Der «letzte amerikanische Visionär», so nennt ein früherer Kunde Stockton Rush. Der Gründer von Oceangate habe eine magnetische Persönlichkeit, sagt Mike Reiss, der einmal mit Rush in einem von dessen Booten in die Tiefe getaucht ist. Eine gewisse Ausstrahlung braucht wohl, wer Menschen 250'000 US-Dollar abnimmt, um sie in einer engen Röhre auf den Grund des Atlantiks zu bringen. Und womöglich auch eine gewisse Skrupellosigkeit.
Die Sicherheit seiner Expeditionsgäste jedenfalls hatte für Rush wohl nicht die höchste Priorität, wie jetzt bekannt wird. So feuerte er 2018 seinen wichtigsten Ingenieur, den britischen Marineexperten David Lochridge. Dieser hatte in einem internen Bericht bemängelt, dass Oceangate die «Titan» nicht von unabhängigen Experten überprüfen und zertifizieren lassen wolle, berichtet die «New York Times» unter Berufung auf Lochridges Bericht. Die «Titan» ist das Tauchboot, das jetzt im Atlantik verschollen ist – mit Stockton Rush und vier seiner Gäste an Bord.
Lochridge klagte gegen seine Entlassung und warf dem Unternehmen vor, «extreme Risiken für Fahrgäste» in Kauf zu nehmen. Der Ingenieur verlangte Härtetests bis hin zur Zerstörung eines Prototypen, um das experimentelle Design der «Titan» auf die Grenzen seiner Belastbarkeit zu überprüfen.
Die Hülle des U-Boots besteht grösstenteils auf Karbonfasern und nicht, wie bei klassischen Tauchbooten für solche Tiefen, aus Stahl oder Titan. Das Unternehmen behauptete dagegen, ein einfacher akustischer Test würde ausreichen, um die Stabilität der Hülle zu prüfen. Lochridge zufolge liessen sich mit diesem Test aber keine strukturellen Fehler feststellen.
Den Gerichtsunterlagen zufolge bemängelte Lochridge auch, dass das Sichtfenster der «Titan» vom Hersteller nur für eine Tauchtiefe bis 1'300 Meter zugelassen war. Oceangate habe sich geweigert, bei dem Hersteller ein Sichtfenster bauen zu lassen, das bis zu 4'000 Meter Tiefe zugelassen wäre. In diese Tiefe sollte das Boot schliesslich vordringen. Dem Bericht zufolge einigten sich Lochridge und Oceangate schliesslich aussergerichtlich. Weder die Firma noch Lochridge wollten den Bericht der «New York Times» bislang kommentieren.
Eine hohe Risikobereitschaft lässt sich früheren Äusserungen Rushs entnehmen: «Irgendwann ist Sicherheit reine Zeitverschwendung», sagte Rush voriges Jahr dem Sender CBS.
Die Fahrt zum Wrack der «Titanic» erklärte Rush für sicher, solange sich das Tauchboot von Fischernetzen und Kliffs fernhalte: «Am Ende geht es um das richtige Steuern des U-Boots. Man muss sich von den Gefahren fern halten.»
In der Rolle des Kapitäns gefällt sich der 61-Jährige offenbar. Als Kind wollte er nach eigenen Angaben Astronaut werden und machte 1984 sogar seinen Abschluss als Raumfahrtingenieur. Dann sei ihm eines klar geworden, so Rush in dem CBS-Interview: «Es ging gar nicht darum ins All zu fliegen, sondern darum, neue Lebensformen zu entdecken.» Sein Vorbild: der risikofreudige Held der «Star Trek»-Serie aus den 60er-Jahren.
Verwendete Quellen:
(t-online, mk)
Beim Bau der Titanic empfahl Schiffbauer Alexander Carlisle 64 Rettungsboote. Er wurde ignoriert. Carlisle verliess die Werft. Chefschiffbauer Thomas Andrews wollte 48 Rettungsboote haben. Er wurde überstimmt, weil sie auf dem Promenadendeck zu viel Platz weggenommen hätten. Und aus ästhetischen Gründen. 20 Boote seien genug. Auch sein Vorschlag, einen doppelten Rumpf zu bauen, wurde abgelehnt. Andrews ist mit der Titanic untergegangen.
Da gibt es doch einige Parallelen zum Schicksal des Tauchboots.