Vor gut drei Wochen geschah im US-Bundesstaat Kansas Überraschendes: Das Stimmvolk hatte die Streichung des Verfassungsartikels, der Frauen das Recht auf Abtreibung zusicherte, mit fast 60 Prozent abgelehnt. Einer der Gründe für dieses klare Votum war die Mobilisierung der Frauen.
Kansas women voter registration spikes when the leak happened & when the Dobbs decision was released! pic.twitter.com/ocklvfeEd5
— Kelly (@KellyDem4Life) August 17, 2022
Die Dobbs Decision steht für den Entscheid des Obersten Gerichtshofs zum Fall Dobbs v. Jackson Women's Health Organization vom 24. Juni. Das Urteil hatte zur Folge, dass in den USA das Recht auf Abtreibung nicht mehr in der Bundesverfassung verankert ist. Analysen für den Staat Kansas zeigen nun, dass der Dobbs-Entscheid zu einer Zunahme an Wähler-Registrierungen von Frauen führte.
Und das gleich zweimal: Ein erstes Mal, als die Unterlagen geleakt wurden, die im Vorhinein auf ein solches Urteil hinwiesen – bereits da erfolgten mehr als die Hälfte der Registrierungen durch Frauen. Als das Urteil durch den Obersten Gerichtshof im Juni schliesslich gefällt wurde, nahm der Anteil sogar sprunghaft zu – auf fast 70 Prozent.
Dass dieser starke Effekt gerade in Kansas beobachtet wurde, ist kein Zufall. Der Bundesstaat im Mittleren Westen war der erste, der kurz auf den Entscheid durch den Obersten Gerichtshof über das Recht auf Abtreibung abstimmen liess.
Nun aber ist klar: Die Zunahme an weiblichen Neu-Wählerinnen war keineswegs ein Einzelfall. Wie TargetSmart, ein Unternehmen für politische Daten und Datendienste, berichtet, stellen in mehreren Staaten Frauen die Mehrheit unter den Neu-Registrierten seit dem Gerichtsentscheid Ende Juni. Das Unternehmen sammelt und analysiert laufend Daten, die es durch Wahlbeamte in den verschiedenen Bundesstaaten erhält.
Die Ergebnisse von TargetSmart könnten wegweisend sein für die sogenannten Midterms (Zwischenwahlen) in diesem Herbst. Am 8. November müssen sich 35 der 100 Mitglieder im Senat sowie alle 435 Abgeordnete im Repräsentantenhaus der Wiederwahl stellen.
Noch habe man zwar keine Daten für alle Bundesstaaten, schreibt TargetSmart in seinem neusten Newsletter. Allerdings zeichne sich bereits jetzt ein Trend ab: «In Bundesstaaten wie Wisconsin und Michigan, in denen es in diesem Jahr um reproduktive Rechte geht, ist ein deutliches geschlechtsspezifisches Gefälle bei der Registrierung zu beobachten, wobei die Frauen die Männer deutlich übertreffen.»
In Wisconsin sowie in Michigan werden Wählerinnen und Wähler, zeitgleich mit den Midterms, wie schon in Kansas über das Recht auf Abtreibung abstimmen. Laut TargetSmart haben sich in Wisconsin seit dem 24. Juni 15,6 Prozentpunkte mehr Frauen als Männer neu registrieren lassen. Und: Der hohe Frauenanteil übersetzt sich auch in einen höheren Anteil an Demokraten. 52,4 Prozent aller neu registrierten Wähler sind Demokraten, während sich lediglich 16,6 Prozent der neuen Wähler als Republikaner registrieren liessen.
Ebenso in Michigan: Unter den 12'879 neuen Wählern, die sich seit der Dobbs-Entscheidung registriert haben, übertreffen laut TargetSmart-Daten die Frauen die Männer um gut acht Prozentpunkte. Im gleichen Zeitraum haben sich 18 Prozentpunkte mehr Demokraten als Republikaner registrieren lassen.
In Staaten wie Rhode Island und New York hingegen, in denen die reproduktiven Rechte von den Demokraten in der Regierung geschützt werden, gebe es kein Geschlechtergefälle.
Ob der Dobbs-Effekt die Wahlen im November massgebend zu entscheiden vermag, ist noch unklar. Allerdings: «Anekdotische Hinweise und Umfragen deuten darauf hin, dass die Abtreibung für viele Wähler auf der Prioritätenliste nach oben rückt», schreibt die «Washington Post». Wenn mehr Frauen und mehr Abtreibungsbefürworter, denen Abtreibungsrechte wichtig sind, zur Wahl gehen, könnte demnach die Haltung der Kandidaten zu diesem Thema entscheidend sein.
Auch John Della Volpe, Experte für Umfragen an der Harvard Kennedy School Institute of Politics, bestätigte in einem Interview mit dem Sender MSNBC: «Ich denke, das sind sogar weit mehr als anekdotische Beweise. Wir sehen in fast jedem Bundesstaat, beginnend mit Kansas, einen signifikanten Anstieg der Frauen, die sich zur Wahl registrieren lassen.» Und diese Frauen seien überwiegend demokratische Frauen. «Das ist der zweite Zwischenwahlzyklus in Folge, in dem es eine Reihe von öffentlichen Ereignissen gibt, die die Form der Wählerschaft verändern», so Della Volpe. 2018 habe man dies mit einer Jugendbewegung nach den Schiessereien in Parkland gesehen. Damals haben sich insbesondere viele junge Menschen neu registrieren lassen.
Lange sah es für die Demokraten im Hinblick auf den 8. November nicht gut aus. Neuste Umfragen zeigen nun, dass die Partei von Präsident Biden zumindest im Senat neue Hoffnung schöpfen kann. Gemäss Experten der Politplattform Fivethirtyeight ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Demokraten eine Mehrheit im Senat kontrollieren werden, seit Juni stark angestiegen. Mittlerweile sehen die Experten diese Wahrscheinlichkeit bei über 60 Prozent.
Weniger gut sieht es für die Demokraten im Repräsentantenhaus aus. Dort hat sich das Bild weniger verändert über die Zeit: Die Experten von Fivethirtyeight schätzen, dass die Republikaner zurzeit mit einer Wahrscheinlichkeit von 78 Prozent eine Mehrheit erlangen werden. Im Moment beherrschen die Demokraten das House noch mit einer knappen Mehrheit.
Trotzdem: Momentane Wahrscheinlichkeiten bilden stets nur die aktuelle Stimmung im Land ab. Und bis zu den Midterms am 8. November kann sich noch einiges ändern. Fest steht aber: Neben traditionell wichtigen Themen wie zum Beispiel der wirtschaftlichen Lage wird dieses Mal das Thema der Abtreibung deutlich stärker ins Gewicht fallen als in anderen Jahren.