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Biden hält Rede zur Lage der Nation – und es passiert Erstaunliches

President Joe Biden delivers the State of the Union address to a joint session of Congress at the Capitol, Thursday, March 7, 2024, in Washington. Standing at left is Vice President Kamala Harris and  ...
Joe Biden.Bild: keystone

Biden hält seine Rede zur Lage der Nation – und schaltet auf Attacke

Für Joe Biden war es einer der wichtigsten Momente seiner Karriere. Bei der Rede zur Lage der Nation schaltet er gleich auf Attacke. Am Ende passiert etwas Erstaunliches.
08.03.2024, 06:3308.03.2024, 10:52
Christoph Cöln / t-online
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Ein Artikel von
t-online

In der Regel neigen Strippenzieher in der Politik nicht dazu, übergrosse Erwartungen zu schüren. Vor der Rede zur Lage der Nation war das anders. Da überboten sich die Experten nahezu stündlich mit Superlativen zur Bedeutung des Auftritts von US-Präsident Joe Biden. «Es steht viel auf dem Spiel», räumte selbst Bidens Stabschef im Weissen Haus, Jeff Zients, ein. «Die Reden zur Lage der Nation sind immer wichtig, aber diese Rede ist ganz besonders wichtig», sagte er dem US-Magazin Politico.

Eine Sache machte Bidens Auftritt besonders. Denn laut Politikexperten ging es nicht nur um das, was der Präsident sagte, sondern vor allem wie er es sagte. Wie würde er rüberkommen? Würde er sich versprechen, einen Namen verwechseln oder gar schon auf dem Weg zum Rednerpult stolpern, wie es ihm bereits mehrfach bei anderer Gelegenheit passiert ist? Es ging kurz gesagt um die Frage, ob sich dort ein Mann präsentierte, der noch vier weitere Jahre fit für das wichtigste und wohl auch anstrengendste Amt der Welt ist.

Grösser hätte der Druck also kaum sein können für den 81-jährigen Demokraten. Und er hielt ihm stand. «Energetisch und optimistisch», so lauteten die ersten Einschätzungen von Experten kurz nach der Rede. Biden hatte die grossen Erwartungen nicht enttäuscht. Er hatte geliefert.

Biden lässt sofort seinen Charme spielen

Der Präsident brauchte zwar lange, um bis zum Rednerpult zu kommen, aber nur weil er sich sehr viel Zeit nahm, um bei seinem Einzug in den Kongress mit den Abgeordneten beider Parteien zu sprechen, Selfies mit Parlamentariern zu machen und viele Hände zu schütteln. Biden gab sich als Präsident zum Anfassen. «Four more Years», schallte es aus dem Plenum («vier weitere Jahre»). Ein warmer Empfang.

President Joe Biden, left, takes a photo with Rep. Veronica Escobar, D-Texas, after delivering the State of the Union address to a joint session of Congress at the Capitol, Thursday, March 7, 2024, in ...
Joe Biden macht ein Selfie mit der republikanischen Abgeordneten Veronica Escobar.Bild: keystone

Sofort liess Biden seinen Charme spielen. Er begann seine Rede mit einem Scherz:

«Wenn ich klug wäre, würde ich jetzt nach Hause gehen.»

Dann schaltete er gleich auf Attacke. «Die Demokratie ist unter Beschuss, Zuhause und in Übersee», sagte er. Wen er dafür verantwortlich macht, sagte er auch: Putin und Donald J. Trump, den er im Laufe seiner Rede nicht beim Namen nannte. Biden sprach lediglich von «meinem Vorgänger».

Putin sprach er hingegen direkt an, und er schickte eine Warnung nach Moskau:

«Er wird die Ukraine nicht bekommen.»

«Wenn wir der Ukraine beistehen und ihr weiter Waffen liefern.» Eine Botschaft an die Republikaner, die im Kongress seit Monaten die milliardenschweren amerikanischen Ukrainehilfen blockieren. Biden sagte:

«Meine Botschaft an Putin ist sehr einfach: Wir werden nicht einfach weglaufen. Wir werden nicht einknicken. Ich werde nicht einknicken.»

