US-Präsident Donald Trump dürfte den Zeitpunkt des Auftritts vor seinen Unterstützern am Mittwoch bewusst gewählt haben. Kurz vor 12 Uhr mittags (Ortszeit) tritt der Republikaner auf die Bühne unweit des Weissen Hauses.
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Gut eine Stunde später soll im nahen Kapitol der Kongress zusammenkommen, um Trumps Wahlniederlage gegen den Demokraten Joe Biden bei der Präsidentenwahl zu bestätigen. Es ist die letzte formelle Hürde vor der Vereidigung Bidens in zwei Wochen. Das weiss auch der abgewählte Amtsinhaber – der sich mit zunehmender Verzweiflung gegen seine Niederlage stemmt.
Looking back at how the day unfolded, here's the end of Trump's speech this morning:
— Mike Baker (@ByMikeBaker) January 7, 2021
"We're going to the Capitol" to give Republicans the "boldness that they need to take back our country."
"Let's walk down Pennsylvania Avenue."pic.twitter.com/a81faEAfe3
Trump feuert seine Anhänger dazu an, vor das Kapitol zu ziehen. Dort werden die Abgeordneten und Senatoren bei einer gemeinsamen Sitzung die Ergebnisse aus den Bundesstaaten zertifizieren, die eindeutig Biden als Sieger sehen. «Wir werden dort hingehen, und ich werde bei Euch sein», ruft Trump, auch wenn er letzteres offenbar symbolisch meint, weil er anschliessend ins Weisse Haus zurückkehrt. «Wir werden nicht zulassen, dass sie Eure Stimmen zum Schweigen bringen», ruft Trump. «Wir werden niemals aufgeben.»
Der Trump-Mob hat sich vor der Westfront des US-Kapitols versammelt. Sie besteigen die Treppen, sind mit MAGA-Kappen und Konföderierten-Flaggen ausgerüstet und scheinen sich nicht vertreiben zu lassen.
Danach eskaliert der von Trump seit Wochen angeheizte Konflikt um das Wahlergebnis vom 3. November vollends. Erst kommt es zu Zusammenstössen mit der Kapitol-Polizei. Dann überwinden Demonstranten Barrikaden und dringen in das schwer gesicherte Gebäude ein.
As protestors began storming the Capitol pic.twitter.com/YFH6Yu1jlG
— Sarah Fortinsky (@sfortinsky) January 6, 2021
Zu dem Zeitpunkt haben sich Senatoren und Abgeordnete aus der gemeinsamen Sitzung in ihre jeweiligen Kammern zurückgezogen. Der Grund: Trumps loyalste Anhänger unter den Volksvertretern haben wegen der unbelegten Betrugsvorwürfe Trumps Einspruch gegen das Ergebnis im Bundesstaat Arizona vorgelegt. Nun muss darüber getrennt debattiert und abgestimmt werden. Mehrere solcher Einsprüche sollten im Laufe des Tages noch folgen.
Doch dann werden die Sitzungen wegen der eskalierenden Gewalt unterbrochen, Abgeordnete und Senatoren müssen in Sicherheit gebracht werden. Der Mob strömt ins Kapitol.
Trump supporters break into the U.S. Capitol Building after storming the police line here in Washington #DC #Trump #DCRally #BreakingNews pic.twitter.com/Q8jdQjqNla
— Brendan Gutenschwager (@BGOnTheScene) January 6, 2021
Die Trump-Anhänger machen sich auf die Suche nach den Politikern, stossen aber auf Widerstand.
U.S. Capitol Police with guns drawn stand near a barricaded door as protesters try to break into the House Chamber
— POLITICO (@politico) January 6, 2021
📷 AP/Andrew Harnik pic.twitter.com/NtWGCxCb4A
Ein Reporter der «Huffington Post» postet ein Foto aus dem Senat und schreibt: «Sie sind im Saal.» Ein Trump-Anhänger sitzt auf dem Stuhl und ruft: «Trump hat die Wahl gewonnen!»
They’re in the chamber. One is up on the dais yelling “Trump won that election!” This is insane pic.twitter.com/p6CXhBDSFT
— Igor Bobic (@igorbobic) January 6, 2021
Schüsse sind innerhalb des Kapitols zu hören, später wird berichtet, dass eine Frau angeschossen und ins Spital gebracht wurde. Videos davon zirkulieren schnell im Internet, auf US-TV-Sendern ist eine blutüberströmte Frau zu sehen. Wir verzichten darauf, die Bilder zu zeigen.
