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Tod von Schach-GM Daniel Naroditsky: Heftige Kritik an Wladimir Kramnik

This undated photo released by Charlotte Chess Center shows Daniel Naroditsky playing chess on the board. (Kelly Centrelli/Charlotte Chess Center via AP
Obit Daniel Naroditsky
Daniel Naroditsky starb im Alter von 29 Jahren.Bild: keystone

Am Sonntag starb dieser Schach-Star – und löste damit ein Beben in der Szene aus

Der Tod von Grossmeister Daniel Naroditsky versetzt die Schach-Welt in Trauer – und löst gleichzeitig grosse Wut aus. Im Zentrum steht dabei Ex-Weltmeister Wladimir Kramnik, der Naroditsky mit schweren Vorwürfen konfrontiert hatte.
23.10.2025, 11:2923.10.2025, 15:36

Seit einigen Tagen trauert die Schachwelt: Grossmeister Daniel Naroditsky kam am Sonntag im Alter von nur 29 Jahren ums Leben.

Der US-Amerikaner gehörte zu den populärsten Personen im Schach-Universum. Nicht in erster Linie wegen seiner Erfolge – Naroditsky gehörte zu den besten Blitz- und Bullet-Spielern der Welt –, sondern vor allem wegen seiner Tätigkeit als Streamer. Mehr als eine halbe Million Menschen folgten Naroditsky auf Youtube, wo er sich mit seiner eloquenten Art und beliebten Lernvideos einen Namen machte.

Wie der Grossmeister ums Leben kam, ist bislang unklar. Sein Kollege Oleksandr Bortnyk, ebenfalls Schach-Grossmeister, erklärte in einem Video, Naroditsky leblos auf einem Sofa in seiner Wohnung gefunden zu haben. Die Polizei von Charlotte sagte gegenüber der Daily Mail, man warte auf die Resultate des toxikologischen Berichts. Und obwohl viele Fragen offen bleiben, rückt seit Naroditskys Tod vor allem ein Name ins Zentrum der Aufmerksamkeit: Wladimir Kramnik.

epa06632852 Russian player Vladimir Kramnik contemplates a move during a game of chess with Azerbaijani player Shakhriyar Mamedyarov (unseen), during the 14th round of the FIDE Candidates tournament i ...
Wladimir Kramnik war von 2000 bis 2007 Weltmeister im Schach.Bild: EPA/EPA

Schwere Vorwürfe, keine Beweise

Der 50-jährige Russe gehört zu den bekanntesten Persönlichkeiten im Schach – von 2000 bis 2007 war Kramnik Weltmeister. 2019 beendete er seine aktive Karriere – und in den vergangenen Monaten widmete er sich einer neuen Mission: der Bekämpfung von Betrug im Online-Schach, einem gemäss Kramnik, der mittlerweile in Genf lebt, weitverbreiteten Phänomen.

Im Rahmen dessen begann Kramnik vor einigen Monaten, die Resultate mehrerer Schachspieler zu hinterfragen. Dazu gehörte auch Naroditsky. Kramnik deutete an, der US-Amerikaner würde beim Spielen einen weiteren Bildschirm verwenden, auf welchem ihm ein Schachprogramm die besten Züge zeigen solle. Kramnik wies etwa darauf hin, dass Naroditsky beim Spielen während seiner Streams häufig zur Seite blickte.

Weitere Beweise für seine Anschuldigungen lieferte er derweil nicht. Naroditsky beteuerte stets seine Unschuld. Er veröffentlichte Videos, welche sein Set-up und seine Bildschirme zeigten und nannte Kramnik wegen seiner Vorwürfe «schlimmer als Dreck».

Eine grosse Mehrheit der Schach-Welt stellte sich in der Debatte hinter Naroditsky. Und doch setzten ihm die wenigen Leute, die es nicht taten, merklich zu. Denn Kramnik war während Naroditskys Jugend lange dessen Idol. In den sozialen Medien kursiert derzeit ein Foto, das den lächelnden Naroditsky an der Seite Kramniks in dessen besten Jahren zeigt.

Naroditskys Rückzug aus der Öffentlichkeit

In den Wochen vor seinem Tod zog sich der 29-Jährige immer mehr aus der Öffentlichkeit zurück. In den wenigen Streams, in welchen sich Naroditsky noch zeigte, wirkte er zunehmend angespannt. Im letzten Stream vor seinem Tod ist zu hören, wie sein Kollege Peter Giannatos in seine Wohnung kommt und Naroditsky auffordert, den Stream zu beenden. Dieser hatte zuvor diverse Spiele verloren. Auf die Aufforderung seines Kollegen antwortete er deshalb:

«Das Problem ist, seit der Kramnik-Geschichte nehmen die Leute das Schlimmste an. Etwa: Warum beendet er den Stream? Plötzlich spielt er dann gut, weisst du, was ich meine? (...) Das Problem ist die anhaltende Wirkung davon.»

Wenige Sekunden später beendete Naroditsky den Stream dann doch. Zwei Tage später wurde die Nachricht von seinem Tod bekannt.

Die Schach-Prominenz fordert Konsequenzen

Auch wenn bislang offiziell unklar bleibt, ob und wie Kramniks Anschuldigungen mit dem Tod Naroditskys zusammenhängen, sind die Meinungen in der Schach-Welt gemacht. Diverse Top-Spieler haben sich mittlerweile zum Vorfall geäussert – und Kramnik direkt attackiert. Magnus Carlsen, die norwegische Nummer 1 der Welt, sagte in einem Video, es sei «schrecklich» gewesen, wie sich Kramnik gegenüber Naroditsky verhalten habe. Er habe diesem privat versichert, auf dessen Seite zu stehen. «Vielleicht hätte ich das auch öffentlich tun sollen», so der langjährige Weltmeister Carlsen.