Frenetischer Jubel seiner Parteianhänger brandete auf, sogar der republikanische Sprecher des Repräsentantenhauses nickte zustimmend – dabei sorgt er gerade für die Blockade der Ukrainehilfen im Parlament. Auf Trumps Geheiss.

Wachsende Unzufriedenheit bei Teilen der Wählerschaft

Den nahm sich Biden als Nächstes vor. Der Präsident geisselte den Putschversuch gegen die Demokratie am 6. Januar 2021 und verwies mehrfach auf die unrühmliche Rolle seines Vorgängers. «Einen Anschlag auf die Freiheit», nannte er den gewaltsamen Kapitolsturm. «Politische Gewalt hat keinen Platz in einer Demokratie», so Biden.

Trump wurde von Biden auch bei anderen Themen hart angegangen wie etwa beim Abtreibungsrecht.

«Mein Vorgänger ist der Grund, warum Roe [das Gesetz, das Abtreibung erlaubte] abgeschafft wurde.»

Er versprach, wenn er wiedergewählt werde, werde er sich für die Wiederherstellung des Abtreibungsrechts einsetzen.

FILE - Republican presidential candidate former President Donald Trump speaks at a primary election night party at the South Carolina State Fairgrounds in Columbia, S.C., Feb. 24, 2024. In a victory s ...
Donald Trump wurde nicht beim Namen genannt von Biden – und war doch präsent.Bild: keystone

Biden rekapitulierte die Leistungen seiner Regierung, die Erneuerung der Infrastruktur, aber vor allem das Jobwunder, das er in den vergangenen Jahren geschaffen habe. «Aber es braucht Zeit, bis das bei den Menschen auch spürbar ankommt.»

Eine Bemerkung, die auf die wachsende Unzufriedenheit mit den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen bei Teilen der Wählerschaft anspielte. Obwohl die Wirtschaft brummt, haben es die Republikaner unter Trump bislang erfolgreich geschafft, die Leistungen der Biden-Administration kleinzureden und den Finger auf die Inflation zu legen, eine der wenigen Kennziffern, wo Bidens Regierung nicht so gut dasteht. Der Demokrat verwies darauf, viele Arbeitsplätze geschaffen zu haben, und zwar vor allem solche, für die man keinen Hochschulabschluss benötige. Ein Schlüsselsatz von Biden in Bezug auf eine wichtige Wählergruppe.

Sanders: Sich selbst nicht so sehr feiern

Er wandte sich explizit an die «working people», an die Arbeiter und jene Menschen ohne höheren Bildungsabschluss – eine wichtige, wenn nicht die entscheidende Wählergruppe bei dem kommenden Urnengang im November.

«Erhöht den Mindestlohn. Die Leute sollen mehr bekommen als die sieben Piepen pro Stunde.»

Das hatte der linke Senator Bernie Sanders explizit gefordert.

Sanders hatte den Präsidenten zuvor ermahnt, nicht nur die eigenen Leistungen zu feiern, sondern vielmehr eine Vision für all jene zu skizzieren, die sich von der aktuellen Regierung noch nicht ausreichend vertreten fühlen. In einem vertraulichen Gespräch zwei Tage vor Bidens Rede forderte der 82-jährige Senator aus Vermont den Amtsinhaber auf, die Frustration bei breiten Schichten der Wähler zu adressieren, anstatt sich allzu sehr selbst zu feiern, wie die «Washington Post» berichtete.

In einem Auftritt bei Talkmaster Stephen Colbert am Abend zuvor, hatte Sanders sich äusserst kritisch etwa über die hohe Rate der Kinderarmut in den USA gezeigt, auch geisselte er den Mindestlohn von 7,25 Dollar als viel zu niedrig. Ein weiteres Thema, das Sanders ansprach, war die Gesundheitsversicherung, in deren Genuss immer noch nicht alle Amerikaner kommen – dabei war dies eins der zentralen Wahlkampfversprechen Bidens gewesen. Und Biden lieferte.

