Am Sonntag starb dieser Schach-Star – und löste damit ein Beben in der Szene aus
Seit einigen Tagen trauert die Schachwelt: Grossmeister Daniel Naroditsky kam am Sonntag im Alter von nur 29 Jahren ums Leben.
Der US-Amerikaner gehörte zu den populärsten Personen im Schach-Universum. Nicht in erster Linie wegen seiner Erfolge – Naroditsky gehörte zu den besten Blitz- und Bullet-Spielern der Welt –, sondern vor allem wegen seiner Tätigkeit als Streamer. Mehr als eine halbe Million Menschen folgten Naroditsky auf Youtube, wo er sich mit seiner eloquenten Art und beliebten Lernvideos einen Namen machte.
Wie der Grossmeister ums Leben kam, ist bislang unklar. Sein Kollege Oleksandr Bortnyk, ebenfalls Schach-Grossmeister, erklärte in einem Video, Naroditsky leblos auf einem Sofa in seiner Wohnung gefunden zu haben. Die Polizei von Charlotte sagte gegenüber der Daily Mail, man warte auf die Resultate des toxikologischen Berichts. Und obwohl viele Fragen offen bleiben, rückt seit Naroditskys Tod vor allem ein Name ins Zentrum der Aufmerksamkeit: Wladimir Kramnik.
Schwere Vorwürfe, keine Beweise
Der 50-jährige Russe gehört zu den bekanntesten Persönlichkeiten im Schach – von 2000 bis 2007 war Kramnik Weltmeister. 2019 beendete er seine aktive Karriere – und in den vergangenen Monaten widmete er sich einer neuen Mission: der Bekämpfung von Betrug im Online-Schach, einem gemäss Kramnik, der mittlerweile in Genf lebt, weitverbreiteten Phänomen.
Im Rahmen dessen begann Kramnik vor einigen Monaten, die Resultate mehrerer Schachspieler zu hinterfragen. Dazu gehörte auch Naroditsky. Kramnik deutete an, der US-Amerikaner würde beim Spielen einen weiteren Bildschirm verwenden, auf welchem ihm ein Schachprogramm die besten Züge zeigen solle. Kramnik wies etwa darauf hin, dass Naroditsky beim Spielen während seiner Streams häufig zur Seite blickte.
Weitere Beweise für seine Anschuldigungen lieferte er derweil nicht. Naroditsky beteuerte stets seine Unschuld. Er veröffentlichte Videos, welche sein Set-up und seine Bildschirme zeigten und nannte Kramnik wegen seiner Vorwürfe «schlimmer als Dreck».
Eine grosse Mehrheit der Schach-Welt stellte sich in der Debatte hinter Naroditsky. Und doch setzten ihm die wenigen Leute, die es nicht taten, merklich zu. Denn Kramnik war während Naroditskys Jugend lange dessen Idol. In den sozialen Medien kursiert derzeit ein Foto, das den lächelnden Naroditsky an der Seite Kramniks in dessen besten Jahren zeigt.
naroditsky and kramnik, nov 2008 pic.twitter.com/yk0z7wEXJo
— winter (@promotedpawns) October 20, 2024
Naroditskys Rückzug aus der Öffentlichkeit
In den Wochen vor seinem Tod zog sich der 29-Jährige immer mehr aus der Öffentlichkeit zurück. In den wenigen Streams, in welchen sich Naroditsky noch zeigte, wirkte er zunehmend angespannt. Im letzten Stream vor seinem Tod ist zu hören, wie sein Kollege Peter Giannatos in seine Wohnung kommt und Naroditsky auffordert, den Stream zu beenden. Dieser hatte zuvor diverse Spiele verloren. Auf die Aufforderung seines Kollegen antwortete er deshalb:
Wenige Sekunden später beendete Naroditsky den Stream dann doch. Zwei Tage später wurde die Nachricht von seinem Tod bekannt.
Die Schach-Prominenz fordert Konsequenzen
Auch wenn bislang offiziell unklar bleibt, ob und wie Kramniks Anschuldigungen mit dem Tod Naroditskys zusammenhängen, sind die Meinungen in der Schach-Welt gemacht. Diverse Top-Spieler haben sich mittlerweile zum Vorfall geäussert – und Kramnik direkt attackiert. Magnus Carlsen, die norwegische Nummer 1 der Welt, sagte in einem Video, es sei «schrecklich» gewesen, wie sich Kramnik gegenüber Naroditsky verhalten habe. Er habe diesem privat versichert, auf dessen Seite zu stehen. «Vielleicht hätte ich das auch öffentlich tun sollen», so der langjährige Weltmeister Carlsen.
Noch deutlicher wurde derweil die Weltnummer 2, Hikaru Nakamura. Der Landsmann von Naroditsky war vorübergehend ebenfalls von Kramnik ins Visier genommen worden und sagte in einem Stream nach Naroditskys Tod:
Auch der indische Grossmeister Nihal Sarin erhob in einem Beitrag im Indian Express schwere Vorwürfe gegen Kramnik. «Er hat wortwörtlich ein Leben auf dem Gewissen», schreibt Sarin. Der Inder war der Letzte, der vor Naroditskys Tod noch mit ihm eine Partie Online-Schach absolvierte. Dabei habe er ihm gesagt, dass er unter «immensem Stress» sei.
Sarin wurde ebenfalls bereits von Kramnik ins Visier genommen. Er räumt zwar ein, dass Betrug im Online-Schach ein grosses Problem sei, kritisiert aber Kramnik für seine Art, dies zu bekämpfen:
In der Schach-Welt werden nun deshalb Stimmen laut, die mehr Schutz für beschuldigte Spieler fordern. Konkret genannt wird etwa der Name des tschechischen Grossmeisters David Navara, den Kramnik ebenfalls ins Visier genommen hat. Navara hatte mitgeteilt, wegen solchen Vorwürfen mit psychischen Problemen und gar Suizidgedanken gekämpft zu haben.
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Um solche Vorwürfe zu verhindern, fordern einige Spielerinnen und Spieler nun Massnahmen von ganz oben. Arjun Erigaisi, die Nummer 4 der Welt, schreibt auf der Plattform X:
Die chinesische Grossmeisterin Qiyu Zhou geht auf X gar noch einen Schritt weiter. So fordert sie den Schachverband FIDE dazu auf, Kramnik den Weltmeistertitel und sämtliche weitere Errungenschaften abzuerkennen. Weiter sagt sie:
FIDE kündigt Untersuchung an
Der Schachverband FIDE kündigte am Mittwoch an, Kramniks Vorwürfe gegen Naroditsky untersuchen zu wollen. «Die Schachgemeinschaft schätzt die Leistungen von Grossmeister Kramnik. Gleichzeitig gibt es eine Verantwortung, die Grundsätze der Fairness zu wahren und als Botschafter für den Sport zu fungieren», heisst es in einem Statement.
Wladimir Kramnik hat sich zu den Vorwürfen nicht direkt geäussert. Seit dem Tod Naroditskys setzte der Russe auf X mehrere kryptische Posts ab, in welchen er etwa von der «dunklen Seite des modernen Schachs» spricht. Gleichzeitig nennt er den Tod des Amerikaners «eine Tragödie». Er stehe mit der Polizei von Naroditskys letztem Wohnort Charlotte in Kontakt und habe gefordert, dessen Tod zu untersuchen. Er hoffe, dass durch seine Hilfe die Wahrheit über die Ursachen des Todes ans Licht kommen würden – «trotz aller Versuche, sie zu verbergen».
