Er hat Hochkonjunktur: der Spruch «Amerika ist gespalten wie nie zuvor». Selten aber ist damit das Wahlsystem gemeint. Dabei herrscht gerade in diesem Bereich Krieg. Seit Jahren versuchen die Demokraten, die Zugangshürden für Wähler zu senken. Die Republikaner hingegen setzen alles daran, möglichst viele Amerikaner*innen von der Urne fernzuhalten. In den USA gilt traditionell: Grössere Wählermassen sind besser für die Demokraten. Ein geringer Wähleranteil hingegen hilft den Republikanern.
Während die Demokraten argumentieren, ihre Bemühungen seien im Sinne der Demokratie, behaupten die Republikaner, ihre Bemühungen seien … ebenfalls im Sinne der Demokratie. Ihr Kampf sei vor allem einer gegen Wahlbetrug. Ihre eigene Datenbank widerspricht dieser Auslegung allerdings. Die Republikaner untersuchten 84 Millionen Wahlzettel der letzten Jahre, ausgestellt in 28 Staaten. Nur gerade 14 Fälle kamen ihnen dabei verdächtig vor. Der Kampf um die Zugangshürden ist rein strategisch.
Im Gegensatz zu vielen europäischen Ländern sind Bürger*innen in den USA mit Erreichen des 18. Altersjahres nur theoretisch wahlberechtigt. Erst wenn sie sich zusätzlich als Wähler*innen registrieren lassen, tritt dies auch praktisch in Kraft. Die Registrierung erfolgt beim entsprechenden Bundesstaat. Aufgrund dieses föderalistischen Systems existieren innerhalb der USA höchst unterschiedliche Wahlzulassungsbestimmungen – und um diese wird gekämpft. Doch das ist nur eine der Fronten.
Wie die Schweiz kennt die USA keine Ausweispflicht. Doch während hierzulande beinahe alle Schweizer*innen eine ID oder einen Reisepass besitzen, verfügen 11 Prozent aller Amerikaner*innen über kein derartiges Ausweispapier. Unter den Wahlberechtigten Afroamerikaner*innen sind es sogar 25 Prozent (gegenüber 8 Prozent der weissen Bevölkerung).
In vielen Staaten wird ein solcher Ausweis aber benötigt, um sich als Wähler*innen registrieren zu lassen. Eine Photo-ID kostet zwischen 75 und 175 Dollar – zu viel für gewisse Schichten. Hinzu kommen andere Aufwände: Einige Gebiete in Texas liegen 270 Kilometer vom nächsten Passbüro entfernt. Summa summarum sorgen diese Hürden dafür, dass die Anzahl registrierter Wähler*innen in Staaten mit Photo-ID-Obligatorium um 2 bis 3 Prozent schrumpft. Und um im republikanischen Texas zu bleiben: Waffentragscheine werden dort als gültige ID akzeptiert – Studentenausweise aber nicht. Das bringt uns zum nächsten Punkt.
Studierende wählen in der Tendenz die Demokraten. Sogar in traditionell republikanischen Staaten wie Texas. Deshalb versuchen dort die Republikaner, dies möglichst zu verhindern. Mit einem perfiden Gesetz: Wahllokale in Texas müssen sämtliche 11 Tage vor der Wahl geöffnet haben. Dies zu gewährleisten, gelingt vielen Universitäten nicht. Viele Studierende werden deshalb 2020 nicht mehr bequem auf dem Unigelände ihre Wahlzettel einwerfen können.
North Carolina führte ein Gesetz ein, das Studenten-IDs als legitime Ausweispapiere akzeptierte. Was auf den ersten Blick als ein inklusiver Vorstoss wirkt, ist in Tat und Wahrheit das Gegenteil. Die IDs müssen derart hanebüchene Auflagen erfüllen, dass über die Hälfte der Universitäten nicht imstande ist, diesen nachzukommen.
In New Hampshire haben Republikaner bewirkt, dass Neuwähler, also junge Menschen und Studierende, ihr Auto und ihren Fahrausweis ebenda registrieren lassen müssen. Das kann hunderte Dollar kosten. Zu viel für manche.
Donald Trump wählte per Brief. So tat das auch sein Vize Mike Pence und mindestens sechs weitere Personen aus Trumps engerem Beraterstab. Trotzdem will der Präsident die Briefwahl nicht weiter ausweiten. Wahlfälschung finde vor allem per Briefwahl statt, behauptet er immer wieder. Studien widerlegen diese Falschaussage.
Die Demokraten bemühen sich seit langem, die Briefwahl in den USA zu fördern. In diesem Jahr mit dem Argument, die Angst vor einer Corona-Ansteckung würde speziell die Risikogruppe vom Urnengang abhalten. Ihre Hauptanliegen sind: Vorfrankierte Retourcouverts, die Möglichkeit, die Retourcouverts nicht nur an offiziellen Poststellen einzusammeln, und eine Berücksichtigung des Stempeldatums anstelle des Auslieferungsdatums. Die Republikaner torpedieren sämtliche dieser Forderungen.
Vereinzelte republikanisch geführte Staaten wie zum Beispiel Nevada haben andere Schlupflöcher gefunden, die Briefwahl auf möglichst tiefem Niveau zu halten: Dort werden die Briefwahlunterlagen nur noch Wähler*innen zugeschickt, die davon bereits Gebrauch gemacht haben – und nicht automatisch allen.
