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Atomenergiebehörde besorgt nach AKW-Beschuss – das Nachtupdate

Atomenergiebehörde besorgt nach AKW-Beschuss – das Nachtupdate ohne Bilder

03.09.2022, 06:21
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Bangen um die Sicherheit des AKW Saporischschja

Angesichts des andauernden Beschusses des von russischen Truppen besetzten Atomkraftwerks Saporischschja bangen internationale Experten nach einem Besuch um die Sicherheit dort. Seine grösste Sorge bleibe, dass das AKW durch weiteren Beschuss schwer beschädigt werden könnte, sagte der Chef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) Rafael Grossi in Wien. Zwar seien Schäden offenkundig und inakzeptabel, aber wichtige Sicherheitselemente wie die Stromversorgung des Kraftwerks funktionierten.

Auch die Zusammenarbeit zwischen den russischen Besatzern und dem ukrainischen Personal klappe auf professioneller Ebene einigermassen, sagte Grossi am Freitagabend nach seiner Rückkehr aus der Ukraine am Flughafen Wien. Er erwarte eine genaue Analyse der Sicherheit des Kraftwerks durch seine vor Ort verbliebenen Experten im Laufe der nächsten Woche. Noch seien sechs IAEA-Experten beim Atomkraftwerk. Vier würden zurückkehren, zwei bis auf Weiteres vor Ort bleiben.

Er habe nicht den Eindruck, dass die russischen Besatzer etwas verborgen haben. «Wir haben alles gesehen, was ich sehen wollte», sagte Grossi. Ein entscheidender Unterschied zu vorher sei auch, dass er nun aus eigenen Quellen erfahre, was vor Ort passiere.

IAEA will permanent vor Ort bleiben

Der IAEA-Chef betonte erneut, dass er die Mission seiner Behörde als permanent ansehe. «Die IAEA ist da, um so lange wie nötig zu bleiben.» Dazu gebe es aktuell die Zustimmung der Ukraine und Russlands. Dass sich die Dinge ändern könnten, sei ihm klar. Am meisten sorge ihn derzeit, dass das Kriegsgeschehen rund um das Kraftwerk an Intensität zunehme, sagte Grossi.

Die IAEA-Experten sind seit Donnerstag in der Kraftwerksstadt Enerhodar. Das AKW Saporischschja kam Anfang März kurz nach dem russischen Einmarsch unter die Kontrolle Moskaus. Wiederholter Beschuss des Kraftwerksgeländes und der benachbarten Stadt haben international Ängste vor einer möglichen Atomkatastrophe erhöht. Russland und die Ukraine werfen sich immer wieder gegenseitig Artilleriebeschuss vor. Das AKW ist mit seinen sechs Blöcken und einer Nettoleistung von 5700 Megawatt das grösste Atomkraftwerk Europas. Vor Kriegsbeginn arbeiteten dort mehr als 10 000 Menschen.

Ukraine beschiesst russische Artilleriepositionen beim AKW

Die Ukraine hat nach eigenen Angaben unweit des Atomkraftwerks Saporischschja russische Artilleriepositionen beschossen. «Bestätigt ist, dass unsere Truppen im Bereich der Ortschaften Cherson und Enerhodar drei Artilleriesysteme des Gegners mit präzisen Schlägen vernichtet haben», hiess es im Bericht des ukrainischen Generalstabs am Freitagabend bei Facebook. Ebenfalls seien ein Munitionslager und mindestens eine Kompanie der russischen Armee vernichtet worden.

Die russischen Besatzer haben demnach vor dem Eintreffen der Expertengruppe der IAEA alle Militärtechnik von dem AKW-Gelände entfernt und in benachbarte Orte verlegt. Die Angaben liessen sich nicht unabhängig überprüfen. Russland hatte stets behauptet, auf dem Kraftwerksgelände keine schweren Waffen stationiert zu haben.

