Bastian Brauns berichtet aus Anchorage
Normalerweise kommen zu dieser Jahreszeit die Menschen zum Lachsfischen nach Alaska. Die Sonne will im August noch immer kaum untergehen. Erst spät wird es dunkel und sehr früh schon wieder hell. Und so sitzen auch jetzt im Flugzeug nach Anchorage zahlreiche Männer mit Trucker-Kappen auf dem Kopf. Ihre Angelausrüstung sicher verstaut im Gepäckraum.
«Ob Trump und Putin schon da sind?», fragt ein Mann in Reihe 44 beim Landeanflug seinen Sitznachbarn, während er aus dem Fenster blickt auf die Wolken, Seen und Flüsse zwischen den leicht mit Schnee bedeckten Bergen. «Halte dich besser aus der Politik raus und konzentriere dich aufs Fischen», brummt der zurück und schiebt hinterher: «Ich meine das ernst. Das ist nie gut.»
Alaska wirkt mit seinen endlosen Weiten zunächst wie ein Ort fernab der grossen Weltpolitik. Dabei ist sie hier an diesem äussersten, nördlichsten Zipfel Amerikas, entkoppelt vom restlichen Staatsgebiet, gelegen zwischen Kanada und dem östlichsten Ende Russland, in Wahrheit allgegenwärtig.
Bereits im Kalten Krieg demonstrierten die USA von hier aus ihre Macht. Alaska ist bis heute von strategischer Bedeutung. Der Bundesstaat im hohen Norden ist ein zentraler Standort für die Raketenabwehr, Frühwarnsysteme und Trainingsübungen in der potenziell umkämpften Arktisregion.
An diesem 15. August ist das Schicksal der militärischen Weltlage hier aber noch spürbarer. Erstmals seit Wladimir Putins Überfall auf die Ukraine im Jahr 2022 erklärte sich mit Donald Trump ein amerikanischer Präsident bereit, den Aggressor zu treffen. Denn kaum ein Ziel ist ihm so wichtig, wie diesen Krieg endlich zu beenden.
Kaum ein Versprechen hatte Trump im Wahlkampf so oft wiederholt. Weil er sich so gut mit Putin verstehe, werde er dafür nur 24 Stunden benötigen. Dann wurden daraus 100 Tage. Mittlerweile sind es bereits mehr als 200 Tage. Jetzt dieses historische Treffen auf amerikanischem Boden, der einst zum russischen Zarenreich gehörte. In fast jedem Ort erinnern bis heute russisch-orthodoxe Kirchen an diese Vergangenheit.
Direkt am Ufer des Turnagain Arm, ausserhalb von Anchorage wurde sogar erst vor Kurzem eine neue errichtet. Ganz in der Nähe vom Beluga Point, wo sonst Touristen Wale beobachten können, steht jetzt die Kirche St. Tikhon. Ihre kleine vergoldete Kuppel mit dem Kreuz leuchtet in der lang anhaltenden Abendsonne noch stärker als sonst.
In ihrem Innenraum steht Nicholas Craigle und betet für den Frieden. Der junge Priester schwenkt ein goldenes Gefäss an einer Kette, aus dem ätherischer Rauch dampft und den Raum mit einem schweren und trotzdem erfrischenden Duft erfüllt. Er hat alle Kerzen entfacht. Immer wieder kniet er vor dem Altar in seiner ansonsten gänzlich leeren Kirche. Sein liturgischer Gesang hallt wider von der hölzernen Decke und den Wänden mit den orthodoxen Ikonen.
«Unser Erzbischof Alexei hat uns aufgefordert, dass wir in den drei Tagen vor dem Treffen für einen dauerhaften Frieden im Ukraine-Konflikt beten sollen», sagt Cragle. Selbst wenn bei dem Gipfel zwischen Trump und Putin kein sofortiger Frieden kommen sollte, hoffe er, dass er zumindest ein Anfang ist. Das von hier aus weit entfernt wirkende Sterben auf der anderen Seite der Welt betrifft seine eigene Gemeinde, zu der Menschen mit russischem wie ukrainischem Hintergrund gehören.