Am späteren Abend dann die tragische Nachricht: Die Frau ist an ihren Verletzungen erlegen. Anscheinend wurden die tödlichen Schüsse von Polizisten abgefeuert.
Trump tweetet: «Ich bitte alle, die im US-Kapitol sind, friedlich zu bleiben. Keine Gewalt! Denk daran, WIR sind die Partei des Gesetzes und Ordnung. Respektiert das Gesetz und unsere wunderbaren Männer und Frauen in Blau. Danke!»
I am asking for everyone at the U.S. Capitol to remain peaceful. No violence! Remember, WE are the Party of Law & Order – respect the Law and our great men and women in Blue. Thank you!
— Donald J. Trump (@realDonaldTrump) January 6, 2021
Trumps Pressesprecherin, Kayleigh McEnany, gibt bekannt, dass die Nationalgarde auf dem Weg sei. 1100 Soldaten sollen die lokalen Polizisten unterstützen. Gemäss Aussagen von Verteidigungsminister Chris Miller wurde der Einsatz mit Vizepräsident Mike Pence, Speakerin Nancy Pelosi und anderen koordiniert. Einen Kontakt mit Präsident Trump erwähnt er nicht.
Ein Korrespondent vor Ort berichtet auf Twitter, dass Kongressabgeordnete aus dem Kapitol evakuiert werden.
Congressional leaders are being evacuated from the Capitol complex , @evanperez reports
— Phil Mattingly (@Phil_Mattingly) January 6, 2021
Trump zeigt sich zum ersten Mal nach seiner Rede öffentlich. In einer Videobotschaft lässt er Verständnis für den gewaltsamen Sturm seiner Anhänger auf das Kapitol erkennen. Mit Blick auf seine unbelegten Behauptungen, wonach es in den USA massiven Wahlbetrug gegeben haben soll, schrieb er auf Twitter: «Das sind Dinge und Ereignisse, die passieren.» Trump nimmt nicht direkt Bezug auf den Sturm des Kapitols, er appellierte aber erneut an Demonstranten, «mit Liebe und in Frieden nach Hause zu gehen».
Twitter und Facebook blockieren die Interaktion mit dem Post, später löschen sie ihn.
Die Metropolitan Police beginnt mit der Räumung des Platzes vor dem Kapitol. Leute werden aus dem Gebäude abgeführt, einige eher begleitet.
One of the pro-Trump rioters on the Capitol steps gets a hand down the stairs from a D.C. police officer. pic.twitter.com/zmEJbHAZdE
— The Recount (@therecount) January 6, 2021
Die Ausgangssperre in Washington D.C. tritt in Kraft.
Twitter blockiert Trumps Account für mindestens 12 Stunden – eine permanente Löschung des Profils ist bei einer erneuten Zuwiderhandlung gegen die Richtlinien möglich.
Erst am frühen Abend gelingt es der Polizei, die Trump-Anhänger aus dem Kapitol zu vertreiben. Nach stundenlanger Unterbrechung kommen die Senatoren und Abgeordneten wieder zusammen – sichtlich erschüttert, aber auch entschlossen, sich nicht unterkriegen zu lassen. «Sie haben versucht, unsere Demokratie zu stören. Sie sind gescheitert», sagt Mehrheitsführer McConnell im Senat.
Deutliche Worte finden einige der Senatoren auch für Trumps Rolle in der Angelegenheit. Der Demokrat Dick Durbin sagt: «Dieser Mob wurde von einem Präsidenten inspiriert, der eine Niederlage nicht akzeptieren kann.»
Und sein republikanischer Kollege Mitt Romney, ein parteiinterner Kritiker des Präsidenten, meint: «Was hier heute passiert ist, war ein Aufstand, der vom Präsidenten der Vereinigten Staaten angezettelt wurde.» Romney, einst selbst Präsidentschaftskandidat seiner Partei, spricht vom «verletzten Stolz eines Egoisten» und fügt hinzu: «Die Wahrheit ist, dass der gewählte Präsident Biden die Wahl gewonnen hat. Präsident Trump hat verloren.» (jaw/sda/dpa)