Nach schweren ukrainischen Angriffen auf eine russische Grenzregion hat das Verteidigungsministerium in Moskau Berichte zu anhaltenden Kampfhandlungen bestätigt. «Die Operation zur Vernichtung der Gruppierungen der Streitkräfte der Ukraine wird fortgesetzt», teilte das Ministerium in Moskau mit.
Kremlchef Wladimir Putin warf dem «Kiewer Regime», wie er die Führung der Ukraine nennt, bei einer Regierungssitzung in Moskau eine neuerliche Provokation vor. Es sei mit Raketen auch auf zivile Objekte und Wohnhäuser geschossen worden, sagte Putin. Nach offiziellen Angaben gab es mindestens 3 Tote und 28 Verletzte im Gebiet Kursk. Tausende Menschen sind auf der Flucht.
Demnach gab es Gefechte in den grenznahen Ortschaften Swerdlikowo und Sudscha, die in der russischen Region Kursk liegen.
Noch am Vortag hatte das Verteidigungsministerium behauptet, dass ein Versuch, die Grenze zu durchbrechen, gescheitert sei. Nun hiess es, dass ein tiefes Eindringen auf russischem Staatsgebiet verhindert worden sei.
Aus der Ukraine gab es zunächst keine Reaktion zu den Vorwürfen. Das von Russland seit mehr als zwei Jahren mit einer beispiellosen Invasion überzogene Land hat immer wieder Gegenangriffe mit Raketen und Drohnen gestartet. Die offizielle Begründung aus Kiew war, dass damit auf russischer Seite der militärische Nachschub gestört werden soll.
Aus den von ukrainischer Seite angegriffenen Grenzortschaften im russischen Gebiet Kursk sind Tausende Menschen geflohen. Die Bürger hätten ihre Wohnungen in Privatfahrzeugen verlassen, sagte der geschäftsführende Gouverneur Alexej Smirnow in einer Videobotschaft. Zudem seien 200 Menschen in Transportfahrzeugen und Bussen aus den beschossenen Ortschaften in Sicherheit gebracht worden.
Smirnow sagte, er habe noch in der Nacht mit Putin telefoniert. Der Präsident habe die Situation unter persönliche Kontrolle genommen. Es seien auch Notunterkünfte mit rund 2500 Plätzen eingerichtet worden. Dort seien auch Psychologen im Einsatz.
Putin kündigte an, sich bei einem Treffen mit dem Verteidigungsministerium, mit dem Generalstab der russischen Streitkräfte und dem für den Grenzschutz zuständigen Inlandsgeheimdienst FSB über die Lage informieren zu lassen. Das Ermittlungskomitee in Moskau leitete indes ein Strafverfahren ein wegen eines, wie es offiziell hiess, Terroranschlags gegen russisches Staatsgebiet.
Das Verteidigungsministerium in Moskau bestätigte erst die Berichte zu anhaltenden Kampfhandlungen, als schon russische Militärblogger auf die ernste Lage hingewiesen hatten. «Die Operation zur Vernichtung der Gruppierungen der Streitkräfte der Ukraine wird fortgesetzt», teilte das Ministerium in Moskau mit. Demnach gab es Gefechte in grenznahen Ortschaften auf russischem Gebiet gegen ukrainische Eindringlinge.
Zuvor hatten russische Militärblogger gemeldet, dass ukrainische Kämpfer mindestens zehn Kilometer hinter die Grenze im Gebiet Kursk vorgedrungen seien. Sie sprachen von einem «vollwertigen Angriff» der Ukraine. Bis zu elf Ortschaften seien unter Kontrolle ukrainischer Soldaten. Dafür gab es keine offizielle Bestätigung.
Auf «Telegram» zeigen sich die Blogger erbost, es wird von einem Versagen des Militärs gesprochen. «Die Region Kursk lebte, wie Moskau, ohne darüber nachzudenken, dass der Feind in der Nähe nicht am Schlafen ist», heisst es dort.
Sie werfen der russischen Regierung Untätigkeit vor: «Wir wussten, dass die ukrainischen Streitkräfte einen Angriff auf Kursk planen. Wir wussten, sie bringen sich in Stellung. Es wurde rapportiert, aber die da oben haben nichts unternommen», heisst es in einem weiteren «Telegram»-Beitrag. Die Militärblogger kritisierten auch, dass Putin mit seiner Bewertung, es handele sich um eine Provokation, oder die Einstufung als Terroranschlag, den Ernst der Lage herunterspiele. Sie forderten einen harten und entschlossenen Gegenschlag.
Nach nicht überprüfbaren Berichten russischer Militärblogger bewegen sich die ukrainischen Einheiten auf die nur gut neun Kilometer von der Grenze entfernte Stadt Sudscha im Gebiet Kursk zu, wo Menschen Evakuierungsmassnahmen gefordert hätten. Der Korrespondent des russischen Staatsfernsehens Alexander Sladkow etwa meldete, der Gegner sei zehn Kilometer weit auf russisches Gebiet vorgedrungen. Verschiedene Blogger schätzen die Stärke der Ukrainer auf zwischen 900 und 2.000 Mann.
Ein estnischer Blogger teilt auf «X» ein Video, das die Zerstörung in Sudscha zeigen soll.
Sudzha, Kursk Special Operation Zone, today. Video from Russian channels. pic.twitter.com/Hp6SClq1Bm
— WarTranslated (Dmitri) (@wartranslated) August 7, 2024
Militärbeobachter meinten, die russischen Truppen seien in der Grenzregion nur schwach aufgestellt gewesen, weshalb die ukrainischen Kämpfer es leicht gehabt hätten, dort einzudringen. Im vergangenen Jahr hatte es solche Durchbrüche von ukrainischer Seite vor allem in der Region Belgorod gegeben. Zu den Aktionen bekannten sich Freiwilligenbataillone, die aus Russen bestehen, aber aufseiten der Ukraine kämpfen. In Kiew betonte die Führung, damit nichts zu tun zu haben.
Ziel der Ukraine könnte es aus Sicht von Experten sein, die russischen Truppen von Angriffen in dem Krieg gegen das Nachbarland abzulenken. Militärbeobachter gehen davon aus, dass die Ukraine mit den Attacken versucht, russische Truppen in ihrem Vormarsch zu stoppen. Die russischen Streitkräfte hatten zuletzt ein Gebiet von der Grösse des Bundeslands Bremen nach eigenen Angaben in der Ukraine eingenommen. Die ukrainischen Truppen mussten zurückweichen. Sie sind seit Monaten in der Defensive.
Laut Verteidigungsministerium in Moskau kämpfen nun Soldaten gemeinsam mit Grenzschützern in dem Gebiet gegen die Eindringlinge. Sie hätten mit Unterstützung durch Flugzeuge, Raketenstreitkräfte und Artillerie feindliche Gruppierungen vernichtet. Der Gegner habe mindestens 260 Mann sowie 50 Einheiten Technik verloren, darunter 7 Panzer. Die Angaben waren von unabhängiger Seite nicht überprüfbar.
In der Vergangenheit hatte Russland die Angriffe von ukrainischer Seite immer wieder abgewehrt und die Lage in den betroffenen Regionen unter Kontrolle gebracht. Kremlchef Putin hatte angesichts der Attacken Kiew immer wieder mit schweren Strafaktionen gedroht und diese auch durchgezogen.
(sda/dpa/ome/hah)
Putin der Satiriker