Bereits am Samstag sollen die Wagner-Truppen Bachmut eingenommen, die ukrainischen Verteidiger vertrieben haben. Alleine, ohne jegliche Hilfe der russischen Armee. «Wir haben nicht nur mit den Streitkräften der Ukraine gekämpft, sondern auch mit der russischen Bürokratie, die uns Knüppel zwischen die Beine geworfen hat», sagte Wagner-Söldnerchef Jewgeni Prigoschin in einem Video am Samstag.
Das ist also die Lage in der höchst umkämpften Stadt im Osten der Ukraine, wenn man Jewgeni Prigoschin Glauben schenkt. Doch bekanntlich nimmt es dieser mit der Wahrheit nicht immer allzu genau. So verkündete er bereits Anfang April erstmals die Einnahme Bachmuts und schwenkte eine Fahne auf dem Rathaus der Stadt.
Nicht zum ersten Mal erwiesen sich Aussagen des Söldnerchefs in der Folge als (russisches) Wunschdenken. Die Ukrainer verteidigten weiterhin Teile der Stadt und erwiesen sich als äusserst standhafte und zähe Gegner.
Im Gegensatz zur Prigoschin-Verkündung Anfang April gibt es dieses Mal auch eine Stellungnahme des «offiziellen» Russlands. Und das von höchster Stelle: Wladimir Putin gratulierte den Wagner-Söldnern und Prigoschin am Samstagabend zur Bachmut-Einnahme. «Alle herausragenden Kämpfer werden mit staatlichen Auszeichnungen geehrt», so der russische Machthaber.
Auch das russische Verteidigungsministerium bestätigte den Triumph in der symbolisch äusserst wichtig gewordenen Donbass-Schlacht. Die Privatarmee Wagner habe die Stadt mithilfe der Artillerie- und Luftunterstützung der russischen Streitkräfte komplett erobert, so die Darstellung des Verteidigungsministeriums. Version Nummer 2 in den vergangenen 24 Stunden.
Doch genau so unerbittlich, wie sie die Stadt verteidigen, wehren sich die Ukrainer dagegen, die Niederlage in Bachmut einzugestehen. Der Sprecher der ukrainischen Armeegruppe Ost, Serhij Tscherewatyj, dementierte im Radio in Kiew, dass Bachmut erobert sei.
Und Tscherewatyj sorgte mit einer komplett gegensätzlichen Darstellung der Verhältnisse für Aufsehen: Vielmehr seien nämlich Prigoschins Truppen am Ende und wollten aufgeben: Sie müssten befürchten, eingekesselt zu werden von den ukrainischen Verteidigern, so Tscherewatyj.
Auch die ukrainische Vize-Verteidigungsministerin Hanna Maljar widersprach Prigoschins Worten, bereits am Samstagnachmittag. Die «schweren Kämpfe» in Bachmut dauerten an. Zugleich räumte sie ein: «Die Lage ist kritisch.» Die ukrainischen Streitkräfte verteidigten aber ihre Stellungen und kontrollierten noch einzelne Industrie- und Infrastrukturobjekte. Auf die Siegesverkündung der russischen Regierung reagierte sie zunächst nicht.
Maljar hatte zuvor gesagt, das russische Militär habe Tausende Soldaten zur Verstärkung nach Bachmut verlegt und greife weiter «unter hohen Verlusten an, die unsere Verluste unverhältnismässig übersteigen».
Auch Präsident Wolodymyr Selenskyj, der momentan am G7-Gipfel im japanischen Hiroshima weilt, äusserte sich zu den Vorfällen – und sorgte dabei für Verwirrung. So wurde zunächst überliefert, Selenskyj habe die Eroberung Bachmuts eingestanden. Gemäss Medienberichten soll er auf die Frage, ob Kiew noch die Kontrolle über die Stadt habe, geantwortet haben: «Ich glaube nicht.»
Wie sich später herausstellte, handelte es sich dabei aber um ein Missverständnis. Selenskyj-Sprecher Sergij Nykyforow dementierte gegenüber CNN die Meldung: So soll sich die Antwort des Präsidenten nicht auf die Frage bezogen habe, ob Kiew noch die Kontrolle über Bachmut habe, sondern auf die Frage, ob Russland die Stadt erobert habe. Und einige Stunden später stellte auch Selenskyj unmissverständlich klar: «Bachmut ist heute nicht von Russland besetzt worden.».
Weiter berichtete Selenskyj, dass Bachmut aber fast vollständig zerstört sei. Es gebe keine Gebäude mehr dort, aber «eine Menge toter Russen». Der ukrainische Präsident sprach von einer «Tragödie» und sagte, Bachmut sei «heute nur in unseren Herzen». Weiter dankte er den ukrainischen Soldaten für ihren Einsatz in der umkämpften Stadt.
Jewgeni Prigoschin braucht den Sieg in Bachmut, so viel scheint klar. Entweder als symbolischen Erfolg, welcher ihm und seinen Wagner-Einheiten den Rücken im komplexen russischen Machtgebilde stärken könnte – oder dann eben als Rechtfertigung, um seine Soldaten aus dem Gebiet abzuziehen und einer Einkesselung durch die Ukrainer zuvorzukommen.
Laut einem Bericht der Zeitung «Ukrainsjka Prawda» ist zweitgenanntes Szenario durchaus realistisch. Schenkt man der ukrainischen Darstellung von Serhij Tscherewatyj Glauben, so stehe die Einkesselung der Wagner-Truppen kurz bevor, sollten sie nicht abgezogen werden. Tscherewatyj spottet deshalb über Prigoschin:
Sowohl die russischen Darstellungen als auch jene der Ukrainer konnten bisher nicht unabhängig verifiziert werden. Klar scheint einzig: Die Schlacht um Bachmut befindet sich in der entscheidenden Phase – und sie nähert sich wohl ihrem Ende.
Mit Material der Nachrichtenagenturen SDA und DPA.
Darauf musste einfach eine Reaktion kommen. Also feiert sich Russland wieder mal selbst als heldenhafte Befreier von Bachmut. Putin gratuliert und die Ultra-Nationalisten dürfen sich freuen. Mal schauen, wie lange die Freude anhält.