Die «Mythbusters» haben ihren Namen von der gleichnamigen Dokumentarserie auf Discovery Channel. Seit 2003 überprüft sie «urbane Mythen» auf ihren Wahrheitsgehalt – und entlarvt diese meist als Humbug. Dass «Mythbusters»-Hauptdarsteller Jamie Hynemann (der Kerl mit der Baskenmütze), die russische Sprache und Literatur studierte, ist allerdings ein Zufall.
Täglich verbreiten die Propaganda-Medien aus Russland neue Mythen oder Fälschungen. Mitten im Eroberungs-Feldzug von pro-russischen Separatisten und russischen Spezialeinheiten in der Ost-Ukraine zum Beispiel das Foto eines weinenden Mädchens neben seiner toten Mutter, die von ukrainischen Soldaten getötet worden sei.
#SaveDonbassPeople #savedonbaspeople #SaveDonbassChildren #savedonbaschildren #SaveDonbasPeopleFromUkrainArmy pic.twitter.com/LsouF2jWHF
— JuliaPGoncharova (@JuliaPGoncharov) 7. Juni 2014
Ein emotionales Foto, das via Twitter und Facebook weltweit verbreitet wurde. Tatsächlich wurde das Bild bei den Dreharbeiten für «Brestskaja krepost» («Sturm auf Festung Brest») fotografiert, einem Kriegsfilm, der im November 2010 in den russischen Kinos gezeigt wurde.
Noch krasser die Fälschung in der Nachrichtensendung «Wremja» («Zeit») im staatlichen TV-Sender «Rossija 1»: Ukrainische Soldaten sollen auf dem zentralen Platz in Slowjansk ein Kleinkind gekreuzigt haben. Das erzählte eine weinende «Galina» den Reportern von «Rossija 1».
Die Geschichte ist aber ein Fake, wie Bewohner von Slowjansk bestätigten, und «Galina» ist eine russische Laien-Schauspielerin. «Zufälligerweise» hatte der russische Neo-Faschist Alexander Dugin einige Tage vor der «Kreuzigung» in Slowjansk eine ähnliche Gräuelgeschichte verbreitet – die er aus der amerikanischen Fernsehserie «Game of Thrones» geklaut hatte.
Diesen Lügen und Fälschungen aus Russland will die EU nun eigene russischsprachige Informationen entgegensetzen. Im Januar 2015 verlangten Grossbritannien, Dänemark und die baltischen EU-Staaten Estland und Litauen von der EU-Kommission (EU-«Regierung»), gegen die massive Propaganda-Kampagne von Russland vorzugehen. Brüssel solle «eine EU-Strategie gegen die schnell wachsende Desinformation aus Russland» ausarbeiten.
«Während freie Medien in Russland durch die Regierung unterdrückt, eingeschüchtert und verboten werden, nutzt die russische Propaganda die Medienfreiheit in der EU aus», heisst es im Brief der vier EU-Staaten an die EU-«Aussenministerin» Federica Mogherini.
In den baltischen EU-Staaten Estland, Lettland und Litauen leben eine Million ethnische Russen. Auch in Deutschland leben vier Millionen russische Muttersprachler. Insgesamt zählt die EU mindestens sechs Millionen russischsprachige Bewohner, «die sich meist nur in den vom Kreml gesteuerten TV-Programmen mit ihrer massiven Russland-Propaganda informieren». Gegen diese Desinformation brauche es eine gemeinsame Strategie.
Schon am 20. März 2015 gründete die EU die «Mythbusters», eine Spezialtruppe, die russische Falschmeldungen korrigieren soll. Diese Kommunikations-Profis werten in Brüssel die russische Propaganda aus, identifizieren offensichtliche Lügen und stellen ihnen die Fakten entgegen. Vorerst arbeiten aber erst fünf «Mythbusters» in Brüssel, Journalisten und Social Media-Fachleute, die monatlich je 4350 Euro verdienen.
Ein Witz im Vergleich mit den Tausenden von russischen Journalisten, die für das im Dezember 2013 gegründete Medienimperium «Rossija Segodnja» («Russland heute») arbeiten. Das neue Propagandainstrument wurde zusammengesetzt u.a. aus der Nachrichtenagentur RIA Novosti und dem Auslandradio «Stimme Russlands» und erhielt den Markennamen «Sputnik».
Mit einem Jahresbudget von 103 Millionen Dollar produzieren 3000 «Sputnik»-Mitarbeiter in 130 Städten rund um die Welt und rund um die Uhr in 30 Sprachen Nachrichtenportale und täglich 800 Stunden Radio. Dazu kommt der englischsprachige TV-Sender «Russia Today» («RT»), der mit einem Jahresbudget von 245 Millionen Dollar weltweit über 2000 Mitarbeiter beschäftigt.
Die Mitarbeiter von «Sputnik» und «Russia Today» verstehen sich selbst als «Informationskrieger», wie ein Tweet des Schweizer «RT»-Mitarbeiters Nicolaj Gericke zeigt.
— Nicolaj Gericke (@Nicolaj_Gericke) 29. August 2014
«Mit Sputnik und Russia Today verwandelt der Kreml Informationen in Waffen», analysiert das Online-Magazin The Interpreter des renommierten amerikanischen Think Tanks «Institute of Modern Russia». Vor Putins «Informationskriegern» schaudert es sogar dem Vorsitzenden des Moskauer Journalistenverbandes, Pawel Gussew: «Das ist eine Wiederbelebung sowjetischer Prinzipien».
Bereits in den nächsten Tagen wird deshalb der Europäische Demokratiefonds (EED) der EU-«Aussenministerin» Federica Mogherini einen Aktionsplan gegen die Propaganda aus Russland vorlegen. Der EED ist eine Stiftung zur Unterstützung der Demokratisierung, die von den EU-Mitgliedsstaaten und der Schweiz finanziert wird. Schon im Juni 2015 soll mit der Umsetzung des Aktionsplanes begonnen werden.
Die Aussenminister von Grossbritannien, Dänemark, Estland und Litauen fordern einen russischsprachigen TV-Sender für die 6 Millionen russischsprachigen Bürger in der EU, der neben Unterhaltung auch objektive Nachrichten sende. Als Vorbild nennen sie die öffentlich- rechtlichen Sender ARD und ZDF in Deutschland. Ab Herbst 2015 könnte der erste russischsprachige TV-Kanal auf Sendung gehen, hofft man in Brüssel.
Die Produktion eines russischsprachigen TV-Vollprogramms und der Aufbau einer «Mythbusters»-Spezialtruppe mit Hunderten von Kommunikationsspezialisten sei zwar sehr teuer, aber die einzige nicht-militärische Möglichkeit, «welche die EU der immer massiver werdenden Desinformationskampagne aus Russland entgegenstellen kann».
Von den EU-«Mythbusters» haben bis heute noch nicht einmal Journalisten etwas gehört. Vielleicht sollten sie wie in der TV-Serie «Mythbusters» vorgehen: Dort überprüfen die Hauptdarsteller Adam Savage und Jamie Hynemann die «urbanen Mythen» mit spektakulären Experimenten auf ihren Wahrheitsgehalt – und deklarieren die meisten Mythen am Ende als «busted» (zerstört).