«Wir bauen eine Mauer!», liess das Weisse Haus 2017 verlauten. «Wir werden daran arbeiten, eine Strategie zu implementieren, welche die Ursache der Migration miteinbezieht», heisst es aus dem Oval Office 2021. Der Kontrast zwischen der populistischen Sofortmassnahme von Donald Trump und Joe Bidens vorsichtigem Herantasten an das heisse Thema könnte kaum grösser sein.
Fundamental verschieden ist auch die Wirkung, welche die Botschaften auf das Migrationsaufkommen an der 3145 Kilometer langen Grenze zwischen den USA und Mexiko hat. Während die Zahlen unter Trump – bis auf einen Ausreisser im April 2019 – sanken, schiessen sie seit der Wahl von Joe Biden in nie gesehene Höhen. Selbst Bidens Sicherheitsminister liess vor Kurzem verlauten, dass man mehr illegale Grenzübertritte verzeichne als je zuvor in den vergangenen 20 Jahren. Alleine im Februar griffen die Grenzschützer 11'000 alleinreisende Kinder und 16'000 Familien auf.
Die angespannte Lage an der Südgrenze spitzt sich für Biden und sein Team zum politischen Problem zu. Nach dem Grosserfolg mit dem 1.9-Billionen-Dollar-Coronahilfspaket und der gut angelaufenen Impfkampagne (die USA liegen im weltweiten Vergleich hinter Israel, den Arabischen Emiraten und Chile derzeit auf Rang vier) folgt für die noch junge Regentschaft des ältesten Präsidenten der US-Geschichte jetzt die kalte Dusche.
Seine politischen Gegner werfen Biden vor, seine zögerliche Haltung wirke wie ein Magnet für die «Migrantenkarawanen». Sein Befehl, den Bau der Grenzmauer zu stoppen und Trumps «Bleibt in Mexiko»-Strategie zu kippen, die Flüchtlinge dazu zwang, in Mexiko auf ihren Asylbescheid zu warten, habe die «humanitäre Krise» an der Grenze erst verursacht.
Untermauert wird die Kritik von Bildern aus überfüllten Auffanglagern, in denen Kinder hinter Plastikplanen am Boden liegen und ihrem Schicksal harren. Biden hat Journalisten den Zugang zu den Auffanglagern bislang verwehrt. Nur vier von zehn Amerikanern sind laut einer Umfrage noch einverstanden mit seiner Migrationspolitik.
Kurzum: Es ist Krisenstimmung in Amerika. Und statt selber an die Grenze zu reisen und in der nach Inszenierung geifernden US-Gesellschaft ein Zeichen von Stärke oder von Mitgefühl zu setzen, zieht Biden jetzt den Kopf aus der Migrationsschlinge. Der 78-Jährige hat diese Woche kurzerhand seine Vizepräsidentin Kamala Harris zur obersten Verantwortlichen für die «Situation an der Grenze» ernannt.
Harris findet sich also bereits vor ihrem Einzug in die offizielle Residenz des US-Vizes (die wird seit Mike Pence’ Auszug im Januar renoviert) inmitten eines politischen Sturms wieder. Die einstige Staatsanwältin von Kalifornien sei für die Aufgabe bestens gerüstet, sagen ihre Anhänger. Die Vertreterin des linken Flügels der Demokraten habe sich mit ihrer Aussage, illegale Migranten seien keine Kriminellen, bereits 2019 alle Glaubwürdigkeit genommen, monieren ihre Kritiker. Harris selbst sagt kurz und knapp, Amerika befinde sich «in einer herausfordernden Situation».
Herausfordernd ist die Situation insbesondere auch für die 56-Jährige selbst. In der Vergangenheit hat sie sich kritisch über die rekordhohen Ausschaffungszahlen der Regierung von Barack Obama geäussert, der in acht Jahren rund drei Millionen illegale Migranten deportieren liess. Harris will tunlichst vermeiden, als Migrationshardlinerin dazustehen, um den stark wachsenden Anteil lateinamerikanischer Wählerinnen und Wähler nicht zu vergraulen. Deshalb sagte sie diese Woche schlicht:
Statt auf deutliche Worte setzt Harris zuerst auf die Wiederaufnahme der Zahlungen an El Salvador, Honduras und Guatemala. Bereits Obama versuchte, die Fluchtursachen in den Herkunftsländern vieler Migranten (Korruption, Gewalt, Drogenkriege) mit amerikanischen Milliarden zu bekämpfen – und blieb damit einigermassen erfolglos. Trump stoppte die Hilfsgelder an die Länder zwischenzeitlich und unterzeichnete Rückführungsabkommen mit mehreren lateinamerikanischen Staaten. Harris’ Grenzpolitik weicht deutlich von Trumps Hardliner-Kurs ab und greift auf Obamas Ansatz zurück.
Schnelle Erfolge wird die 56-jährige Vizepräsidentin mit der «Wir bekämpfen die Fluchtursachen»-Methode kaum feiern können. Vor allem jetzt nicht, wo der üblicherweise von stark steigenden Migrationszahlen geprägte Frühling anbricht.
Schnelle Erfolge braucht die Kalifornierin allerdings auch gar nicht unbedingt. Harris’ Chef hat bei seiner Solo-Pressekonferenz am Donnerstag nämlich angekündigt, dass er 2024 als dann 82-Jähriger noch einmal zur Wahl antreten wird – mit ihr als Vizekandidatin. Kamala Harris wird also noch eine ganze Weile warten müssen, bevor sie selbst als mögliche US-Präsidentin die heissen politischen Eisen an ihre Nummer Zwei abschieben kann. (aargauerzeitung.ch)
Jetzt kann sie zeigen ob sie gut ist, oder auch nicht. Mal schauen was dabei herauskommt.