Im Fall des wegen Mordes verurteilten Amerikaners Adnan Syed, der durch den Podcast «Serial» weltweit bekannt wurde, hat es eine beachtliche Wendung gegeben. Ein Gericht im US-Bundesstaat Maryland hob das Urteil gegen den 41-Jährigen am Montag auf, wie US-Medien übereinstimmend berichteten.
In der vergangenen Woche hatte die Staatsanwaltschaft ein neues Verfahren für Syed beantragt, der als Teenager wegen Mordes an seiner Ex-Freundin zu lebenslanger Haft verurteilt worden war. Das Gericht teilte laut US-Medien nun mit, der frühere Schuldspruch sei «im Interesse von Fairness und Gerechtigkeit» aufgehoben worden.
Die Chronologie eines harten Kampfes für Gerechtigkeit:
Die 18-jährige Hae Min Lee verschwindet, nachdem sie die Woodlawn Highschool in Baltimore verlassen hat. Ihre Leiche wird einen Monat später vergraben im Baltimore Leakin Park gefunden. Todesursache: Strangulation.
Polizeiermittlungen führen zu Adnan Syed, Ex-Freund und Mitschüler von Lee. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass er sie getötet hat, nachdem sie im Dezember 1998 mit einem anderen Mann ausgegangen war. Syed plädiert auf unschuldig.
BALTIMORE (AP) — Judge orders release of Adnan Syed after overturning 2000 murder conviction chronicled by popular “Serial” podcast. pic.twitter.com/2OWMEYLVom
— philip lewis (@Phil_Lewis_) September 19, 2022
Besonders belastend sind Aussagen eines Freundes von Syed. So behauptet Jay Wilds, er habe Syed beim Vergraben der Leiche geholfen. Zudem legen die Staatsanwälte Daten von Mobilfunkmasten vor, die belegen, dass sich Syed in der Nähe des Parks befand, wo die Leiche gefunden wurde.
Die Geschworenen befinden Syed für schuldig. Der damals 19-Jährige wird wegen Mordes, Raubes, Entführung und Freiheitsberaubung zu lebenslanger Haft verurteilt.
14 Jahre später gelangt der Fall durch den Podcast «Serial» wieder an die Öffentlichkeit. Während insgesamt 12 Episoden weckt der Podcast Zweifel rund um das Verfahren.
So soll es beispielsweise eine Alibizeugin für Syed gegeben haben: Asia McClain sei mit Syed in einer Bibliothek gewesen, als Lee getötet worden sei. Genau das wollte sie vor Gericht aussagen, erhielt aber nie Gelegenheit dazu. Syeds Anwältin Maria Cristina Gutierrez hatte sie nicht kontaktiert.
Gutierrez wurde bereits 2001 die Zulassung entzogen, nachdem andere Klienten sich beschwert hatten.
Der Podcast warf zudem Fragen an der Zuverlässigkeit der Daten des Mobilfunkmastes auf. Und: Die 1999 gesammelten Beweise wurden nie auf die DNA von Syed untersucht.
Ein Gericht in Maryland erklärte sich im Februar 2015 bereit, die Berufung von Syed anzuhören. Im darauffolgenden November wird ihm eine Anhörung gewährt, in der neue Beweise vorgelegt werden können.
Das Verteidigungsteam argumentiert, dass Syeds ursprüngliche Verteidigung grob fahrlässig gewesen sei. Sie legen die Aussage der Alibizeugin Asia McClain vor.
Ein Richter in Maryland gewährt Syed im Juni einen neuen Prozess – zur Empörung seiner Familie. Ein neues Verfahren zeige lediglich, dass weiterhin geglaubt werde, dass mit der Verurteilung Syeds der Gerechtigkeit Genüge getan worden sei, so die Familie.
Das Sonderberufungsgericht in Maryland bestätigt die Entscheidung, Syed ein neues Verfahren zu gewähren. Seine Verurteilung wird aufgehoben, da er unzureichend beraten worden sei. Er bleibt aber inhaftiert.
Der Fall wandert zum höchsten Gericht in Maryland, das ein neues Verfahren jedoch ablehnt. In einem knappen 4:3 Entscheid findet das Gericht, dass die ursprüngliche Verteidigung mangelhaft gewesen sei. Allerdings sei Syed durch diesen Mangel nicht benachteiligt worden. Seine Verurteilung wird wieder in Kraft gesetzt.
Im März wird die vierteilige HBO-Dokumentarserie «The Case Against Adnan Syed» zum Fall ausgestrahlt, die viel Beachtung findet.
Im November lehnt der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten ab, seinen Fall anzuhören.
Die Situation für Syed scheint aussichtslos, doch dann kommt plötzlich wieder Bewegung in den Fall. Denn: Maryland verabschiedet 2021 ein neues Gesetz, welches Syed zugutekommt. Es erlaubt Personen, die als Jugendliche für Verbrechen verurteilt wurden, eine Änderung ihrer Strafe zu beantragen. Dies, nachdem sie 20 Jahre im Gefängnis verbracht haben. So gelangte der Fall ins Büro von Staatsanwältin Marilyn J. Mosby.
Marilyn Mosby beantragt am Mittwoch ein neues Verfahren für Syed. Bei einer fast einjährigen Untersuchung seien bisher unbekannte Informationen über zwei andere Verdächtige sowie Zweifel an der Verlässlichkeit von Mobilfunkmast-Daten zutage getreten, hiess es. Zudem seien zwei mögliche Verdächtige identifiziert worden, die der Polizei schon 1999 bekannt waren. Fraglich sei, ob Syed wirklich zu Recht schuldig gesprochen wurde. Es gebe «kein Vertrauen in die Integrität der Verurteilung» – und damit sei es nicht gerecht, den heute 41-Jährigen weiter in Haft zu lassen.
Am Montag entscheidet ein Gericht in Maryland, das Urteil gegen Syed aufzuheben, wie US-Medien übereinstimmend berichten. Mit der Entscheidung des Gerichts wurde Syed nun aus dem Gefängnis entlassen und zunächst unter Hausarrest gestellt. Jetzt müsse die Staatsanwaltschaft entscheiden, ob sie ein neues Verfahren einleiten oder die Anklage fallen lassen wolle.
VIDEO: Adnan Syed walks out of court a free man. pic.twitter.com/zjPTDfxDYZ
— Mariam Khan (@MKhan47) September 19, 2022
Nach 23 Jahren hinter Gittern verliess der jetzt 41-jährige Adnan Syed gestern unter viel Applaus und Jubel das Gefängnis. Doch: Noch ist der Fall nicht vorbei, noch gilt er nicht als unschuldig. Die Staatsanwaltschaft hat jetzt 30 Tage Zeit, um zu entscheiden, ob sie ein neues Verfahren anordnet oder die Anklage gegen Syed fallen lässt. Entscheidend dürfte dabei die bisher versäumte DNA-Analyse sein. (saw)
Mit Material der Nachrichtenagentur sda.