Selenskyj begrüsst geplante Deckelung des Preises für russisches Öl

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte Russland angesichts der Lage um das AKW immer wieder atomaren Terrorismus vorgeworfen. Russland hingegen lehnt Forderungen nach einer Rückgabe des Kraftwerks in die Kontrolle der Ukraine ab, weil Moskau meint, Kiew könne im Krieg nicht die Sicherheit der Anlagen garantieren.

Indes begrüsste Selenskyj die geplanten neuen Energiesanktionen des Westens gegen russisches Öl als ein Zeichen der Unterstützung für sein Land. «Die Zeit für die Sanktionen ist längst überfällig», sagte der Staatschef in einem am Freitagabend verbreiteten Video. «Die Sanktionen werden nicht nur den Fluss der Petro-Dollars und Gas-Euros nach Moskau begrenzen, sondern auch Gerechtigkeit wiederherstellen für alle Europäer, die von Russland erpresst werden mit einer künstlich heraufbeschworenen Preiskrise auf dem Energiemarkt.»

Die Gruppe der sieben führenden Industrienationen G7, darunter Deutschland und Frankreich, wollen als wirtschaftsstarke Demokratien dafür sorgen, dass Russland weniger an seinem Öl verdient. Damit soll eine Finanzierungsquelle für den Krieg gegen die Ukraine ausgetrocknet werden. Das Ziel ist ein internationaler Preisdeckel auf Importe von russischem Öl. In einer gemeinsamen Erklärung forderten die G7-Finanzminister am Freitag alle ölimportierenden Länder auf, sich dieser Massnahme anzuschliessen. Russland verdient trotz eines US-Embargos gegen sein Öl weiter viel Geld mit dem «schwarzen Gold», das etwa nach Indien verkauft wird.

Der Preisdeckel werde helfen, zivile Staaten und Energiemärkte vor der russischen Aggression im Energiesektor zu schützen, sagte Selenskyj. Er sei EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen für diesen Vorschlag dankbar. Die Ukraine brauche die Unterstützung Europas. Der Beistand für die Ukraine sei mit dem Schutz «der ganzen demokratischen Welt» gleichzusetzen, sagte Selenskyj.

Ukraine will Atomstrom nach Deutschland liefern

Unterdessn will Kiew Deutschland mit der Lieferung von Atomstrom auf dem Weg aus der Abhängigkeit von russischer Energie unterstützen. «Derzeit exportiert die Ukraine ihren Strom nach Moldau, Rumänien, in die Slowakei und nach Polen. Aber wir sind durchaus bereit, unsere Exporte auf Deutschland zu erweitern», sagte der ukrainische Ministerpräsident Denys Schmyhal der Deutschen Presse-Agentur.

Parallel zum russischen Einmarsch Ende Februar hatte die Ukraine sich mit dem Nachbarland Moldau vom ehemals sowjetischen Stromnetz abgekoppelt. Mitte März erfolgte die Synchronisierung mit dem europäischen Netzwerk. Seitdem exportiert das Land täglich zwischen 400 und 700 Megawatt Strom in die EU und nach Moldau. Schmyhal will die Exportquoten für die EU nun um ein Vielfaches erhöhen. In der Ukraine werden AKWs sowjetischer Bauart mit einer Gesamtkapazität von mehr als 14 Gigawatt betrieben, darunter auch Saporischschja.

Was am Samstag wichtig wird

Schmyhal wird am Samstag in Berlin erwartet und am Sonntag von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Kanzleramt empfangen.

Anders als geplant wird Gazprom am Samstag die Gaslieferungen durch die für Deutschland wichtigste Versorgungsleitung Nord Stream 1 nach Wartungsarbeiten nicht wieder aufnehmen. Grund sei ein Ölaustritt in der Kompressorstation Portowaja, teilte der russische Staatskonzern am Freitagabend überraschend mit. Bundesregierung und Bundesnetzagentur reagierten gelassen: Die Lage auf dem Gasmarkt sei zwar angespannt, die Versorgungssicherheit aber gewährleistet. (sda/dpa)

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