Biden frotzelt Richtung der Konservativen

Biden sagte:

«Kein Milliardär sollte eine niedrigere Steuer zahlen, als ein Lehrer.»

500 Milliarden Dollar könnten etwa durch eine höhere Besteuerung der Reichen eingenommen werden. «Stellen sie sich vor, was das für Amerika bedeuten könnte», sagte Biden. Dann zählte er auf, welche sozialen Wohltaten man mit dem Geld finanzieren würden. Mehrfach wandte er sich direkt an die republikanische Mehrheit im Kongress und forderte sie auf, einem entsprechenden Gesetz zuzustimmen und stellte seine Schlagfertigkeit unter Beweis: «Wie kann man dazu denn nein sagen?», frotzelte er in Richtung der Konservativen, die bekanntermassen von solchen Plänen gar nichts halten.

Der streitbare Senator aus Vermont sass ebenfalls im Publikum bei der Rede zur Lage der Nation. Er klatschte oft. Offenbar war er zufrieden mit Bidens Auftritt, denn der machte einige weitgehende Versprechungen für den Fall seiner Wiederwahl. Er skizzierte eine politische Vision, Kern dieser Vision war soziale Gerechtigkeit.

Biden kündigte zudem massive Investitionen in Bildungsreformen an, er versprach den Studenten weitere Studienkrediterlasse, den Ausbau der Krankenversicherungen und Steuererleichterungen für die wichtigen, wenn nicht die entscheidende Wählergruppe bei der kommenden Wahl im November.

epa11205903 US President Joe Biden holds a pin referring to slain Georgia student Laken Riley; while delivering his State of the Union address before a joint session of Congress on the floor of the US ...
Zornig und laut.Bild: keystone

Biden wegen seiner Nahostpolitik unter Druck

Bidens Herausforderer Donald Trump hat den US-Präsidenten in den jüngsten Umfragen überholt, beim Super Tuesday konnte der Republikaner einen fast makellosen Sieg einfahren, die Kandidatur seiner Partei ist ihm sicher und die Unterstützung innerhalb der Bevölkerung für Trump wächst. Biden sehen viele Amerikaner dagegen immer kritischer.

Der US-Präsident steht vor allem wegen seiner Nahostpolitik unter Druck, die manche Amerikaner für zu israelfreundlich halten. Wie sehr ihn dies Stimmen jüngerer und vor allem liberaler Wähler kosten könnte, zeigte die Rede zur Lage der Nation ebenfalls. Denn im Vorfeld demonstrierten in der Hauptstadt Washington DC zahlreiche Menschen gegen die Politik Bidens im Konflikt zwischen Israel und der terroristischen Hamas.

Mehr Hilfslieferungen an die Menschen im Gazastreifen versprach Biden, zugleich verwies er auf die Bemühungen seiner Regierung um einen Waffenstillstand zwischen Israelis und Palästinensern. Allerdings betonte er auch das Existenzrecht Israels und das Recht auf Selbstverteidigung, er verwies auf die grausamen Terroranschläge der Hamas. Dieser Teil der Rede war ausgewogen, doch einigen ging er wohl nicht weit genug. Layla Elabed, die eine Anti-Biden-Kampagne im US-Bundesstaat Michigan anführt, sagte dem Sender NBC News nach der Rede:

«Der Präsident hört weiterhin nicht auf die Kriegsgegner in unserem Land, die einen raschen und dauerhaften Waffenstillstand fordern».

«Schickt mir das Gesetz. Jetzt!»

Auch auf ein anderes Thema ging Biden ein, das im Wahlkampf eine zentrale Rolle spielen wird: die Situation an der Grenze zu Mexiko, wo jeden Tag Migranten aus Mittel- und Südamerika ankommen. Trump piesackt die Demokraten seit Monaten mit dem Thema Migration, ohne Hemmungen prügelt er verbal auf Einwanderer ein, beschimpft illegale Zuwanderer bei nahezu jeder Gelegenheit und attackiert sie mit einem diskriminierenden Vokabular, das selbst für einen Rechtspopulisten ungewöhnlich ist.

