Der Besuch von US-Spitzenpolitikerin Nancy Pelosi in Taiwan dominierte am Mittwoch die News weltweit. Nur in den USA selbst stiess ein anderes Thema auf gleichwertige, wenn nicht sogar grössere Beachtung. Am Vortag hatte das Stimmvolk im Bundesstaat Kansas die Streichung des Abtreibungsrechts aus der Verfassung abgelehnt.
Der Sender CNN bezeichnete das Resultat als «Schock» – für die Demokraten. Nicht einmal die grössten Optimisten in der Partei hätten mit einem derart klaren Ergebnis von 59 zu 41 Prozent gerechnet. Und das in Kansas, einem erzkonservativen Bundesstaat im «Heartland» Amerikas, in dem die Republikaner fast alle wichtigen politischen Instanzen beherrschen.
Kansas ist auch ein Hotspot im Kulturkampf um den Schwangerschaftsabbruch. In der Stadt Wichita wurde George Tiller, ein national bekannter Spezialist für die umstrittenen Spätabtreibungen, 2009 von einem Fanatiker erschossen. Am Dienstag aber gab es selbst in ländlichen Wahlkreisen unerwartet viele Stimmen für das Abtreibungsrecht.
Nun schöpfen die Demokraten und Präsident Joe Biden, die sich seit Monaten mit miesen Umfragewerten herumschlagen müssen, Hoffnung im Hinblick auf die Halbzeit-Wahlen im November. Die Republikaner hätten «keinen Schimmer von der Macht der amerikanischen Frauen», sagte Biden am Mittwoch mit Verweis auf Kansas.
Seit Jahrzehnten kämpft die «religiöse Rechte» in den USA für ein Abtreibungsverbot. Im Juni wähnte sie sich am Ziel, als die konservative Mehrheit des Obersten Gerichtshofs in Washington das fast 50 Jahre alte Grundsatzurteil im Fall Roe vs. Wade annullierte. Auf diesem Entscheid hatte das nationale Recht auf den Schwangerschaftsabbruch basiert.
In mehreren republikanisch dominierten Gliedstaaten traten darauf Gesetze in Kraft, die das Abtreibungsrecht massiv einschränkten. Ausgerechnet das erzkonservative Kansas aber gehört zu den wenigen Staaten, in denen Abtreibungen bis zur 22. Schwangerschaftswoche in der Verfassung verankert sind. Den Republikanern ist dies schon lange ein Dorn im Auge.
Ein Gesetz, das Abtreibungen erschweren wollte, wurde 2019 vom Obersten Gericht des Bundesstaats mit Verweis auf diesen Verfassungsartikel kassiert. Die Republikaner setzten deshalb schon vor dem Entscheid des Supreme Court eine Volksabstimmung an, um den Passus aus der Verfassung zu streichen und den Weg für Verschärfungen freizumachen.
Allerdings zeigen Umfragen, dass zwei Drittel der Amerikaner Abtreibungen im Grundsatz befürworten. Auch eine Mehrheit der eingetragenen Republikaner ist mit Einschränkungen dafür. Weshalb die Republikaner in Kansas tief in die Trickkiste griffen. Die Abstimmung fand nicht am üblichen Termin im November statt, sondern gleichzeitig mit den Vorwahlen.
An diesen nehmen in der Regel nur Mitglieder und Anhänger der beiden Parteien teil, nicht aber Parteilose, die sich in Umfragen klar «Pro-Choice» aussprechen. Ausserdem spielten die Republikaner das Votum herunter. Es führe nicht zu einem Abtreibungsverbot, behaupteten sie, was streng genommen stimmt. In einem nächsten Schritt aber wollten sie genau das.
Wer Abtreibungen befürwortet, musste zudem mit Nein stimmen, also gegen die Streichung des Verfassungsartikels. Die Manöver der Republikaner mobilisierten jedoch vor allem die Gegenseite. Die Stimmbeteiligung war weit höher als erwartet. «Der Schuss ging nach hinten los», sagte Neal Allen, ein Politologe an der Wichita State University, gegenüber «Politico».
Die Republikaner reagierten zurückhaltend auf die Abstimmung in Kansas. Vereinzelt wurde sie als «Weckruf» oder «kalte Dusche» bezeichnet. Dafür jubelten die Demokraten. Die Mobilisierung in Kansas gibt ihnen die Hoffnung, bei den Midterms am 8. November das befürchtete Fiasko abwenden zu können. Sogar von einem «Game Changer» war die Rede.
An diesem Wahltag aber geht es um die Gesamtbilanz der Regierung Biden, also neben Abtreibungen auch «um Inflation, Bildung, Kriminalität, nationale Sicherheit und das Gefühl, dass niemand im demokratisch kontrollierten Washington sich um die Wähler kümmert», sagte die frühere Trump-Beraterin Kellyanne Conway der «New York Times».
Republikanische Strategen betonten, sie würden nun erst recht auf die Themen Inflation und Wirtschaft setzen. Ganz unberechtigt sind die Hoffnungen der Demokraten aber nicht, vor allem bei Wahlen auf Ebene Bundesstaat. In Michigan und Pennsylvania etwa haben die Republikaner zwei stramme Abtreibungsgegner für die Gouverneurswahl nominiert.
Für den Obersten Gerichtshof wiederum ist das Votum in Kansas gleichzeitig eine Ohrfeige und eine Bestätigung. Es zeigt, dass er sich mit dem Entscheid zu Roe vs. Wade weit weg vom Mainstream in den USA befindet. Gleichzeitig aber bestätigt es seine Argumentation, wonach die Politik und nicht die Justiz über das Abtreibungsrecht entscheiden muss.
Ich glaube nicht, dass zwei Drittel der Amerikaner Abtreibungen im Grundsatz befürworten. Ich glaube, dass dass zwei Drittel der Amerikaner lediglich das Recht auf Abtreibung im Grundsatz befürworten. Soviel Präzision sollte man eigentlich von einem professionellen Schreiber erwarten dürfen.