«Es ist schmerzhaft, weil jeder von ihnen Familienangehörige hat. Viele haben Verwandte auf beiden Seiten des Konflikts verloren. Manche haben ihr Zuhause verloren», sagt Cragle. Man spüre darum die dauernde Unruhe und Angst, die dieser Krieg mit sich bringe. «Jeder hier kennt Geschichten von Verwandten oder Freunden, die gerade sehr leiden», so der Priester. Als am Morgen die Mitarbeiter eines russischen Fernsehsenders vorbeikamen, hatten sie darum gefragt, ob es Streit in seiner Kirche gebe. «Gottes Gnade ist es zu verdanken, dass wir eine gute Gemeinde haben», sagte er dann.
Noch bis in die Siebzigerjahre hinein gehörten die russisch-orthodoxen Kirchen Alaskas zur russischen Kirche, gesteuert aus Moskau. Dann aber gründete sich eine eigene amerikanische Sektion der orthodoxen Kirchen, zu der nun auch die Gemeinde von Nicholas Cragle gehört. Auch er selbst hat erfahren, wie der Krieg sein Leben beeinflusst.
Zwar ist er gebürtiger Amerikaner, zum Studium und Priesterseminar aber ging er für mehrere Jahre in die Nähe von Moskau. Dort lernte er seine heutige Frau kennen. Nachdem sie geheiratet hatten, stellte ihr die amerikanische Botschaft in Russland kein Visum aus. «Wir mussten dafür zuerst in ein anderes Land gehen. Es war ein sehr langer Prozess, bis wir endlich nach Amerika ziehen konnten», sagt Cragle.
Über Politik konkret sprechen möchte er trotzdem ungern. «Wie unser Bischof es auch sagt, spielt es am Ende keine Rolle, ob man für oder gegen Russland, die Ukraine oder Amerika ist. Wir beten verstärkt für Frieden – dafür, dass das Leid ein Ende hat», sagt der junge Priester von Anchorage. Was er sich vom Putin-Trump-Gipfel erhoffe? «So Gott will, könnte etwas Unglaubliches passieren – vielleicht sogar das Ende des Konflikts. Wir leben in einer Zeit, in der sich die Dinge sehr schnell ändern können.»
Die bange Frage für die Europäer und Ukrainer bleibt derweil, in welche Richtung sich diese Dinge ändern könnten. Viele fürchten, dass Putin die Ungeduld Trumps für sich nutzen kann und den amerikanischen Präsidenten wie schon bei dem denkwürdigen Gipfel von Helsinki von seiner Sicht der Dinge überzeugen kann. Damals 2018 fiel Trump seinen eigenen Geheimdiensten in den Rücken und bekundete öffentlich, dass er lieber Putin glaube, weil der ihm versichert habe, sich nicht in die amerikanischen Wahlen eingemischt zu haben.
«Man darf nicht vergessen, dass Putin Jurist ist und auch so denkt», sagt die Princeton-Professorin für internationale Beziehungen Kim Lane Scheppele. Das sei selbst in politischen Kreisen kaum jemandem bewusst, und das sei auch nie Teil der Berichterstattung. Scheppele hat über Jahrzehnte hinweg in Russland gelebt und gearbeitet und ist sich sicher: «Putin wird zum Gipfel mit Vorschlägen kommen, die völkerrechtliche Resonanzen hervorrufen, die Trumps Team gar nicht erkennen wird.»
Was genau das sein wird, sei noch unklar. Aber es wäre denkbar, dass Putin sich dabei an die Minsker Abkommen, welche die erste Runde des russisch-ukrainischen Krieges vor einem Jahrzehnt beenden sollten, anlehnen wird. «Die sind in Putins Gedanken immer noch aktuell. Ich vermute, dass sein Team diese bestehenden Abkommen durch neue Vorschläge abändern wird.» Das Problem: Scheppele rechnet damit, dass die Amerikaner auf dem Gipfel davon ausgehen, dass der Krieg 2022 erst begonnen habe.
