Mit der Annexion der besetzen ukrainischen Gebiete bekommt die atomare Drohkulisse des Kremls eine neue Dimension. In der perfiden Logik der russischen Führung gilt ab jetzt jeder weitere Vorstoss der Ukrainer als Angriff auf russisches Territorium – und damit als möglicher Vorwand für den Einsatz von Nuklearwaffen. Dabei würde Kriegsherr Putin seine Drohung vermutlich mit taktischen Atomwaffen in die Tat umsetzen.
Diese haben im Gegensatz zu strategischen Atomwaffen eine deutlich geringere Sprengkraft. Als strategische Atomwaffen gelten Sprengköpfe mit einer Detonationskraft von 100 Kilotonnen TNT bis hin zu mehreren Megatonnen. Zum Vergleich: Die Bombe, die 1945 Hiroshima zerstörte, hatte eine Sprengkraft von 15 Kilotonnen. Die Sprengkraft moderner taktischer Atomwaffen variiert stark und kann sogar noch deutlich unter jener der Hiroshima-Bombe liegen. Das macht sie allerdings nicht weniger gefährlich – im Gegenteil.
Während strategische Atomwaffen der Logik der wechselseitigen Zerstörung unterliegen und damit «nur» der Abschreckung eines Gegners dienen, führt der Einsatz von taktischen Atomwaffen nicht zwangsläufig zu einem unbegrenzten atomaren Schlagabtausch.
Unter Militärs gelten taktische Sprengköpfe in einem begrenzten Szenario daher als «einsetzbar». Dieser Logik könnte auch Putin folgen, zumal die russische Atomdoktrin das Prinzip der «Eskalation zum Zwecke der Deeskalation» vorsieht – also den Gegner durch einen überwältigenden Schlag zur Aufgabe zu zwingen.
Russland verfügt über das grösste Atomwaffenarsenal der Welt, auch im taktischen Bereich. Während die Nato-Armeen ihre taktischen Bestände bis auf wenige Ausnahmen wie die im Fliegerhorst Büchel gelagerten B61-Bomben abgeschafft haben, hat Russland sein taktisches Arsenal bis heute weitgehend aufrechterhalten. US-Forscher vom «Bulletin of the Atomic Scientists» schätzen die Zahl taktischer Sprengköpfe in russischen Arsenalen zurzeit auf mindestens 1'912 Stück, die meisten davon unter Kontrolle der Marine und der Luftwaffe.
Beachtlich sind auch die Möglichkeiten Russlands, diese Sprengköpfe ans Ziel zu bringen:
Entwickelt wurden taktische Atomwaffen während des Kalten Krieges, um Truppenansammlungen, Panzerverbände, Kommandozentralen oder unterirdische Bunker zu zerstören. Ihren vermeintlichen militärischen Nutzen hält der Atomwaffen- und Abrüstungsexperte Pavel Podvig allerdings für vorgeschoben: «Das Gerede von begrenzten Atomwaffeneinsätzen dient nur dazu, die Existenz dieser Waffen irgendwie zu rechtfertigen», sagte Podvig Euronews. «Aber bei diesen Waffen geht es nicht um militärische Ziele, es geht darum zu demonstrieren, dass man bereit ist, sie einzusetzen und dabei unzählige Zivilisten zu töten.»
Die aktuellsten Entwicklungen im Ukraine-Krieg:
Auch wenn die Sprengkraft taktischer Atomwaffen geringer ist als die strategischer, ist ihre Wirkung immer noch verheerend. Selbst kleine Sprengköpfe erzeugen einen Atompilz, nuklearen Fallout und setzen alles in der Umgebung in Brand. Kriegsherr Putin dürfte beim Einsatz von Atomwaffen aber vor allem auf die psychologische Wirkung spekulieren: Er will die Widerstandskraft der Ukrainer brechen und die westlichen Verbündeten Kiews von weiteren Waffenlieferungen abbringen. Laut Pavel Podvig steht dieses Szenario aber nicht unmittelbar bevor.
«Abgesehen von Interkontinental- und U-Boot-gestützten Raketen sind Atomwaffen nicht direkt einsatzbereit: Noch wurde keine Bombe an ein Flugzeug gehängt, kein Sprengkopf auf eine Rakete montiert, und es fahren auch keine Iskander-Abschussrampen mit Atomsprengköpfen herum. Die sind alle noch im Lager, und die USA sehen bislang auch keine Hinweise auf die Vorbereitung eines Atomwaffeneinsatzes in Russland», schreibt Podvig auf Twitter.
«Diese Waffen müssen aus Bunkern geholt, auf Lkw geladen, an einen bestimmten Ort gefahren und 'scharf gestellt' werden. Diese Abläufe sind sichtbar und wurden von der Nato schon bei vielen Übungen beobachtet.» Zwar sei es denkbar, dass die russische Armee Sprengköpfe aus einem Lager «herausschmuggelt», so Podvig: «Allerdings könnten die Russen nie sicher sein, dass sie nicht doch entdeckt werden. Ausserdem hätten sie überhaupt keinen Grund, diese Aktivitäten zu verstecken: Wenn sie das Signal senden wollen, dass sie bereit zur Eskalation sind, dann wollen sie beim Verladen der Waffen gesehen werden».
Hoffnung auf eine Entspannung der Lage macht auch eine Meldung aus Moskau, die unter dem Säbelrasseln der vergangenen Tage leicht unterging. So berichtete die russische Nachrichtenagentur Interfax am Donnerstag, dass Russland und die USA über die Wiederaufnahme der gegenseitigen Atominspektionen im Rahmen der START-Abrüstungsverträge verhandeln. Die Inspektionen waren im März 2020 wegen der Corona-Pandemie ausgesetzt worden. Der New START-Vertrag von 2011 sieht die weitere Reduzierung der strategischen Atomarsenale beider Seiten vor. (t-online, mk)
Verwendete Quellen:
Denn zu weit östlich, könnte RUS stark betroffen sein. Zu weit westlich würde, wenn die Strahlung NATO Gebiet erreichen würde, sicherlich die NATO das als einen Angriff werten und Artikel 5 ziehen.
Man sieht so einfach "ich setz jetzt mal Atombomben ein“, ist die Sache nicht.