December 26, 2024, New York, New York, USA: MAGNUS CARLSEN, during the FIDE World Rapid Chess Championship. New York USA - ZUMAs280 20241226_zsp_s280_016 Copyright: xSeshadrixSukumarx
Der weltbeste Schachspieler Magnus Carlsen kritisiert Kramnik.Bild: www.imago-images.de

Noch deutlicher wurde derweil die Weltnummer 2, Hikaru Nakamura. Der Landsmann von Naroditsky war vorübergehend ebenfalls von Kramnik ins Visier genommen worden und sagte in einem Stream nach Naroditskys Tod:

«Kramnik soll in der Hölle schmoren.»

Auch der indische Grossmeister Nihal Sarin erhob in einem Beitrag im Indian Express schwere Vorwürfe gegen Kramnik. «Er hat wortwörtlich ein Leben auf dem Gewissen», schreibt Sarin. Der Inder war der Letzte, der vor Naroditskys Tod noch mit ihm eine Partie Online-Schach absolvierte. Dabei habe er ihm gesagt, dass er unter «immensem Stress» sei.

Sarin wurde ebenfalls bereits von Kramnik ins Visier genommen. Er räumt zwar ein, dass Betrug im Online-Schach ein grosses Problem sei, kritisiert aber Kramnik für seine Art, dies zu bekämpfen:

«Kramnik wirft jeden Tag mit Anschuldigungen um sich. Ich weiss nicht, ob er weiss, was für Folgen das für unschuldige Leute hat. Seine Methode ist, eine ganze Stadt abzubrennen, um ein paar Betrüger zu erwischen.»

In der Schach-Welt werden nun deshalb Stimmen laut, die mehr Schutz für beschuldigte Spieler fordern. Konkret genannt wird etwa der Name des tschechischen Grossmeisters David Navara, den Kramnik ebenfalls ins Visier genommen hat. Navara hatte mitgeteilt, wegen solchen Vorwürfen mit psychischen Problemen und gar Suizidgedanken gekämpft zu haben.

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epa12233917 Grandmaster David Navara of the Czech Republic plays the first game in the Rapid Fischer Random Championship during the Biel International Chess Festival in Biel, Switzerland, 12 July 2025 ...
Auch David Navara wurde von Kramnik ins Visier genommen.Bild: keystone

Um solche Vorwürfe zu verhindern, fordern einige Spielerinnen und Spieler nun Massnahmen von ganz oben. Arjun Erigaisi, die Nummer 4 der Welt, schreibt auf der Plattform X:

«Die Ethikkommission des Schachverbands muss eingreifen und verhindern, dass Kramnik die mentale Gesundheit anderer aufs Spiel setzt.»

Die chinesische Grossmeisterin Qiyu Zhou geht auf X gar noch einen Schritt weiter. So fordert sie den Schachverband FIDE dazu auf, Kramnik den Weltmeistertitel und sämtliche weitere Errungenschaften abzuerkennen. Weiter sagt sie:

«Es braucht klare Richtlinien, welche die Sicherheit der Spieler sowohl persönlich als auch digital gewährleisten. Die Ereignisse, die zu dieser Tragödie geführt haben, waren in den letzten 18 Monaten für alle ersichtlich. Sie hätten verhindert werden können. So etwas darf nie wieder passieren.»

FIDE kündigt Untersuchung an

Der Schachverband FIDE kündigte am Mittwoch an, Kramniks Vorwürfe gegen Naroditsky untersuchen zu wollen. «Die Schachgemeinschaft schätzt die Leistungen von Grossmeister Kramnik. Gleichzeitig gibt es eine Verantwortung, die Grundsätze der Fairness zu wahren und als Botschafter für den Sport zu fungieren», heisst es in einem Statement.

Wladimir Kramnik hat sich zu den Vorwürfen nicht direkt geäussert. Seit dem Tod Naroditskys setzte der Russe auf X mehrere kryptische Posts ab, in welchen er etwa von der «dunklen Seite des modernen Schachs» spricht. Gleichzeitig nennt er den Tod des Amerikaners «eine Tragödie». Er stehe mit der Polizei von Naroditskys letztem Wohnort Charlotte in Kontakt und habe gefordert, dessen Tod zu untersuchen. Er hoffe, dass durch seine Hilfe die Wahrheit über die Ursachen des Todes ans Licht kommen würden – «trotz aller Versuche, sie zu verbergen».

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32 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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butlerparker
23.10.2025 13:01registriert März 2022
Was mich dabei mehr als erstaunt ist,dass Kramnik gerade im Frühjahr als Sekundant+Trainer des umstrittenen GM Hans Niemann beim Grenke Open in Karlsruhe(dem grössten Schachturnier der Welt) fungiert hat,dem Carlsen massiv cheating vorwirft+der selbst schon zugegeben hat, bei Partien im Internet gecheatet zu haben, ganz einfach "weil ich das Geld gebraucht habe".

Jemand der anderen Personen unbewiesenes Cheating vorhält, aber selbst einen der bekanntesten Cheater trainiert (vielleicht bracht Hans Niemann genau so einen Trainer) sollte etwas zurückhaltender sein in seinen Vorwürfen.
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unclegreg
23.10.2025 12:49registriert September 2015
Auch deshalb gibt es die Unschuldsvermutung. Egal ob wegen Betrug, Vergewaltigung, Mord oder sonst was. Das vergessen die Leute gerne bei für sie unangenehmen Zeitgenossen.
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