Jetzt geht es für Joe Biden um die Wurst
Dank Asterix kennen auch Nicht-Lateiner den Ausdruck «alea iacta est». Im amerikanischen Vorwahl-Kampf sind die Würfel nach dem Super Tuesday wohl definitiv gefallen. Geschieht kein Wunder, werden Joe Biden und Donald Trump zu einem Revanche-Duell antreten, auch wenn dies einer deutlichen Mehrheit der Amerikanerinnen und Amerikaner überhaupt nicht schmeckt.
Der Präsident steigt mit schlechten Karten in dieses Duell. Seine Umfragewerte verharren seit Monaten auf «Carter Territorium». Gemeint ist mit diesem Begriff das Schicksal des ehemaligen US-Präsidenten Jimmy Carter, der 1980 am Ende seiner vierjährigen Amtszeit so unpopulär war, dass er gegen Ronald Reagan haushoch verlor.
Weshalb Biden so wenig geliebt wird, ist schwierig zu erklären. Er hat die wichtigste Aufgabe eines Präsidenten bisher mit Bravour bewältigt. Die amerikanische Wirtschaft hat nicht nur eine von den meisten Ökonomen prophezeite Rezession vermieden, sie brummt, als gäbe es kein Morgen. Ob Aktienkurse, Wachstumsraten oder Arbeitslosenzahlen, alle befinden sich im tiefgrünen Bereich.
Dazu kommt, dass Biden einen politischen Leistungsausweis wie kaum einer seiner Vorgänger vorweisen kann. Er hat einen Green New Deal angeschoben, endlich ein Gesetz zur längst nötigen völligen Erneuerung der maroden Infrastruktur durch den Kongress gebracht und dafür gesorgt, dass die Industrie der Zukunft, die Chips, wieder in den USA gefertigt werden.
All dies zeigt bisher keine Wirkung. Bidens Beliebtheitswerte verharren um die 40-Prozent-Marke, eben in «Carter Territorium».
Das hängt auch damit zusammen, dass die meisten Amerikaner sich in der Regel wenig um die Politik scheren. Erst wenn der Wahlkampf in die heisse Phase tritt, überlegen sie sich ernsthaft, für wen sie ihre Stimme einlegen wollen. Mit der Klarheit der Kandidaten hat diese Phase jetzt begonnen, und mit der «State of the union»-Rede hat der Präsident die Möglichkeit, seine Landsleute auf seine Verdienste hinzuweisen und auch darauf, wie er sich von seinem Rivalen abgrenzen will.
Dank seines deutlichen Sieges über Nikki Haley am Super Tuesday gibt sich derweil Trump siegessicher, vor allem auch, weil die jüngsten Umfragen ihm einen leichten Vorsprung vor Biden ausweisen. Seine Euphorie könnte sich allerdings als verfrüht erweisen. Nicht nur, weil auch er es noch nie geschafft hat, die Gunst einer Mehrheit der Amerikaner zu erreichen. Auch seine Beliebtheitswerte liegen unter 50 Prozent.
Das ist nicht Trumps einziger Schwachpunkt. Hier vier weitere:
- Seit Jahren lässt sich in der amerikanischen Politik ein paradoxes Phänomen beobachten: Die Republikaner gewinnen die Umfragen, aber die Demokraten die Wahlen. So war es bei den Zwischenwahlen, so war es auch jüngst bei nationalen und bundesstaatlichen Nachwahlen.
- Auch bei den Umfragen, die für Trump sprechen, hat eine merkwürdige Trendumkehr stattgefunden. Im Wahlkampf 2016 wurden seine Werte regelmässig zu tief ausgewiesen. Seine Wähler würden sich schämen, zu ihm zu stehen, lautete damals die Begründung. Inzwischen ist es genau umgekehrt. In den Umfragen schneidet Trump weit besser ab als an der Urne. So war sein Vorsprung auf Haley in fast allen Vorwahlen deutlich kleiner als prophezeit.
- Nach wie vor tut sich Trump bei den Frauen in den Vorstädten sehr schwer. Diese an sich Republikaner-affine Wählergruppe wird nicht nur durch das Macho-Gehabe des Präsidenten abgestossen. Mit ihrer Abtreibungspolitik vertreiben die Republikaner diese Frauen in Scharen, und sie können nicht damit rechnen, dass sie im November zurückkehren werden. Ohne diese Wählerinnen sind die Wahlen jedoch kaum zu gewinnen.
- Die Grand Old Party ist keine politische Partei im herkömmlichen Sinn mehr. Sie ist zu einem Trump-Kult verkommen. Das kommt bei einer Minderheit der Republikaner schlecht an. Nachbefragungen bei den Vorwahlen haben ergeben, dass einige davon Trump ihre Stimme verweigern werden. Es mögen wenige sein, doch genug, um in einer sehr engen Wahl den Ausschlag zu geben.
Trumps Schwächen sind allgemein bekannt, auch seinem Wahlkampf-Team. Doch der pathologische Narzissmus des Präsidenten verhindert, dass sie etwas dagegen tun können. Um die Frauen in den Vorstädten zurückzugewinnen, wäre es beispielsweise sinnvoll, Nikki Haley als Vizepräsidentin zu nominieren. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass Trump dies tun wird. Im Gegenteil, obwohl sie inzwischen das Handtuch geworfen hat, verspottet und beschimpft er seine hartnäckigste Rivalin in der eigenen Partei weiterhin.
Biden hat mit Trump seinen Wunschgegner erhalten. Der Ex-Präsident ist die «beste Maschine, die demokratischen Wähler an die Urne zu prügeln», wie das «Wall Street Journal» spottet. Dazu kommt, dass die kommenden Wahlen nicht nur historisch sein werden, sondern auch in jeder Hinsicht ausserordentlich. Beide Kandidaten sind alt, und den Wählerinnen und Wählern bis zum Überdruss bekannt. Tony Fabrizio, ein Mitarbeiter im Trump-Team, erklärt daher im «Wall Street Journal»: «Es gibt wenig bis nichts, was man in den nächsten Monaten über Joe Biden oder Donald Trump erzählen könnte, das nicht schon alle wissen.»
Ebenso haben die USA noch nie einen Kandidaten wie Donald Trump erlebt, einen Kandidaten, der sich völlig ausserhalb der Normen bewegt. Auch die Experten sind deshalb überfordert. Elaine Kamarck, eine Politologin an der Denkfabrik Brookings Institution, erklärt ebenfalls im «Wall Street Journal»: «Ich weiss nicht, wie man sich einem solchen Rivalen gegenüber verhalten soll. Und ich glaube, das Biden-Team weiss es auch nicht.»