Ganz anders Biden. Er verwies auf ein bereits ausgearbeitetes Gesetzespaket, das Demokraten und Republikaner in den vergangenen Monaten nach harten Verhandlungen geschnürt hatten. Das dann aber, ebenfalls auf Trumps Intervention, im Parlament auf Eis gelegt wurde. Die Republikaner wollen dem demokratischen Präsidenten vor der Wahl keinen Erfolg in dieser für ihre Wählerschaft wichtigen Frage gönnen. Biden wagte hingegen einen weiteren Versuch, sich über die Parteigrenzen hinweg als Vermittler und Versöhner zu zeigen. «Wir haben eine einfache Wahl», sagte er mit Blick auf das Immigrationsgesetz.

«Wir können uns darüber streiten, die Grenze zu sichern oder wir können sie sichern. Schickt mir das Gesetz [zum Unterzeichnen]. Jetzt!»

Auf diesem Ton liess der amerikanische Präsident gegen Ende seiner Rede auch ausklingen. «Ich möchte euch daran erinnern, wir können Grosses schaffen», appellierte er an das gesamte Plenum. Und wir werden es schaffen!" Immer wieder wandte er sich mit spontanen Äusserungen an die Abgeordneten im Repräsentantenhaus. Er charmierte, er witzelte, er zeigte sich hellwach. So einnehmend, wie er sich stellenweise gab, so scharfzüngig konnte er sein. Biden liess keine Gelegenheit aus, die Republikaner anzugreifen und sie für ihre isolationistische Politik zu schmähen.

Biden deutet eine vermeintliche Schwäche zur Stärke um

Ganz zum Schluss ging der 81-Jährige dann noch auf die Debatte ein, die so viele Wähler beschäftigt: sein Alter. Anstatt das Thema zu umschiffen, griff er es lustvoll auf und stellte dabei einmal mehr seine Fähigkeit zur Selbstironie unter Beweis. Er sagte:

«Auch wenn es nicht so scheinen mag, aber ich bin ja schon eine Weile dabei.»

Um dann hinzuzufügen:

«Wenn man mein Alter erreicht, dann versteht man ein paar Dinge recht gut. Leute meines Alters sehen die Dinge vielleicht etwas anders.»

Biden stellte sein fortgeschrittenes Alter als Vorteil heraus. Er deutete eine vermeintliche Schwäche zur politischen Stärke um.

Er mahnte im Rückgriff auf uramerikanische Werte auch dazu, alle gleich zu behandeln, egal ob jung oder alt. Und dann erneuerte er sein Versprechen, das er bereits in seiner Inaugurationsrede vor vier Jahren gegeben hatte: «Ich werde Präsident aller Amerikaner sein, denn ich glaube an Amerika!»

Als Biden nach seiner Rede durch den Saal ging, passierte etwas, mit dem wohl wenige gerechnet hatten. Nun klatschte auch ein Teil jener Republikaner, der ihn vor der Rede noch mit demonstrativer Kühle empfangen hatte. Es schien, als hätte der Präsident einen Nerv getroffen - über Parteigrenzen hinweg. «Das war eine der stärksten Performances, die ich von Joe Biden gesehen habe», sagte David Plouffe, ehemalige Kampagnenmanager von Ex-Präsident Obama im Sender NBC.

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95 Kommentare
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Cosmopolitikus
08.03.2024 06:49registriert August 2018
Alles ist besser als Donald Trump. Smarte Performance von Joe Biden, die muss er jedoch noch ein paar Monate durchhalten. Sonst haben wir diesen „Vorgänger“ wieder an der Backe, mir graust davor!
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Eidg. dipl. Kommentarspalter
08.03.2024 06:41registriert Dezember 2015
Könnte ein Kipp-Punkt sein. Für die us-amerikanische Demokratie ebenso wie für die Ukraine. Biden war angezählt, jetzt steht er wieder in einer sehr starken Position. Trump wird sich angesichts dieser Rede sein spärliches Haar gerauft haben.
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Acai
08.03.2024 07:30registriert März 2017
Drücke Biden beide Daumen für seine Wiederwahl!
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