Die Professorin aus Princeton versucht, den Gipfel aus Putins Sicht nachzuvollziehen. «Der russische Präsident sieht den Ukraine-Konflikt eher als Chance zur Erneuerung der Sicherheitsstruktur Europas, denn als Eroberung ehemaligen Territoriums des Russischen Reiches», sagt sie. Darum gehe es aus russischer Sicht nicht um Sicherheitsgarantien für die Ukraine, sondern um die eigenen. Weil die Ukraine verwundbarer sei als Russland, dürfe man das nicht gleichsetzen, so Scheppele. «Aber Russland fühlt sich verwundbarer, als es ist, und das erklärt vieles von Putins Vorgehen.»
Aus russischer Sicht sei die Frage eines Gebietstausches ebenso komplex wie auf ukrainischer Seite. In vielen Medienberichten werde zwar erklärt, dass die ukrainische Verfassung eine Abtretung dieser Gebiete nicht zulässt. «Es stimmt aber auch, dass diese Gebiete nun in die russische Verfassung aufgenommen wurden und ihre Aufgabe auch in Russland eine Verfassungsänderung erfordern würde», sagt Scheppele. Sie behauptet nicht, dass Russlands jüngste Verfassungsänderungen, die Ansprüche auf diese Gebiete erheben, legitim sind. «Aber sie sind real», so die Professorin.
Die Lage ist extrem kompliziert und die Sorge auf europäischer Seite ist gross, dass den Verhandlern aus dem Weissen Haus, insbesondere Trumps Sonderbeauftragten Steve Witkoff, das nicht ausreichend bewusst ist. Gibt der US-Präsident den Wünschen Putins, die auf einem eklatanten Bruch des Völkerrechts basieren, zu sehr nach, stünde buchstäblich über Nacht die Sicherheit und Souveränität kleinerer Staaten überall auf der Welt plötzlich zur Diskussion.
Geologisch betrachtet ist die Gegend um Alaska extrem unruhig. Am 16. Juli 2025 erschütterte ein massives Erdbeben der Stärke 7,3 die Südküste und löste Tsunami-Warnungen für die ganze Region aus. Ende Juli folgte dann ein Beben der Stärke 8,8 vor der Küste der russischen Halbinsel Kamtschatka. Auch hier blieb es weitgehend bei Tsunami-Warnungen.
Geopolitisch betrachtet, könnte der Gipfel zwischen Putin und Trump in Alaska ebenfalls ein heftiges Beben auslösen. Eines, dessen Auswirkungen bis auf die andere Seite der Welt und noch in Jahrzehnten zu spüren wären. Experten sehen in Anchorage den möglichen Beginn einer Ära, in der Grossmächte die Welt, wie einst bei der Konferenz von Jalta nach dem Zweiten Weltkrieg, unter sich aufteilen könnten.
In Anchorage zwischen den hohen Bergen und dem Meer ist von dieser Sorge auf den Strassen nicht allzu viel zu sehen. Zwar haben verschiedene Gruppen zum Protest gegen den Kriegsverbrecher Putin und seinen Gastgeber Donald Trump aufgerufen. Weil das Treffen auf der weiträumig abgesperrten Luftwaffenbasis Elmendorf stattfindet, kann es kaum zu einem Kontakt kommen. Eine kleinere, aber lautstarke pro-ukrainische Demonstration in der Innenstadt verläuft friedlich.
Der Zorn zwischen pro-russisch eingestellten Menschen und der anderen Seite entlädt vor allem im Internet. Es gibt Facebook-Gruppen, in denen zynische Kommentare fallen wie: «Wenn ihr weiter sterben wollt, kämpft weiter. Ihr habt keine Chance gegen Putin.» Eine Gruppe von amerikanischen Ureinwohnern in Alaska will sich gegen Pläne wehren, wonach Donald Trump angeblich die Rechte zum Abbau von Bodenschätzen an Wladimir Putin vergeben will.
Während die beiden Präsidenten auf der Luftwaffenbasis beim Mittagessen die Geschicke der Welt in andere Bahnen lenken könnten, planen Demonstranten in einem Park inmitten der Stadt, die grösste ukrainische Flagge der Welt aufzuspannen. Wenn Putin und Trump schliesslich mit ihren Präsidentenmaschinen wieder in Richtung Moskau und Washington abheben, sollen sie das Riesenbanner in Blau und Gelb von ihren Fenstern aus am Boden sehen können.
Der eine sagt: Njet
Der andere antwortet: Great deal.