Um die Briefwähler*innen weiter zu schikanieren, installierte Donald Trump diesen Sommer Louis DeJoy als obersten Chef der US-Postbehörde USPS. DeJoy spendete Trump für dessen Kampagnen seit 2016 1,2 Millionen Dollar.
Kaum im Amt, begann DeJoy, Briefkästen und Briefsortiermaschinen der USPS zu entfernen. Dies unter dem Vorwand, damit die USPS finanziell stabiler zu machen. Eigenartig dabei ist: Die Briefsortiermaschinen wurden genau dort entfernt, wo die Demokraten 2016 siegten. Zur Erinnerung: Die Republikaner bekämpfen vehement, dass bei der Briefwahl das Stempeldatum berücksichtigt wird.
Nach einer Anhörung in Washington musste DeJoy versprechen, keine weiteren Briefkästen und Sortiermaschinen zu entfernen.
Im Januar präsentierte der texanische Staatssekretär David Whitley eine Liste mit 95'000 Personen. Laut seinen Angaben handle es sich dabei um Ausländer*innen, welche sich unrechtmässig als Wähler*innen hätten registrieren lassen. 58'000 davon hätten sogar bereits einmal an Wahlen teilgenommen.
Whitley verkündete, diese Liste der Staatsanwaltschaft zu übergeben und gleichzeitig die Namen aus der Wählerkartei zu streichen. Hätte er damit Erfolg gehabt, wären zehntausende Wähler*innen ausgeschlossen worden. Doch die Liste war gefälscht. Bei den Personen handelte es sich vor allem um ehemalige Migrant*innen, die heute wahlberechtigte US-Bürger*innen sind. Whitley wurde entlassen.
Nach einer Volksabstimmung erhielten in Florida 1,4 Millionen Kriminelle, welche ihre Strafe abgesessen hatten, ihre Wahlberechtigung zurück. Die Republikaner versuchten dies mit einem zusätzlichen Passus nachträglich zu verhindern. Nur wer auch für sämtliche Prozesskosten aufgekommen sei, solle das Stimmrecht zurückerhalten. Ein Richter blockierte diesen Zusatz zwar, sein Urteil lässt aber so viel Interpretationsraum zu, dass die Rechtslage undurchsichtig bleibt.
Bei den Midterms 2018 verschwanden in Georgia wie von Geisterhand 127'000 Stimmen. Sie wurden als Leereingaben gezählt. Es handelte sich dabei um Stimmen, welche am Wahltag über Wahlmaschinen abgegeben wurden. Davon betroffen waren überproportional viele Afroamerikaner*innen.
Der Verdacht, dass es sich dabei um eine Manipulation der Wahlmaschinen handelte, konnte bis heute weder erhärtet noch ausgeräumt werden. Die Wahlmaschinen galten als einfach zu hacken. Georgia ersetzte sie nun durch Geräte, welche von verschiedenen Fachkräften als «genauso unsicher» eingestuft werden.
In den gesamten USA rekrutieren die Republikaner für die Präsidentschaftswahlen vom 3. November «Wahlbeobachter». Über welche Kompetenzen diese verfügen sollen, ist noch unklar. 1981 gab es in New Jersey eine ähnliche Initiative. Damals kontrollierten bewaffnete «Wahlbeobachter» Afroamerikaner*innen und Latinos derart aufdringlich, dass dieses Vorgehen ein Jahr später per Gerichtsbeschluss verboten wurde. Das Urteil ist nun aber verjährt. Der Kampf ums Weisse Haus 2020 wird die erste Wahl sein ohne dieses Verbot.
In Tennessee drohte die republikanische Exekutive, dass falsch oder unvollständig ausgefüllte Wählerregistrierungen strafrechtlich verfolgt würden. Ein Gericht schmetterte diesen Versuch von Einschüchterung aber ab, doch die Botschaft blieb: Wer sich als Wähler*in registrieren lässt, kann ein Risiko eingehen.
Der britische «Guardian» deckte auf, dass in Texas systematisch Wahlbüros geschlossen werden. Und zwar genau dort, wo der Anteil an Afroamerikaner*innen und Latinos am stärksten steigt. Diese Wähler*innen werden in Zukunft also längere Wege zurücklegen müssen. Wer nicht mobil ist, wird benachteiligt. Andere Südstaaten wie Louisiana, Arizona und Mississippi erschweren der Unterschicht den Gang zur Urne auf ähnliche Art und Weise – und mit anderen perfiden Tricks: In Arizona war erlaubt, die Stimmunterlagen dem Nachbar mitzugeben. Dagegen haben die Republikaner nur erfolgreich prozessiert. In Zukunft wird dies nicht mehr möglich sein.
Es gibt allerdings auch eine Gegenbewegung. Die Basketball-Spieler der NBA legten im Rahmen der Black-Lives-Matter-Bewegung den Spielbetrieb lahm. Sie nahmen ihn erst wieder auf, als die NBA versprach, die Stadien der Teams während den Präsidentschaftswahlen in Wahllokale umzuwandeln.
Offensichtlich hat die USA ein ganz anderes Demokratieverständnis, dann sollten Sie aber lieber die Demokratie begraben.