Gespannt wartete das Pressekorps am Dienstag im Briefing-Room des Weissen Hauses auf den US-Präsidenten. Würde Trump drei Wochen nach den US-Wahlen seine Niederlage eingestehen? Gestern hatte er ja immerhin den Transitionsprozess in die Wege geleitet.
Dann kam der Präsident der Vereinigten Staaten und ... überraschte alle. Das war «verdammt seltsam», hörte man einen Journalisten sagen, als der Auftritt vorbei war.
Trump spoke briefly about the stock market and took no questions.
— The Recount (@therecount) November 24, 2020
After he leaves, you can hear a reporter say, "Well that was weird as shit." pic.twitter.com/lrkjlEHx3h
Was ist also passiert? Nun, Donald Trump war nicht etwa gekommen, um dem nächsten Präsidenten, Joe Biden, zu gratulieren. Nein, er gratulierte eigentlich sich selber und zwar zu einem historischen Meilenstein. Der Dow Jones hatte soeben erstmals die Marke von 30'000 Punkten erreicht.
Er gratulierte «all den Menschen in der Administration, die so hart gearbeitet haben». 30'000 sei eine heilige Zahl. «Niemand dachte, das wir das je sehen werden.»
Nun ist es ja nicht ungewöhnlich, dass Trump gerne über seine Erfolge redet. Dennoch war sein Auftritt am Dienstag ganz anders als sonst: Er dauerte lediglich 64 Sekunden. Dann trat der Präsident mitsamt der vizepräsidialen Eskorte bereits wieder ab. Ohne eine Frage zu beantworten.
— Donald J. Trump (@realDonaldTrump) November 24, 2020
«Kürzestes Briefing ever», twitterte CNN-Reporter Jim Acosta. Er beschrieb Trumps Verhalten danach wie folgt (eine Übersetzung macht wohl keinen Sinn):
Jim Acosta on the brief, Trump WH press conference (no questions taken)
— Frank 🇨🇦Van Der Burg 🇳🇱 (@Frankvdb1971) November 24, 2020
“Hard to put the cereal back in the box when you’re cuckoo for cocoa puffs” - @Acosta
Wenig später trat Trump nochmals vor die Kameras. Zum letzten Mal in seiner Präsidentschaft begnadigte er einen Truthahn vor dem sicheren Thanksgiving-Tod. Die Tradition will das so. Fragt nicht. Auch hier gab sich der Präsident so, als sei alles wie immer. Er lobte kurz den Impf-Effort, hielt sich aber ansonsten ans Protokoll.
Die Szene, welche daher für am meisten Aufsehen sorgte, ereignete sich kurz nach der Begnadigung. Ein Journalist hatte die passende Frage bereit. Er wollte von Trump nicht wissen, welchen Truthahn, sondern ob er sich selber begnadigen werde.
a reporter at the turkey pardon shouts a question to trump: "will you be issuing a pardon for yourself?" pic.twitter.com/Mjt8w6kDiv
— David Mack (@davidmackau) November 24, 2020
Nach seiner Amtszeit muss sich der Präsident mit diversen juristischen Angelegenheiten auseinandersetzen, welche unter Umständen böse für ihn enden könnten. Deshalb wird seit längerem darüber spekuliert, ob sich Trump selber begnadigen wird oder vielleicht sogar Mike Pence damit beauftragt.
Sei's drum: Eine Antwort gab es an diesem Dienstag nicht.
Weiter vorwärts geht es derweil mit der Regierungsbildung im Team Biden. Der designierte Präsident stellte am Dienstag seine Kandidaten für die Schlüsselposten vor. Etwa Antony Blinken, welcher US-Aussenminister werden soll.
Dieser wartete mit einer persönlichen Geschichte auf, die jetzt auf Social Media rege geteilt wird. Blinken erzählte, wie sein verstorbener Stiefvater vier Jahre Konzentrationslager der Nazis überlebte. Als einziges von 900 Kindern seiner Schule in Polen.
Am Ende des Krieges hatte sich Blinkens Stiefvater in einem Waldstück versteckt, als er einen amerikanischen Panzer vorbeifahren sah. Er sei hingerannt und ein afroamerikanischer Soldat habe zu ihm heruntergeschaut. Er habe sich hingekniet und die einzigen drei englischen Wörter gesagt, die er kannte: «God bless America.» «Das ist, wer wir sind», so Blinken. Das sei das, was Amerika für die Welt bedeute.
"My late stepfather, Samuel, he was 1 of 900 children in his school in Białystok, Poland, but the only one to survive the Holocaust after four years in concentration camps ... that is what America represents to the world." -- Blinken pic.twitter.com/AYSjQwFGSF
— Aaron Rupar (@atrupar) November 24, 2020
Blinken liess es auch in der Folge nicht an Pathos mangeln. Der US-Aussenminister meinte: «Amerika ist immer noch fähiger als alle anderen Länder der Welt, andere zusammenzubringen, um den Herausforderungen unserer Zeit zu begegnen.» (cma)
Wer bisher noch an seinem Realitätsverlust gezweifelt hat, sollte dies der endgültige Beweis sein.