Mit der hauchdünnen Mehrheit von 217 zu 213 Stimmen votierte das US-Repräsentantenhaus gestern für die neue Gesundheitsvorlage, welche «Obamacare» abschaffen soll. Dagegen stimmten sämtliche Demokraten und 20 Abgeordnete der Republikanischen Partei.
Noch im März scheiterte Trump mit seiner Gesundheitsreform vor dem Parlament. Hier folgen drei Gründe, weshalb die Vorlage dieses Mal durchgewunken wurde.
Etwas mehr als 100 Tage ist Donald Trump im Amt. Erfolge konnte er so gut wie keine verbuchen. Abgesehen von der Ernennung des konservativen Richters Neil Gorsuch für den Obersten Gerichtshof hat der neue US-Präsident bisher nur heisse Luft produziert.
In wildem Aktionismus unterschrieb er zwar ein Dekret nach dem anderen, doch das ist nicht viel mehr als Symbolpolitik. Bei den wichtigsten Punkten scheiterte der 70-Jährige spektakulär. Der Einreisebann wurde von der Justiz ausgebremst, auf Geld für die Mauer vom US-Haushaltsbudget verzichtete er kürzlich.
Doch die bitterste Niederlage musste er im März einstecken, als seine Gesundheitsreform nicht einmal die eigenen Reihen passierte. Der moderate Flügel («Tuesday Group») der Republikaner befürchtete, dass viele der eigenen Wähler die Gesundheitsversorgung verlieren würden. Dem extremen Flügel («Freedom Caucus») ging die Vorlage zu wenig weit.
Kurz: Trumps Start war eine Katastrophe. Darunter litt nicht nur der Präsident selber, sondern auch die Republikanische Partei, die um ihr Image fürchtete.
Die «Grand Old Party» musste also wieder etwas unternehmen, um Handlungsfähigkeit zu demonstrieren, das Momentum auf die eigene Seite zu ziehen. Um nicht wie eine Chaos-Truppe dazustehen, bissen gestern einige Abgeordnete in den sauren Apfel und winkten die neue Gesetzesvorlage durch.
"Thanks to the leadership of Pres. Donald Trump, welcome to the beginning of the end of Obamacare," VP Pence says https://t.co/Okz2bwUl4f pic.twitter.com/WnG4mDvC4f
— CBS News (@CBSNews) 4. Mai 2017
Ob die überarbeitete Vorlage, welche gestern das Repräsentantenhaus passierte, besser ist als jene im März, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt noch gar nicht sagen. Der volle Text des neuen Gesetzesentwurfes wurde nur wenige Stunden vor der Abstimmung veröffentlicht. Die Abgeordneten hatten gar keine Zeit, um die Vorlage durchzulesen.
Rep. Collins admits he wasn't able to read entire health care bill and had to rely on staff https://t.co/5NN39ElZAj https://t.co/UmK3tuCfFC
— CNN (@CNN) 4. Mai 2017
Der Zeitdruck für Trump und sein Team war immens. Denn die Abgeordneten des Repräsentantenhauses werden erst am 16. Mai wieder zusammensitzen. Der Präsident und sein Team wollten das Thema gestern unbedingt vom Tisch haben. Es war eine «Jetzt oder nie»-Situation.
Paul Ryan, der republikanische Vorsitzende des Repräsentantenhauses, sprach gestern zwar von einem «Sieg für den Konservatismus» und davon, dass das «kaputte Gesundheitssystem» nun endlich repariert würde, doch in Tat und Wahrheit sind die Folgen des neuen Gesetzesentwurfes noch völlig unabsehbar.
Das unabhängige Congressional Budget Office (CBO) wurde von den Republikanern nicht befragt. Das CBO schätzte, dass bei den ursprünglichen Plänen der Republikaner im Jahr 2026 rund 24 Millionen US-Amerikaner ohne Gesundheitsversorgung dastehen würden.
Für diverse Mitglieder des moderaten republikanischen Flügels waren diese Aussichten schlicht nicht tragbar. Schliesslich würden auch ihre Wähler die Gesundheitsversorgung verlieren. Deshalb sprachen sie sich im März gegen die Vorlage aus.
Gestern war der Zeitdruck nun offenbar derart gross, dass sich einige Abgeordnete anders entschieden und den Blindflug riskierten. Sie dürften eine unruhige Nacht gehabt haben.
«Dieses Ding wird sich noch ändern», sagte Tom Cole, ein republikanischer Abgeordneter aus Oklahoma, gestern nach der Abstimmung. Der Hintergrund: Das Gesetz ist noch lange nicht in Kraft. Denn die Vorlage muss mit dem US-Senat noch eine zweite Hürde überwinden.
Der Senat äusserte sich zur aktuellen Vorlage bereits sehr kritisch und wird sie so wohl nicht passieren lassen. Die Mehrheitsverhältnisse sind dort knapper als im Repräsentantenhaus.
Abstimmen wird der Senat über die Vorlage jedoch nicht vor Juni. Zuvor analysiert das CBO den Gesetzesentwurf. Dann wird auch klarer sein, wie hoch die Kosten sein könnten und ob mit der neuen Vorlage immer noch 24 Millionen US-Amerikaner bald ohne Versicherung dastehen könnten.
Ein bisschen mahnt das Vorgehen von Trump und seinen republikanischen Gefolgsleuten an jenes eines schludrigen Studenten, der keine Lust mehr auf seine Bachelor-Arbeit hat. Man gibt das lästige Papier lieber mal ans Korrektorat, statt selber nochmals drüberzugehen. So hat man endlich Zeit, sich wieder jenen Dingen zu widmen, die einem Spass machen.
Nur geht es bei dieser Vorlage nicht um ein Papier, das sowieso nur den Professor und dessen Assistenten interessiert, sondern es betrifft die Gesundheit von Millionen von Menschen.
Ärzteverbände und Patientenschützer kritisieren das neue Gesetz teils massiv. Auch die Demokraten sind besorgt: Das Gesetz sei wie Hustensaft für einen Krebspatienten in Stufe vier, meinte Nancy Pelosi, die führende Demokratin im Repräsentantenhaus. Sie nannte die Vorlage einen «tödlichen Witz».