede.
Die russische Invasion in der Ukraine habe gezeigt, welchen Nutzen ein solcher Mechanismus haben könne und welche Auswirkungen mächtige Sanktionen gegen einen Aggressor hätten – in der Phase des Aufbaus der Invasionsarmee. «Wer einen Krieg beginnen will, sollte vor seinem fatalen Fehler sehen, was genau er verlieren wird, wenn der Krieg beginnen würde.» Die Frage der Anwendung solcher Präventivsanktionen solle automatisch dem UN-Sicherheitsrat zur Prüfung vorgelegt werden, wenn ein Mitglied der UN-Generalversammlung eine Aggressionsdrohung melde, sagte der Ukrainer.
Selenskyj hat ausserdem eine Erweiterung des UN-Sicherheitsrats um weitere ständige Mitglieder gefordert, darunter auch Deutschland. «Deutschland ist zu einem der wichtigsten globalen Garanten für Frieden und Sicherheit geworden», sagte Selenskyj am Mittwoch im UN-Sicherheitsrat. «Dies ist eine Tatsache. Fakt ist auch, dass Deutschland einen Platz unter den ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates verdient, dass Lateinamerika dort dauerhaft vertreten sein muss und auch die pazifischen Staaten.»
Auch die Afrikanische Union müsse ihren Platz in dem wichtigsten UN-Gremium haben. Asien verdiene ebenfalls eine stärkere Präsenz. «Es kann nicht als normal angesehen werden, wenn Länder wie Japan, Indien oder die islamische Welt von der ständigen Mitgliedschaft in dem Gremium ausgeschlossen bleiben.» Es sei ungerecht, wenn Milliarden Menschen dort nicht repräsentiert seien.
Der russische Aussenminister Sergej Lawrow hat mit schweren Vorwürfen an den Westen auf den Auftritt des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im UN-Sicherheitsrat reagiert. In der Rhetorik der westlichen Gegner Russlands höre man die Slogans «Invasion», «Aggression», «Annexion» und nicht ein Wort über die Ursachen der Probleme, sagte Lawrow am Mittwoch im UN-Sicherheitsrat in New York. Er äusserte sich im Rahmen einer langen geschichtlichen Abhandlung über die Entwicklungen auf der von seinem Land 2014 besetzen Krim und den darauf folgenden Verhandlungen mit dem Westen. Es scheine, als ob man Angst vor Fachdiskussionen habe, sagte Lawrow, der dem Westen Demagogie vorwarf.
Lawrow warf dem Westen einen «Überlegenheitskomplex» vor. Von Fall zu Fall greife der Westen selektiv auf Normen und Prinzipien zurück, «ausschliesslich auf der Grundlage seiner engstirnigen geopolitischen Bedürfnisse». Dies habe zu einer Erschütterung der globalen Stabilität sowie zur Verschärfung und Entstehung neuer Spannungsherde geführt. «Die Risiken globaler Konflikte sind gestiegen», anstatt sie einzudämmen und die Dinge auf einen friedlichen Weg zu bringen, sagte der russische Aussenminister. Russland bestehe weiterhin darauf, dass alle Bestimmungen der Charta der Vereinten Nationen respektiert und angewendet werden, «nicht punktuell, sondern in vollem Umfang».
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat den russischen Präsidenten Wladimir Putin in seiner ersten Rede vor dem UN-Sicherheitsrat scharf attackiert. «Der Grund dafür, dass das Leid in der Ukraine und überall auf der Welt andauert, ist erschütternd einfach: Russlands Präsident will seinen imperialistischen Plan zur Eroberung seines souveränen Nachbarn, der Ukraine, umsetzen», sagte Scholz am Mittwoch vor dem mächtigsten UN-Gremium in New York.
Er forderte Putin auf, der Aufforderung der UN-Vollversammlung nachzukommen, seine Truppen abzuziehen und so den Krieg zu beenden. «Bis heute wurde sie nicht beantwortet. Nichts tönt heute lauter als Russlands Schweigen als Reaktion auf diesen globalen Friedensappell», sagte Scholz.
Die UN-Vollversammlung hatte im Februar – ein Jahr nach der russischen Invasion in der Ukraine – eine Resolution verabschiedet, in der der Truppenabzug gefordert wird. 141 der 193 Mitgliedstaaten stimmten dafür und nur sechs zusammen mit Russland dagegen. Es gab 32 Enthaltungen, unter anderem von China und Indien. Seitdem hat es aber keine neue Resolution gegeben.
Scholz war der letzte Redner in der rund dreistündigen Sitzung des Sicherheitsrats. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj und der russische Aussenminister Sergej Lawrow waren zu diesem Zeitpunkt nicht mehr anwesend.
Der Kanzler warf Russland auch vor, dem Weltmarkt bewusst Millionen Tonnen Getreide und Düngemittel entzogen zu haben, die von Ländern auf der ganzen Welt benötigt würden. «Russland zielt bewusst auf Getreidesilos und Hafeninfrastruktur. Und Russland hat einseitig die Schwarzmeer-Getreide-Initiative aufgekündigt und so die Armut und Ernährungsunsicherheit überall auf der Welt verschärft.»
Wie schon am Dienstagabend vor der Vollversammlung stellte sich Scholz zwar hinter Friedensbemühungen, warnte aber auch vor einer Schein-Lösung des Konflikts. «Frieden ohne Freiheit ist Unterdrückung. Frieden ohne Gerechtigkeit ist ein Diktat», sagte er. «Je entschiedener wir uns für einen gerechten Frieden einsetzen und je geeinter wir in unserer Ablehnung der russischen Aggression zusammenstehen, desto früher wird dieser Krieg beendet sein.»
China hat vor dem UN-Sicherheitsrat betont, eine «konstruktive Rolle bei einer politischen Beilegung der Ukraine-Krise» spielen zu wollen. Dafür wolle man mit allen Mitgliedern des Gremiums und mit allen anderen Beteiligten zusammenarbeiten, sagte Chinas Vizeaussenminister Ma Zhaoxu am Mittwoch bei einer Sitzung des Rates am Rande der UN-Generaldebatte in New York. Friedensgespräche müssten ermöglicht werden. «Eine anhaltende und ausgeweitete Ukraine-Krise ist im Interesse von niemandem.»
Bis heute hat China gleichwohl die russische Invasion nicht verurteilt, sondern vielmehr Russland politisch Rückendeckung gegeben.
(lst/sda/dpa)
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